# taz.de -- Premiere der Komischen Oper Berlin: Jesus, der hochwertige Crowdple… | |
> Andrew Lloyd Webbers Rockoper „Jesus Christ Superstar“ wird in einem | |
> Hangar des ehemaligen Flughafens Tempelhof inszeniert und trifft damit | |
> den Ton. | |
Bild: Das Volk von Jerusalem vom Camp verzückt: 350 Kompars*innen, Tänzer*inn… | |
Verzweiflung, Frust, Schmerz, Ohnmacht, Hadern – alles wird zu etwas | |
Lautem, Schönem rausgeschrien. Was die Geschichte von Jesus von Nazareth so | |
reizvoll macht, ist dasselbe, was an Rockmusik fasziniert. Kraft ziehen aus | |
einem Moment der Schwäche. | |
Das wird sich [1][Andrew Lloyd Webber] gedacht haben, als er Ende der 60er, | |
noch quasi unbekannt, „Jesus Christ Superstar“ schrieb. Eine Rockoper über | |
die letzten sieben Tage im Leben von Jesus mit allem, was hot war: Rock, | |
Soul, Folk, Funk und einer Prise zeitgenössischer Klassik. Damit gab er | |
dem Jesus-Material ein Update fürs 20. Jahrhundert: aus Messianismus wurde | |
Popstarkult. Grotesk entmenschlichend ist ja beides. | |
Jetzt, im 21. Jahrhundert, gibt es eine Inszenierung im Hangar 4 [2][des | |
ehemaligen Flughafens Tempelhof] in Berlin. Geladen hat die Komische Oper, | |
die an einem Ruf als Spezialistin für Musicalklassiker arbeitet. | |
Funfact: „Jesus Christ Superstar“ war ursprünglich als Konzeptalbum | |
komponiert, etwas, das man mit kleiner Besetzung im Studio aufnehmen und zu | |
Hause auf Schallplatte genießen kann. Das macht die Show vielseitiger | |
aufführbar als andere Musicals. Sie kann konzertant sein oder szenisch, | |
[3][camp] oder brav, intim oder bombastisch. | |
## Entschieden bombastisch | |
Für die [4][Komische Oper] inszeniert Andreas Homoki – und entscheidet sich | |
für bombastisch. Der zur Rockhalle umgebaute Hangar 4 wird geflutet mit | |
mehr als 350 Kompars*innen, Tänzer*innen und Chorsänger*innen, die | |
das Volk von Jerusalem darstellen, die namenlose Menge also, die Jesus | |
wahlweise verehrt, begehrt oder verhöhnt. | |
Choreografin Sommer Ulrickson nutzt die Menge, wie man eine Menge im | |
Theater am besten nutzt: für synchrone Bewegungen und große Gesten. Die | |
pulsierende Crowd verstärkt die Emotionen der Solist*innen und bildet | |
eine Brücke zum realen, zahlenden Publikum. Trotz großer Entfernungen | |
behält das Stück so seine Intimität. | |
Jesus ist müde. Sein Movement hat erreicht, was es konnte. Er weiß, dass er | |
Ungerechtigkeit, Armut und Gewalt außer ein bisschen Päppelei nichts | |
entgegensetzen kann. Seine Follower überfordern ihn, und sein Messiasstatus | |
macht ihn launisch. Am liebsten kuschelt er mit Maria Magdalena. Judas hat | |
sich derweil zum PR-Mann der Jesus-Bewegung aufgeschwungen und findet, dass | |
dieser ganze Messiasmist die falsche Brand ist. Zu viel Provokation der | |
römischen Besatzer, zu wenig messbare Resultate. | |
Was diese Inszenierung ist: hochwertig. In der Premierenbesetzung meistert | |
John Arthur Greene als Jesus von Nazareth die gewaltige Range der Rolle mit | |
Sanftheit und Würde. Seinen Verzweiflungsschrei in „Gethsemane“ (hohes G) | |
liefert er so lyrisch, clean und kraftvoll, dass man den Ton als | |
Einrichtungsgegenstand mit nach Hause nehmen könnte. Als Gegenpol singt | |
Sasha Di Capri den Judas Iskariot mit Schärfe und Kratzen, gibt der Show | |
damit die nötige Dreckigkeit. Ohne die Rolle des Judas wäre „Jesus Christ | |
Superstar“ eher Kuschelrock. | |
## Die Darsteller:innen überzeugen | |
Ebenfalls mehr als solide liefern Ilay Bal Arslan als folkige Maria | |
Magdalena, Kevin(a) Taylor als überheblicher Pilatus und Jörn-Felix Alt | |
als Showstopper Herodes. Das Ensemble zeigt ebenso wenig Schwächen wie die | |
Orchesterbegleitung (musikalische Leitung Koen Schoots), die | |
musikalisch-emotionale Spannung hält über die volle Länge der gut | |
anderthalbstündigen Show. Das Publikum belohnt mit Füßetrommeln und | |
Standing Ovations. | |
Was diese Inszenierung auch ist: schön. Das Bühnenbild von Philipp Stölzl | |
ist simpel und funktional, es steht ganz im Dienst der Fantasy. Die Kostüme | |
der Solist*innen (Frank Wilde) sind vielleicht nicht das Limit an | |
Glamrock, was man sich vorstellen kann, aber modische Hingucker schon. Das | |
Makrameeoberteil von Jesus und den Hosenrock von Judas könnte man sich | |
glatt für die Afterparty borgen. | |
Was diese Inszenierung nicht ist: experimentell. Sie ist professionell, | |
und glatt, ästhetisch angelehnt an den Film von 1973. Es gibt keinen | |
Versuch, kreatives Potenzial auszuloten wie etwa in der Inszenierung jüngst | |
in Los Angeles, die Jesus mit Cynthia Erivo besetzte. Der Gendertausch gab | |
der Rolle neue Ebenen, zum Beispiel als Jesus den Kranken wütend zuruft: | |
„Heilt euch doch selber!“ | |
Man kann das aber auch anders sehen und sagen: Die Show traut sich eben, | |
nur Show zu sein. Die Komische Oper beweist, dass sie einen hochwertigen | |
Crowdpleaser liefern kann. Und das wird hungrig angenommen. Schon ehe in | |
der Premiere das erste Gitarrenriff erklang, waren alle Vorstellungen | |
ausverkauft. | |
21 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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