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# taz.de -- Ausstellung zum Club Studio 54: Von Bianca Jagger bis Oma Doris
> Was von der Disco-Ära blieb: Die Ausstellung „Studio 54 Night Magic“
> vermittelt die dekadente Atmosphäre des New Yorker Clubs.
Bild: Im Jahr 1977 ritt Bianca Jagger auf einem Pferd ins Studio 54
Nile Rodgers und Bernard Edwards waren bedient. An Silvester 1977 standen
die beiden Gehirne der Disco-Band Chic vor dem Club „Studio 54“ in New York
und kamen nicht am Türsteher vorbei: Ihre Namen standen nicht auf der
Gästeliste. Frustriert gingen sie nach Hause und komponierten einen Song:
„Fuck Off“. Aber weil er mit diesem Titel niemals im Radio laufen würde,
änderten Chic den Namen in „Le Freak“. Ihr Song wurde zum Welthit,
verkaufte sich sieben Millionen Mal und wurde als ein „kulturell,
historisch und künstlerisch signifikantes“ Dokument der Disco-Ära sogar in
die US-Library of Congress aufgenommen.
Geschichten wie diese haben das Studio 54 selbst zum Dokument einer Ära
gemacht: „Wenn wir Disco sagen, meinen wir Studio 54“, sagt Matthew
Yokobosky. Er ist Kurator der Ausstellung „Studio 54 Night Magic“, die nach
Stationen in New York und Toronto nun in Dortmund zu sehen ist. Sie erzählt
die Geschichte des umgebauten Opernhauses in Midtown-Manhattan als eine
Zeitkapsel. Die Besucher:innen betreten es zu seiner Eröffnung im Jahr
1977 und verlassen es 1980, als das Studio 54 schließen musste, weil seine
Besitzer wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurden.
In dieser 33 Monate dauernden Gegenwart hat das Studio 54 an seinem eigenen
Mythos gearbeitet: der Ort, an dem der Glam der Reichen und Schönen auf den
Glam der New Yorker Subkultur traf. „Steve Rubell und Ian Schrager, die
Besitzer von Studio 54, wollten, dass sich die Gäste im Club so fühlten wie
bei einem guten Abendessen bei sich zu Hause“, sagt Matthew Yokobosky. „Sie
wollten Buchhalter und Dragqueens und Filmstars zu Gast haben: Menschen,
für die es interessant war, sich einmal im Club zu begegnen.“
Selbst Donald Trump war als aufstrebender Immobilienhai einmal zu Gast,
Augenzeugen beteuern aber, dass er sich nicht getraut hat, dort zu tanzen.
Denn wer im Studio 54 die Tanzfläche betrat, wollte gesehen werden: Sie
befand sich auf der Bühne des ehemaligen Opernhauses. Nicht der DJ war im
Studio 54 der Star, sondern es waren die Tänzer:innen.
Der Club im Museum
Wie aber übersetzt man die Atmosphäre dieses Clubs ins Museum? „Studio 54
Night Magic“ versucht es mit Imitation. „Als ich für die Ausstellung
recherchiert habe, habe ich nach Schlüsselementen gesucht, die das Gefühl
des Ausgehens ins Museum bringen“, sagt Matthew Yokobosky. Er hat drei
Tanzflächen in die Ausstellung gebaut, auf denen Mixe laufen, die im Studio
54 mitgeschnitten wurden: Disco-Hits wie „Boogie Nights“ von Heatwave
stehen neben unbekannteren Stücken wie „It’s got to be real“ von Cheryl
Linn.
Um die Tanzflächen herum hat Kurator Matthew Yokobosky 450
Ausstellungsstücke drapiert. Ein Notizbuch, in dem der DJ Roy Thorpe die
BPM-Zahlen seiner Platten notiert hat, um sie besser mixen zu können, liegt
dort aus, ebenso Getränkemarken mit dem Studio-54-Logo und die 14-seitige
Gästeliste für den Eröffnungsabend.
Der Star der Ausstellung ist jedoch die Mode. Die Fashion-Szene von New
York hatte den Club früh als Spielplatz entdeckt. [1][Designer Halston
schneiderte ein rotes Kleid für Bianca Jagger], die damit auf einem Pferd
zu ihrer Geburtstagsparty im Studio 54 einritt. Halstons Kostüme für Liza
Minnelli bedienten sich wiederum an der Ästhetik der Weimarer Republik, mit
der die Dekadenz von Disco immer wieder verglichen worden ist.
Auch Calvin Klein war ein Fan des Studio 54 und zeigte dort die eng
anliegenden Damenjeans, die zu seinem Markenzeichen werden sollten. Viele
dieser Designerstücke sind in Dortmund ausgestellt. Sie haben wenig von
ihrem Glam verloren, allerdings wirkt die Frauenkleidung heute fast
konventionell im Vergleich zur Männerkleidung, die Yokobosky für seine
Ausstellung gesammelt hat.
