| # taz.de -- Perfomerin Isabel Lewis im Porträt: Den ganzen Körper ansprechen | |
| > Isabel Lewis will mit ihrer Kunst zum gemeinsamen Erleben anstiften. | |
| > Damit trifft sie einen Nerv, nicht nur in Zeiten von Social Distancing. | |
| Bild: Isabel Lewis, Künstlerin und Performerin, auf der Biennale in Sao Paulo … | |
| Die Schafe haben keine Lust auf Performance. Sobald die zwölfköpfige | |
| Workshopgruppe über einen niedrigen Zaun klettert und sich nähert, suchen | |
| die Tiere das Weite und grasen in sicherem Abstand weiter. Platz und | |
| saftige Halme gibt es schließlich genug hier draußen, mitten in der | |
| Uckermark. Als Anschauungsobjekte sind die Schafe aber ohnehin gerade nicht | |
| so wichtig. | |
| Ungewohnt genug fühlt es sich nach all dem Social Distancing, den langen | |
| Monaten der Lockdowns und Lockerungen an, von mehreren Personen auf einmal | |
| umgeben zu sein. Eine der zwölf ist die Künstlerin Isabel Lewis. | |
| Sie gibt Anweisungen, ist aber auch selbst Teil der Gruppe. Um Nähe geht es | |
| in der Übung, um Intimität und Intensität, vermittelt in erster Linie durch | |
| den Blick. Der wird scharf gestellt, erst auf die Umgebung, dann auf die | |
| anderen Teilnehmer*innen, die Gruppe und die Einzelpersonen. | |
| Schauen und angeschaut werden, ohne dabei den Blick der anderen zu suchen, | |
| ohne sich, Konventionen entsprechend, mit den Augen zu verständigen – wie | |
| fühlt sich das an? In der Gruppe bilden sich Paare, die sich umkreisen, | |
| intensiv und en détail betrachten, wortwörtlich beschnuppern, aber immer | |
| noch trotz der Nähe bis kurz vor Schluss den Blickkontakt meiden. | |
| ## In den Feldern | |
| Schauplatz der Übung waren am vergangenen Sonntag die Felder eines Hofs im | |
| brandenburgischen Kaakstedt, den der Künstler Dirk Bell, Lewis’ Partner im | |
| Leben und oft auch in der Kunst, vor ein paar Jahren gekauft hat. | |
| Statt fand er im Rahmen des Berliner Projekts „Every Mouth Must Be Fed“, | |
| kuratiert von einer Gruppe, die sich Pane Per I Poveri nennt: Seit März | |
| spielen sie in Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstler*innen die | |
| Genese einer imaginären Mahlzeit durch, vom Aussäen des Gemüses, über das | |
| Zubereiten diverser Lebensmitteln und der Tischdekoration bis hin zum | |
| eigentlichen Essen (und damit der Idee von Gemeinschaft). In kleinen | |
| Gruppen, im Außenraum, eben so wie es die Pandemie gerade zulässt. Am | |
| Wochenende 22./23. Mai folgen im Aquarium in Kreuzberg die nächsten | |
| Workshops. | |
| Zu Isabel Lewis passt das Thema. Lewis’ Kunst umfasst Performances, | |
| unterschiedlichste Körpertechniken, Workshops, Musiksessions, Partys und | |
| Formate, die sie „Hosted Occasions“ nennt. Die Sinne berühren, Sehen, | |
| Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, gemeinsames Erleben ermöglichen, darum | |
| geht es dabei stets. Auch in der aktuellen Situation. | |
| Im vergangenen Jahr widmete die Kunsthalle Zürich Lewis die | |
| Einzelausstellung „Scalable Skeletal Escalator“, 2019 nahm sie an der | |
| Sharjah Biennale teil, auch [1][im Gropius Bau], in der Tate Modern, dem | |
| Palais de Tokyo, der Frieze London oder der Liverpool Biennale waren schon | |
| Live-Kunstwerke von ihr zu sehen. In Berlin firmiert sie in diesem Jahr als | |
| Ko-Kuratorin von Solvej Ovesen im Programm „Existing Otherwise“ [2][der | |
| Galerie Wedding.] | |
| ## Bedienen und Bedientwerden | |
| Bei „Every Mouth Must Be Fed“ ist Lewis für den „Service“ zuständig. … | |
| ums Bedienen und Bedientwerden ging es daher am Sonntag – und um das | |
| Projekt „13 Boxes“, eine Art Gemüse-und-Kunst-Kiste, für das Lewis und Be… | |
| gemeinsam mit dem DJ und Produzenten Thomas Bullock in Kaakstedt aktuell | |
| Kräuter, Gemüse und Früchte ziehen. Wer die Boxen abonniert, bekommt 13 | |
| Sommerwochen lang zu seinen Kohlrabi und Karotten Kunsteditionen oder | |
| Gedichte mitgeliefert, Nahrung für Körper und Geist. | |
| Über Langeweile kann sich Isabel Lewis ganz offensichtlich nicht | |
| beschweren. Das Treffen in ihrem Atelier bei Callie’s im Wedding muss sie | |
| ein wenig nach hinten verschieben – ein Zoom für ein Rechercheprojekt des | |
| Instituts für Gender Studies der Universität Freiburg dauert länger. Dort, | |
