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# taz.de -- Ausstellung im Gropius Bau Berlin: Mit Platanen atmen
> Wie politisch sind Pflanzen? Und was können wir Menschen von ihnen
> lernen? Zheng Bo, Artist in Residence am Gropius Bau, sucht nach
> Antworten.
Bild: Zheng Bo: Wanwu Council 萬物社, Installationsansicht im Gropius Bau, 2…
Beim Einatmen, erklärt Zheng Bo mit ruhiger Stimme, sollten wir uns
vorstellen, wir würden an Blumen riechen. Entsprechend langsam sollten wir
den Atem durch die Nase ziehen und dann bis zum letzten Lufthauch wieder
aus dem Körper herauslassen.
Eine kleine Gruppe von Journalist*innen hat sich am Montag während der
Pressevorbesichtigung von Zhengs Ausstellung „Wanwu Council“ im Gropius Bau
zu einer sogenannten „Ecosensibility Exercise“ zusammengefunden.
Solche Übungen, bei denen der Künstler gemeinsam mit geneigten
Besucher*innen Tai Chi mit Bäumen macht, Sonne trinkt, Unkraut zeichnet
oder Pflanzen Lieder vorsingt, eben die Sensibilität für unsere grüne
Umgebung schärft, stehen täglich während der Laufzeit der Ausstellung auf
dem Programm. Zu diesem Zweck hat sich der Gropius Bau in den Außenraum
ausgedehnt. Wo sonst ein Parkplatz ist, steht eine bühnenähnliche Plattform
zwischen den Platanen.
Von seinem Studio im obersten Stock des Museums hatte Zheng die Bäume
gesehen, wie ein Wäldchen sahen sie aus dieser Perspektive aus, „Gropius
Hain“ hat er sie entsprechend genannt. Fraglos viel hübscher klingt das als
Parkplatz, nur beim Aufsichtspersonal hat sich die neue Bezeichnung noch
nicht etabliert.
Jeden Tag eine Zeichnung
Zheng war 2020 der dritte [1][Artist in Residence im Gropius Bau]. Durch
die Pandemie verspätete sich sein Einzug, ein Teil der Arbeiten, die in der
Schau zu sehen sind, entstand noch auf der Insel Lantau in Hongkong, wo der
Künstler eigentlich zu Hause ist. Um einen Jahreszyklus zarter Zeichnungen
von Pflanzen handelt es sich dabei. Zheng fertigt davon jeden Tag eine an.
In der Ausstellung sind sie zeitlich und damit auch thematisch nach dem
Lunisolarkalender sortiert, sie zeigen Pflanzen während der „Großen Hitze�…
unter „Weißem Tau“ oder zur „Herbst-Tagundnachtgleiche“. Vor jedem der
niedrigen Tische liegt ein helles Kissen parat, auf das man sich zur
genaueren Betrachtung niederlassen kann.
Zum Beispiel, um sich die Unterschiede zwischen den Zeichnungen aus
Hongkong und denen aus Deutschland anzusehen: „Bevor ich nach Berlin
gekommen bin, habe ich keinen einzigen Baum gezeichnet“, erklärt Zheng im
Gespräch nach der Pressekonferenz. Auf Lantau seien die Pflanzen so sehr
ineinander verwoben, dass man sie nicht isoliert betrachten oder zeichnen
könne. Und es seien eben andere. In Berlin zeichne er solche, die in der
Stadt wüchsen: Unkraut etwa.
An dem hat Zheng besonders Gefallen gefunden. Unkraut werde meist
übersehen, dabei zeichne dieses eine besondere Stärke aus, schließlich
schafften solche Pflanzen es, auf Straßen allen Widrigkeiten zum Trotz zu
gedeihen. „24 Stunden am Tag ist es laut und verschmutzt – ich würde dort
nicht überleben.“ Ehrlich bewundernd klingt er, als er davon spricht. Zheng
plädiert für einen anderen Blick auf und für mehr Empathie mit den
Gewächsen, für weniger Straßen etwa, um Pflanzen in der Stadt mehr Raum und
Erde zu geben, spontan zu wachsen.
Kunst als ökologischer Aktivismus
Zhengs Kunst lässt sich als eine Form des ökologischen Aktivismus
verstehen. Stets geht es um einen neuen, gleichberechtigteren Umgang
zwischen den Lebensformen, besonders zwischen Menschen und Pflanzen.
Bekannt geworden ist der Künstler vor ein paar Jahren vor allem mit seiner
Videoserie „Plant Porn“, die Männer beim Sex mit Farnen zeigt. [2][In der
Gruppenausstellung „Garten der irdischen Freuden“ im Gropius Bau] war diese
unter anderem zu sehen.
Der Fokus in der neuen Ausstellung ist ein anderer. In der zentralen
Videoarbeit spricht Zheng mit den Wissenschaftler*innen Matthias
Rillig und Roosa Laitinen über das politische Leben der Pflanzen und
darüber, was Menschen von diesem lernen könnten. Um Symbiose geht es dabei
und darum, wie Pflanzen, die ja gezwungen sind, am selben Ort zu bleiben,
ihr Überleben sichern, welche Entscheidungen sie treffen, wie sie sich eben
notgedrungen physisch auf neue Situationen und Bedingungen einstellen, mit
größeren oder kleineren Blüten etwa.
Der Gedanke, den Zheng daraus ableitet, ist bemerkenswert: Ist es
vielleicht das, was uns daran hindert, uns zu verändern und auf Krisen
angemessen zu reagieren? Unsere Mobilität? Ziemlich einleuchtend klingt
jedenfalls, wie er im Interview argumentiert: „Die Pandemie war das
perfekte Beispiel dafür, wie wir gelernt haben, uns an veränderte Umstände
anzupassen, gerade weil wir uns nicht fortbewegen konnten.“
Noch konkreter sollen solche Fragestellungen im August diskutiert werden,
wenn der tatsächliche „Wanwu Council“ zusammenkommt, eine Gruppe von
Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, unter denen
jede*r eine andere Lebensform oder Materie vertritt.
„Wanwu“ übrigens ist ein daoistischer Begriff, der so viel wie „zehntaus…
Dinge“ oder „mehr als menschlich“ bedeutet. So zu verstehen ist auch der
Satz, der aus Weizen aus dem Hof der Schering Stiftung wächst, die mit dem
Gropius Bau kooperiert. Er bringt die Unwichtigkeit des Menschen im
Gesamtgefüge auf den Punkt: „You are the 0.01%“.
24 Jun 2021
## LINKS
[1] /Ausstellung-von-Otobong-Nkanga/!5700457
[2] /Kunst-Natur-und-Pflanzen/!5615225
## AUTOREN
Beate Scheder
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