# taz.de -- Sasha Waltz in den Sophiensælen: Krach am Kühlschrank, Vorsicht a… | |
> 175-mal Sasha Waltz, Primeln im Westend und „Sing Sing“ im Kino – unsere | |
> Autorin verbringt ein Wochenende voller Theater. | |
Bild: Können nicht nur lange Gesichter ziehen: Florencia Lamarca, Takako Suzuk… | |
Der Tisch. Das Brot. Die Nähmaschine. Der Kühlschrank. Alles wieder da. Das | |
Brot, es fliegt wie ein Basketball durch die Luft. Einer fängt es im | |
Sprung, der Tänzer Edivaldo Ernesto, die anderen vier am Tisch ziehen lange | |
Gesichter. Nur Krümel teilt er ihnen zu. Der Kühlschrank, hops, sitzt eine | |
oben drauf und knallt mit der Ferse die Türe zu, die ein anderer gerade | |
aufgerissen hat. Der Kampf ums Futter tobt in dieser Küche. | |
Und das ist nicht der einzige Kampf in Sasha Waltz’ Stück „Twenty to | |
eight“, das 1993 im Grand Theatre Groningen seine Premiere erlebte. Am | |
Freitag war ich in der 175. Vorstellung des Stücks in den Sophiensælen. | |
Wehmut hatte ich erwartet, ein bisschen Rührseligkeit, sind doch die frühen | |
Stücke von Sasha Waltz auch mit meiner Geschichte als Tanzkritikerin | |
verbunden. | |
Aber die Inszenierung fegte das hinweg, die irrsinnigen Beschleunigungen | |
und Wiederholungen, mit denen sich die Tänzer:innen an den Dingen reiben | |
und mit denen sie ihre Beziehungen aushandeln. Härte und Zärtlichkeit, | |
Konkurrenz und Freundschaft, Eifersucht und Solidarität: Alles wird so | |
leicht, witzig und spielerisch verhandelt. Das war damals selten im | |
Tanztheater und ist es auch heute wieder. | |
Takako Suzuki tanzt an diesem Abend wieder mit, sie hat mit Sasha Waltz | |
schon in den ersten Dialogen gearbeitet, im Künstlerhaus Bethanien, die | |
„Twenty to eight“ vorausgingen. Sie hat ein sehr eigenes Temperament, | |
dominante Entschiedenheit, gepaart mit skurriler Selbstironie. Dabei ist | |
ihr Gesicht stoisch. Sie ist an diesem Abend aus der Originalbesetzung | |
dabei. Wieso merkt man nicht, dass sie jetzt 30 Jahre älter ist? | |
## Kampf gegen den Kulturabbau | |
Jochen Sandig, Sasha Waltz’ Produzent und Partner, begrüßt im Publikum in | |
einer kurzen Rede Jan Stelman, der in Groningen die Premiere ermöglichte. | |
Dann erst begann mit „Twenty to eight“ der Erfolg von Sasha Waltz in | |
Berlin. Waltz und Sandig gründeten mit anderen die Sophiensæle als neuen | |
Spielort. | |
Sechs Vorstellungen haben sie an diesem Wochenende hier abends und | |
nachmittags gegeben, sechs folgen am kommenden Wochenende im Radialsystem. | |
Solch starke Präsenz will auch ein Zeichen sein [1][gegen die starken | |
Kürzungen], die auch die Compagnie Sasha Waltz & Guests betreffen. Kämpft | |
alle gegen den Kulturabbau, gibt Sandig dem Publikum mit. | |
Am Samstag ist Primeltag. Menschen imitieren Pflanzen. Die Füße im Matsch | |
halten wir beim Gang um einen kleinen See im Westend das Gesicht grimelnd | |
in die Sonne. Dort in der Nähe hatte die Wilms Neuhaus Stiftung Zukunft und | |
Gestaltung zu einem Vortrag von Esther Slevogt eingeladen über das Theater | |
und den Zufall. | |
Esther, auch taz-Autorin und Mitbegründerin von Nachtkritik, hat den Zufall | |
unter anderem bei Lessing und Schiller untersucht. Den Schicksalsmuskel im | |
Theater trainieren, die Formulierung setzt sich fest. So beschrieb sie | |
Schillers Intention: Im Theater könne der Mensch lernen, sich dem | |
Zufall/Schicksal nicht blind zu unterwerfen. | |
Das brachte mich in Gedanken zurück zu „Sing Sing“, einem gerade im Kino | |
angelaufenen Film des Regisseurs Greg Kwedar über eine Theatergruppe im | |
Gefängnis. Am Donnerstag war ich fast allein in der Nachmittagsvorstellung | |
in der Kulturbrauerei, musste keinen Schniefer unterdrücken. Emotionen | |
kommen, man leidet mit. Wer daran zweifelt, ob Katharsis und Läuterung, | |
Aufklärung und Mündigkeit heute noch erreicht werden durch die Kraft des | |
Theaters – in „[2][Sing Sing]“ wird es überzeugend vorgespielt. | |
Dass man im Theater auch anders in Mitleidenschaft gezogen werden kann, | |
darüber informierte ein Aushang an den Toilettentüren, den ich am Sonntag | |
im Deutschen Theater sah. „Achten Sie auf ihre Getränke. Es ist in der | |
Vergangenheit zur Vorfällen mit Substanzen gekommen“, so ging die Warnung. | |
Die Bar war trotzdem voll und die Stimmung freundlich. | |
4 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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