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# taz.de -- Gedenken an Ex-Frauenknast in Berlin: Ein Nichtort droht zu verschw…
> Im Frauengefängnis Barnimstraße saßen Generationen ein. Heute sind dort
> eine Verkehrsschule und ein Gedenkort, dem gerade die Förderung
> gestrichen wurde.
Bild: Wurde schon von der Abrissbirne entfernt: Die Rosa-Luxemburg-Gedächtnisz…
Wenn Hans Coppi Anfang der 1970er Jahre aus seinem Berliner Küchenfenster
blickte, sah er den Ort, wo er 1942 zur Welt kam: das Frauengefängnis
Barnimstraße. Seine Mutter [1][Hilde Coppi], Mitglied der Widerstandsgruppe
Rote Kapelle, war dort vor ihrer Hinrichtung in Plötzensee inhaftiert.
Wenige Jahre später passte der rote Backsteinkasten aus den 1860er Jahren
nicht mehr zu den Vorstellungen der sozialistischen Stadtplanung in
Alexanderplatznähe und wurde abgerissen. Aus dem Stadtbild verschwand ein
Frauenort, in dessen Mauern sich über hundert Jahre lang Frauenschicksale
eingruben, während Monarchie, Krieg, parlamentarische Demokratie,
[2][NS-Diktatur] und SED-Regime die Gesellschaft formten. Mit der
Abrissbirne wurde auch ein schon bestehender Gedenkort ausradiert: die
Rosa-Luxemburg-Gedächtniszelle, die Zelle, in der Luxemburg 1915/16
einsaß.
Nach der Wende entstand auf dem Gelände des ehemaligen Frauengefängnisses
ein Verkehrsübungsplatz, unterhalten vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Es gibt dort einen großen Container, aus dem sich Kinder Fahrräder
ausleihen können, Zebrastreifen, Ampeln, alle möglichen Schilder, und es
gibt alte Holzbänke, auf denen die Erwachsenen sitzen und ihren Kindern
zurufen, was falsch und was richtig ist im Straßenverkehr.
Seit zehn Jahren gibt es neben dem großen auch einen kleinen Container.
Dort bekommt man einen Audiogiude zum Geschichtsort Barnimstraße 10,
entwickelt von Christoph Viscorsum und Team.
Der im österreichischen Gusen, während des Zweiten Weltkriegs Teil des
Doppel-KZs Mauthausen/Gusen, aufgewachsene Künstler betreibt
Audioarchäologie. Für seinen Geburtsort entwickelte er einen Audiowalk, der
die nach dem Krieg komplett überformte KZ-Struktur sinnlich erfahrbar
machte und so ins kollektive Gedächtnis zurückholte. In Berlin führte er am
Ort des ehemaligen Gefängnisbaus lange Gespräche mit drei
[3][Zeitzeuginnen]. Zusammen mit Alice Michelson, die 1938 als
Widerstandskämpferin einsaß, und Inge Stürmer, die 1962 wegen versuchter
Republikflucht inhaftiert wurde, näherte er sich dem Bau konkret an. Dabei
stellte sich heraus, dass eine Rasenfläche des Verkehrsübungsplatzes genau
die Maße des damaligen Innenhofs hat und die Plantanenreihe die westliche
Außenmauer des Baus markiert.
Mit der Stimme von Inge Stürmer im Ohr, mit den Worten, die sie sucht und
findet, als sie die Grünfläche umrundet, umwandert man das Rasenstück.
Schritt für Schritt erinnert sich Stürmer an das Gehen im Gefängnishof, die
hohen Mauern, die Geräusche, die den Hof ausfüllten, und die Gedanken, die
sie heimsuchten. Auch man selbst setzt die Schritte bewusst und betrachtet
dabei die von der Sonne auf den Rasen gemalten Muster. Die Bilder, die vor
dem inneren Auge entstehen, verbinden sich mit einer sinnlich-haptischen
Rückmeldung des Körpers, in den sich der Ort über den Boden einschreibt.
„Was passiert mit einem Denkmal, wenn sich niemand darum kümmert?“ Das ist
die Frage, der sich zehn Jahre nach der Eröffnung des Audiodenkmals eine
Podiumsdiskussion in den Räumen der Verkehrsschule widmet. Viscorsum
beschreibt auf dem Podium die Erschließung des Orts. Kirsten Esser, die in
den 60er Jahren sechs Wochen im Frauengefängnis einsaß, sitzt neben ihm,
hört zu. Plötzlich kommt mit Wucht ihre Erinnerung zurück, und sie erzählt
von dem rüden, latent aggressiven Aufsichtspersonal und der Enge der
Viererzelle. Moderatorin Elke Stadelmann-Wenz von der Gedenkstätte
Berlin-Hohenschönhausen kommt auf die konsequente Unterfinanzierung des
Gedenkorts zu sprechen: „Weil hier ‚nur‘ an Frauen erinnert wird.“ Julia
Stoff, die das Projekt inhaltlich und organisatorisch betreut, erzählt im
Gespräch, dass das Jahresbudget von 10.000 Euro, das jedes Jahr aufs Neue
vom Bezirk erkämpft werden musste, bis auf Weiteres gestrichen wurde. Sie
fragt sich: „Was nützt ein Gedenkort, wenn er nicht bekannt werden kann,
weil es keine Mittel für Öffentlichkeitsarbeit gibt?“, und stellt weiter
Förderanträge.
Warum findet sich keine Frau, die sich auf Landes- oder Bundesebene für
diesen Gedenkort einsetzt? Sind es die Zeitschichten, die sich an diesem
„Nichtort“ bündeln mit all ihrer Ambivalenz? So wird aus der
Widerstandskämpferin Alice Michelson ein linientreues SED-Mitglied, das die
Inhaftierung Andersdenkender befürwortet.
29 Sep 2025
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## AUTOREN
Katja Kollmann
## TAGS
Gedenken
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