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# taz.de -- Performance über Beobachtung: Es hängt von uns ab
> „Komische Vögel“ im TD Berlin: Von der Ornithologie zur Beobachtung des
> Menschen in der Gesellschaft ist es manchmal nur ein kleiner Hüpfer.
Bild: Mira Partecke in „Komische Vögel“
Hausrotschwanz, Mönchsgrasmücke, Zwergtaucher… Die Ohren sind weit offen
und wundern sich über das Gehörte, sitzt man doch im Theater und nicht in
einem Vortrag über seltene Vogelarten. Bilder gibt es dazu keine und so
bleiben die genannten Vögel konturlos.
Umso konkreter zeichnen Vanessa Stern und Team die Menschen, die sich mit
ihnen befassen. Dazu haben sie das Thema Ornithologie tief umgepflügt und
sind an unterschiedlichsten Stellen fündig geworden. Über den Spot auf die
„Birding-Blase“ reflektieren sie das Beobachten und Sich-Zur-Schaustellen.
Und so ist „Komische Vögel“ auch eine entspannt-selbstkritische Reflexion
über die Beweggründe derer, die auf der Bühne stehen. Darüber hinaus
gelingt ein unkonventioneller Blick auf die gegenwärtige Verfasstheit von
Gesellschaft, der auf die üblichen Parameter verzichtet.
Vanessa Stern, Verena Unbehaun und Mira Partecke stellen in „Komische
Vögel“ im [1][TD Berlin] ihre Alter Egos, drei Schauspielerinnen, dar, die
ein Stück über Vögel performen. Partecke hat eine witzige Kopfbedeckung
auf, die an den Kopf einer Henne erinnert, Unbehaun steckt in einem
schwarzen, weiß gepunkteten Riesen-Strampler und Stern hat sich einen
grünes Tarnnetz über die Schultern geworfen.
## Improvisieren im Mangel
In ihren großen Schlappen, die Vogelkrallen imitieren, stehen sie zwischen
aufgeklappten Fünfstufen-Leitern, die die Bühne des TD Berlin bewalden.
Einige haben ein Tarnnetz, aber die meisten sind nackt (Bühne/Kostüme: Eike
Böttcher, Jelka Plate.)
Das sieht extrem improvisiert aus, als hätte man sich die Leitern kurz vor
der Premiere bei FreundInnen ausgeliehen und die Tarnnetze schnell in
irgendeinem Theaterfundus aufgestöbert. Im Kontext der Verhandlungen über
den [2][Kulturhaushalt 2026/2027 mit den angekündigten Kürzungen] ist
dieses Bühnenbild der Kommentar zur aktuellen und künftigen Lage.
Lange lebt in Text und Performance eine wunderbare Nuance witziger
Absurdität, Vanessa Sterns Alleinstellungsmerkmal. Der pointierte
Dialog-Reigen ist in der Realität verwurzelt, gleichzeitig aber so
aufgebaut, dass z.B. über das Nerdige des obsessiven Vogelbeobachtens mit
Hilfe von Apps, denen man sich komplett ausliefert, Abhängigkeit vom
Digitalen und Entfremdung von der analogen Welt konkret greifbar wird. Das
Bühnengeschehen lebt von herrlich trockener Situationskomik zwischen den
drei Darstellerinnen, die, wie in einer klassischen Komödie, erst mal in
Rollenklischees schlüpfen: so mimt Partecke die Unbedarfte, Unbehaun die
reife Schauspielerin, die Aufmerksamkeit braucht und Stern die Frau in
einer Führungsrolle.
Mit der Einführung des Thors-Hühnchens verändert sich die
Betriebstemperatur auf der Bühne. Die drei erzählen von der Ornithologie im
NS-Staat. Konkret von der Umbenennung des plattschnäbligen Wassertreters in
Thors-Hühnchen in Bezugnahme auf den nordischen Gott Thor. Und dann
marschiert Unbehaun wieder und wieder die Bühne von rechts nach links ab.
Sie presst die Worte widerwillig aus sich heraus, als sie aus den
Aufzeichnungen Günther Niethammers, SS-Angehöriger und Ornithologe in
Auschwitz, rezitiert: „Ich bin so eine Art Konzentrationslager
SS-Jägermeister, fahre mit dem Rad draußen rum und habe schon 200 Brutvögel
gesammelt.“ Niethammer wird nach dem Krieg Professor für Ornithologie in
Bonn.
Danach erzählt ein Podcast-Einspieler von der schwarzen
Birdwatching-Community in den USA. Quintessenz: Wie wir Vogelkunde (und
Gesellschaft) gestalten, hängt von uns ab. Partecke bekennt am Schluss:
„Wenn ich die Wahl hätte zwischen Wiedehopf sehen und Kaffee, würde ich den
Kaffee nehmen.“ Stern: „Aber den Kaffee kannst du dir kaufen, den Wiedehopf
nicht.“ Partecke: „Um so erstaunlicher, dass ich mich für den Kaffee
entscheide.“
11 Oct 2025
## LINKS
[1] /Theaterstueck-ueber-Armut-am-TD-Berlin/!6098526
[2] /Berlins-Kultursenator/!6085520
## AUTOREN
Katja Kollmann
## TAGS
Performance
Theater Berlin
Komik
Vögel
Gedenken
Performance-KünstlerIn
Zeitgenössischer Tanz
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