| bei Callie’s hat sie etliche weiße Zettel an die Wand gepinnt. Auf jedem | |
| ist der Name eines Projekts notiert, an dem die Künstlerin aktuell oder | |
| schon bald arbeitet, kleine, größere und ganz große Projekte, in näherer | |
| und fernerer Zukunft. Offenbar ist es auch für sie selbst nicht leicht, den | |
| Überblick zu bewahren. | |
| Die aktuelle Ausnahmesituation hat die Arbeit für Lewis zweifellos | |
| komplizierter gemacht, das Interesse an ihren Themen und ihrer | |
| Herangehensweise an Kunst aber ist noch gewachsen. „Zu Beginn der Pandemie | |
| war ich sehr nervös und habe mich gefragt, wie es mit meiner Arbeit, die | |
| sich so stark auf das Körperliche konzentriert, weitergehen sollte“, | |
| erzählt sie. Dann aber habe sie entdeckt, dass die Methoden, mit denen sie | |
| live arbeitet, in multiplen Situationen aktiviert werden könnten, wie Sound | |
| und Stimme im Digitalen eingesetzt werden können und dass Haptik nicht | |
| unbedingt bedeutet, etwas tatsächlich zu berühren. | |
| Isabel Lewis, die 1981 in der Dominikanischen Republik geboren ist, | |
| studierte Literaturwissenschaft und Philosophie, durchlief aber zunächst | |
| eine Ausbildung in zeitgenössischem Tanz. Die formalen Strukturen | |
| schreckten sie jedoch ab, stattdessen suchte sie Orte, an denen sie besser | |
| mit ihrem Publikum interagieren konnte: Bars und Clubs, Wohnzimmer, Gärten. | |
| „Für mich war es ein Grundproblem im Tanz, dass ich als Performerin eine | |
| große Vielfalt an Emotionen und angespannten Situationen durchlaufe, das | |
| Publikum das aber aus der Distanz nur mit den Augen miterleben kann“, sagt | |
| sie. Sie wollte daher etwas kreieren, das auch bei den Zuschauer*innen | |
| möglichst den ganzen Körper anspricht, auf multisensorische Weise und | |
| nicht in der gewohnten Theatersituation. | |
| Sich aus dieser zu befreien, war für sie ein logischer Schritt. | |
| „Performance muss nicht bedeuten, dass eine große Menge Menschen | |
| zusammenkommt und in eine Richtung schaut“, sagt Lewis. Performance bei ihr | |
| bedeutet vielmehr oft, dass sich Dinge über einen langen Zeitraum hinweg an | |
| vielen Orten gleichzeitig entwickeln und das Publikum Teil davon wird. | |
| ## Den Geist dehnen | |
| Als eine Zeit des Lernens beschreibt Lewis das vergangene Jahr. „Vielleicht | |
| sehe sie das alles zu positiv“, erklärt sie, aber vielleicht habe es nie | |
| eine bessere Gelegenheit gegeben, neue Formate auszuprobieren, weil das | |
| Publikum bereit sei, sich auf Experimente einzulassen: „Wir müssen | |
| herausfinden, wie wir Situationen entwerfen können, die sowohl künstlerisch | |
| effektiv sind als auch sicher. Distanz an sich ist kein Problem.“ So viel | |
| sei in letzter Zeit darüber gesprochen worden, was zurzeit alles nicht | |
| stattfinden kann, dabei sollte der Fokus eher darauf liegen, was möglich | |
| ist. | |
| Für eines ihrer größeren Projekte auf den Zetteln an der Wand ist das Teil | |
| des Konzepts. „Existing Otherwise“, das kürzlich gestartete Programm der | |
| Galerie Wedding, fragt quasi schon im Titel nach Alternativen, nach | |
| alternativen Zukunftsstrategien und alternativen Formaten. Lewis ist daran | |
| als Künstlerin beteiligt, aber auch als Ko-Kuratorin. Auch sonst ist | |
| manches anders als bei vorherigen Programme der kommunalen Galerie. | |
| Existing Otherwise will vor allem den öffentlichen Raum um die Galerie | |
| Wedding bespielen und es gibt eine Kooperation mit dem Savannah Centre for | |
| Contemporary Art in Tamale (Ghana). Hier wie da sollen ganz in Isabel | |
| Lewis’ Sinne weniger klassische Ausstellungen als vielmehr körperbasierte | |
| Interventionen und Performances im Fokus stehen. | |
| Zum Start Ende April richteten Lewis und Ovesen das „Movement Research | |
| Center“ ein, ein Archiv mit Büchern, Schriften und Filmmaterial, das vor | |
| Ort zu den Öffnungszeiten gesichtet werden kann. Wer mag, kann sich dort | |
| Matten ausbreiten und es sich zum Lesen gemütlich machen, den Geist schon | |
| mal dehnen für das, was für den Körper in den kommenden Monaten folgen | |
| wird. | |
| 24 May 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Erfahrungsraeume-in-der-Kunst/!5516683 | |
| [2] /Neue-Ausstellung-in-der-Galerie-Wedding/!5702812 | |
| ## AUTOREN | |
| Beate Scheder | |
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