# taz.de -- Performance „subjoyride“: Auch Stinken regt zum Denken an | |
> Elsa von Freytag-Loringhoven machte Dada in New York. Ihrem Biss und | |
> ihrer Freizügigkeit ist das Stück „subjoyride“ in den Sophiensælen Ber… | |
> gewidmet. | |
Bild: Boglárka Börcsök bei der Verwandlung in Elsa von Freytag-Loringhoven | |
Orientalismus und Bauchtanz bringt man noch leicht zusammen, aber wie fügt | |
man Dada, Imperialismus und Kaiser Wilhelm hinzu? Der Performerin Boglárka | |
Börcsök gelingt das in einer sehr witzigen Szene ihrer Performance | |
„subjoyride“, die im Rahmen der Berliner Art Week in den [1][Sophiensælen] | |
gezeigt wurde. Mit Pickelhaube legt sie sich ins Bett und markiert den | |
schnarchenden Kaiser Wilhelm. Als er schnaufend erwacht, winkt er seinem | |
Diener, der ein Tablett mit Obst bringt. | |
Wie sich der Pickelbehaupte voller Gier über die Melone hermacht, gleicht | |
schon einer Karikatur der imperialistischen Einverleibungsgelüste. Aber | |
sein Verdauungstrakt rebelliert. Mit gurgelnden Geräuschen wölbt Boglárka | |
Börcsök ihren Bauch vor, bläht ihn auf im Rhythmus einer einsetzenden, mit | |
orientalistischen Motiven durchsetzen Musik von der E-Gitarre und beginnt | |
zu tanzen. Der gequälte Tanz der Blähungen mutiert zum Traum vom | |
verführerischen Bauchtanz. | |
Solche Verwandlungen muss man erst mal hinkriegen. Das Stück „subjoyride“ | |
von Boglárka Börcsök & Andreas Bolm steckt voll von solchen über den Körper | |
vermittelten Assoziationen. Die Szenen beziehen sich auf eine schillernde | |
Figur aus der Dada-Zeit, die aus Deutschland stammende [2][Baroness Elsa | |
von Freytag-Loringhoven,] 1874 in Swinemünde geboren, 1927 in Paris | |
gestorben. Sie spielte in der Dada-Szene von New York eine schrille Rolle, | |
mit skandalträchtigen Auftritten. Gerne auf der Straße, mit skurrilen | |
Kostümen, unter anderem aus Löffeln als Ohrringen und Tomatendosen als | |
Büstenhalter. Einmal wurde sie wegen des Tragens eines Männeranzugs sogar | |
verhaftet. | |
Sie wurde als Akt gemalt und fotografiert von Man Ray und war mit Marcel | |
Duchamp befreundet. Es soll einen Kurzfilm von Man Ray geben, „The Baroness | |
Shaves Her Pubic Hair“. Vieles an ihrer Performance war flüchtig – das | |
entsprach dem Geist von Dada, der eben auch gegen das Starre der Kunst | |
anrannte. Wie andere Künstlerinnen wurde sie lange vergessen. Ihre | |
Wiederentdeckung ist von Überlegungen begleitet, wie viel von den Ideen der | |
Baroness, die mit objets trouvé Skulpturen entwarf, in den Werken des sehr | |
berühmten Marcel Duchamp stecken. | |
## Vorkenntnis ist nötig | |
All das taucht in der Performance auf, die allerdings schon etwas | |
Vorkenntnis verlangt, um die Bezüge zu verstehen. Die sehr eigene | |
Körpersprache von Boglárka Börcsök macht aber auch eine eigene Geschichte | |
daraus. Mit eng anliegender roter Bubikopf-Perücke, ausgestellten kurzen | |
Hosen und langer Weste nimmt sie das Bild des Androgynen aus den zwanziger | |
Jahren auf. I | |
hre Bewegungen sind teils an Valeska Gert orientiert, von deren | |
Grotesktänzen mehr im Film überliefert ist als von der Dada-Baroness und | |
mit der sich Börcsök schon früher beschäftigt hat. Vor allem flicht sie | |
das Obszöne und Skatologische in ihre Körpersprache als witzige Gesten des | |
Widerstandes gegen den Obrigkeitsgeist des Wilhelminismus und der | |
gesellschaftlichen Konvention ein. So lässt sie denn auch einmal ihre | |
nackten Hinterbacken zu uns sprechen. | |
Ihr Näschen schnuppert immer wieder, sie geht den Körpergerüchen nach, die | |
das Publikum aussendet, sie streicht ihren aristokratischen Abstand zum | |
Stinken der anderen heraus, redet über Sanitäranlagen als Kennzeichen der | |
Zivilisiertheit. | |
Tja, schließlich ist [3][„The fountain“, das Urinal als Ready Made, mit dem | |
Marcel Duchamp äußerst wirksam den Begriff von Autorschaft und Genie | |
anknackste] und das in die Kunstgeschichte als Bruchstelle zur Moderne | |
einging, eben auch mit dem Geruch nach Pisse verbunden, auch wenn der im | |
kunsthistorischen Ruhm längst verdampft scheint. Börcsök rührt in den | |
Geruchsassoziationen, packt uns beim körperlichen Unbehagen, um uns auf | |
ihre Reise in die zwanziger Jahre mitzunehmen. | |
## Wunderbare Projektionsfläche | |
Elsa von Freytag-Loringhoven, deren Leben nur spärlich dokumentiert ist, | |
die 1913 durch ihre dritte Ehe zur Baroness wurde, bietet eine wunderbare | |
Projektionsfläche, sich ein aufmüpfiges, sexuell und intellektuell | |
freimütiges, tabubrechendes Role Model zu erfinden, das den Feminismus der | |
Gegenwart aus der Vergangenheit bekräftigt. Die Performance „subjoyride“ | |
nutzt das, lässt die Fantasie aber auch als Fantasie erkennen. | |
Freytag-Loringhoven starb verarmt in Paris. Für einen Monolog auf dem | |
Sterbebett inszeniert sich Börcsök wie den nackten Körper der Frau, die | |
man in Duchamps letztem Werk, „Étant Donnés: 1. la chute d’eau 2. le gaz | |
d’eclairage“, in einer Assamblage sehen kann. Sie stecke fest in seinem | |
Schatten, resümiert sie. Mit „R. Mutt“ hatte Duchamp sein Ready Made des | |
Urinals signiert. Ihr sei davon nur die „Armut“ geblieben. | |
17 Sep 2025 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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