# taz.de -- Tanzstück mit Vogelperspektive: Von Imitatoren und Irrgästen | |
> In „Bird Dances“ von Kareth Schaffer in den Sophiensælen betrachten die | |
> Performer:innen ihr Leben aus der Vogelperspektive. | |
Bild: „Bird Dances“: Anders als für das Bild inszeniert, tragen die Perfor… | |
Viele Sprachbilder setzen Vögel und Menschen in eine Beziehung: Man redet | |
von schrägen Vögeln, vom seltsamen Kauz, von der lahmen Ente. Und wird | |
dabei den Tieren oft so wenig wie den Menschen gerecht. Für „Bird Dances“ | |
aber haben die Choreografin [1][Kareth Schaffer] und die vier | |
Performer:innen ihrer Companie Construction nach Analogien zwischen | |
biografischen Erfahrungen und dem Wissen über die Vögel gesucht, die zu | |
sehr sprechenden Beziehungen führen. | |
So erzählen die vier auf der fast leeren Bühne der [2][Sophiensæle] ihre | |
Geschichten, von zarten und flatterhaften Bewegungen unterstrichen, mal | |
flügelschlagend, mal überraschend hüpfend, nah an der Vogelkunde. | |
Sefa Okutan hat sich die Nachtigall als Gegenüber ausgesucht. Zum Beispiel, | |
weil es ihm gefällt, dass sich männliche und weibliche Exemplare im | |
Gefieder nicht unterscheiden. Der zartgliedrige Tänzer aus der Türkei kam | |
nach Berlin angezogen vom Versprechen der Anonymität; er versteckt sich | |
gern in der Nacht wie die Nachtigall. Seine Hose ist mit Rosen bedruckt und | |
er berichtet von der Rolle der Nachtigall in der türkischen und persischen | |
Dichtung, ihrer Sehnsucht nach Rosen, dem poetischen Spiel mit Metaphern | |
von unerfüllbarer Sehnsucht. | |
## Untermalung der Sprache | |
Das Ausbreiten der Schwingen, das Anlegen der Flügel, das Stolzieren im | |
Wasser auf langen Beinen, die kurzen Wendungen des Kopfes, der fixierende | |
Blick: Viele Bewegungen aus der Vogelwelt ahmen die Tänzer:innen nach, | |
während sie nacheinander von sich erzählen, und in den gemeinsamen | |
Zwischenspielen. Ihr Tanz ist oft mehr eine Untermalung des Textes, setzt | |
einzelne Akzente, rhythmisiert die Sprache und überrascht manchmal mit | |
Gesten, die das nicht immer Hinreichende der Sprache herausstellen. | |
Michael Kaddu, der aus Uganda nach Berlin gekommen ist, hat sich den | |
Sumpfrohrsänger ausgesucht, ein Zugvogel, im Sommer in Europa, im Winter in | |
Südafrika. Ornithologen haben sich lange mit seinem Gesang beschäftigt, der | |
Imitation europäischer Vögel in Europa und ihrem afrikanischen | |
Originalgesang in Afrika. Bis neuere Forscher herausfanden, dass sie auch | |
auf dem afrikanischen Kontinent andere Vögel sehr begabt imitieren. | |
## Collage zwischen Tradition und Gegenwart | |
Für Kaddu, der lange traditionelle Tänze in Uganda auf Hochzeiten oder in | |
Wettbewerben tanzte, bevor er den zeitgenössischen Tanz westlicher Prägung | |
kennenlernte, ist das eine Steilvorlage: Und so zelebriert er während | |
seiner Erzählung mit Genuss eine Bewegungscollage aus traditionellen | |
Elementen und unvorhersehbaren Wechseln in Tempo und Richtung. | |
Josephine Findeisen hat sich den Roten Milan und sein Schicksal in den | |
Nachwendejahren ausgesucht, um ihre eigenen Suchbewegungen zwischen Ost- | |
und Westdeutschland aus neuer Perspektive zu betrachten. | |
Die New Yorkerin Dani Brown nimmt das Bild der Irrgäste genannten Zugvögel, | |
die vom genetischen Code abkommend in die falsche Richtung fliegen, zum | |
Anlass einer Reflexion über Migration aus politischen Gründen und dem Bild | |
des Fremden in Deutschland. Ihr Monolog, der sich manchmal in Gesang und | |
lautmalerisches Sprechen entwickelt, ist der letzte des Abends. Dass er mit | |
ihrer Biografie zugleich einen gesellschaftlichen Zustand skizziert, | |
verbindet Browns Text mit denen der anderen. | |
Der Produktion „Bird Dances“ ging eine Reihe von Workshops in ländlichen | |
Regionen in Mecklenburg-Vorpommern voraus, inklusive Vogelbeobachtung. Was | |
sich dabei als Stück herausgeschält hat, ist von unkomplizierter | |
Geradlinigkeit und Verständlichkeit, wie sie in Tanzprojekten eher selten | |
ist. Das liegt an den doch sehr präsenten Texten. Schade, dass es nach den | |
ersten vier Aufführungen (von Donnerstag bis Sonntag) keine weiteren gibt. | |
14 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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