Artifizielle Männlichkeit
Der Performancekünstler Richard Gallo ging mit einem Superheldenkostüm aus
schweren Steppdecken im Studio 54 ein und aus. In Dortmund ist ihm und
seiner Exzentrik ein kleiner Raum gewidmet. Auch die eng anliegenden Tops
und Plastikhosen von Fiorucci werden prominent ausgestellt. Sie verkörpern
ein Versprechen auf eine campe, artifizielle Männlichkeit, das nie
eingelöst wurde. Yokobosky stellt die Schnittmuster neben die Originale.
Nur eine Plastikhose musste nachgeschneidert werden. Sie hatte sich im
Laufe der Zeit von Weiß nach Gelb verfärbt.
Flankiert werden die Kleidungsstücke von Fotos, auf denen sie im Studio 54
getragen werden. Sie zeigen die Celebritys, die den Club zu ihrem zweiten
Wohnzimmer gemacht haben. Andy Warhol redet mit der kanadischen First Lady
Margaret Trudeau, ein verschüchterter Michael Jackson beobachtet die
Szenerie und Elton John tut so, als würde er der Dragqueen Divine an die
Brüste fassen.
Es ist den historischen Umständen geschuldet, dass diese Fotos den
Konventionen der Klatschfotografie folgen: Celebritys, die mal authentisch
und mal affektiert lächeln. Denn im Studio 54 herrschte Fotografierverbot,
nur zu besonderen Anlässen durften die Paparazzi der großen Zeitungen den
Club betreten. Dort knipsten sie die Motive, die sie später weiterverkaufen
konnten.
Einen intimeren Einblick in den Club zeigen dagegen die Fotos des New
Yorker Künstlers Miestorm, der als Kellner im Studio 54 arbeitete. Auf
einem Porträt der Dragqueen Rollerena, die stets mit Rollschuhen ausging,
erkennt man im Hintergrund, wie sich die Tänzer:innen in der Musik
verlieren und die schwulen Besucher einander mustern.
Andere Bilder zeigen die halbnackten, durchtrainierten Kellner des Studio
54, die auf Anweisung des schwulen Chefs Steve Rubell stets glatt rasiert
zur Arbeit kommen mussten. Sie sind Zeugnisse einer unschuldigen
Partyszene, die niemals wiederkehren kann. Steve Rubell starb im Jahr 1989
an Aids. Ein kurzer Begleittext erinnert an ihn und all die anderen Opfer
der Pandemie, die dazu beitrug, die Disco-Ära zu beenden.
Kontexte fehlen
An diesen Stellen stößt der Ansatz von „Studio 54 Night Magic“ an seine
Grenzen. Die Ausstellung will Geschichte anhand historischer Objekte
erzählen und verzichtet weitgehend darauf, ihren Kontext zu schildern. So
schreibt sie den Mythos Studio 54 fort, anstatt ihn zu hinterfragen. Denn
auch das Studio 54 war nicht der progressiv-emanzipatorische Raum, zu dem
er im Nachhinein verklärt wurde.
In der New Yorker DJ-Szene war der Club stets umstritten. David Mancuso,
der wohl einflussreichste New Yorker DJ der 1970er Jahre, verabscheute die
oberflächliche Musikauswahl des Studio 54, wo ein DJ gefeuert wurde, weil
er Kraftwerk aufgelegt hatte. Die Tür war für Besucher aus den umliegenden
Stadtteilen fast unüberwindbar, erst recht, wenn sie aus dem
Arbeiter:innenmilieu kamen. Und als die Besitzer vor Gericht standen,
nahmen sie sich Roy Cohn als Anwalt, der in den 1950er Jahren für die
US-Regierung juristisch gegen vermeintliche Kommunist:innen vorgegangen
war.
Reflektierter gehen dagegen zwei Begleitausstellungen mit dem Erbe des
Studio 54 für die Clubkultur um. „hello again“ baut einen fiktiven
Dortmunder Club im Museum auf, wo die Macher:innen der Dortmunder
Clubszene DJ-Workshops geben und über Rassismus und alternative
Lebensentwürfe in der alten Stahlstadt diskutieren.
„Can’t get you out of my head“ zeigt in Dortmunder Clubs
Videoinstallationen wie den Dokumentarfilm „Everybody in the place“, in dem
der britische Künstler Jeremy Deller die Verbindungen von Rave,
Bergarbeiterstreiks und LGBTIQ*-Kämpfen aufzeigt. Denn auch wenn es
historisch nur selten eingelöst wurde, trägt fast jede Clubnacht das
Versprechen in sich, dass die Welt am nächsten Morgen eine bessere sein
kann. Egal, ob sie im Studio 54 in New York stattfindet oder im „Oma Doris“
in der Dortmunder Fußgängerzone.
28 Jun 2021
## LINKS
[1] /Der-amerikanische-Modemacher-Halston/!5775704
## AUTOREN
Christian Werthschulte
## TAGS
Ausstellung
Clubkultur
Disco
Dortmund
Trend
Intendant
Bildende Kunst
Pop
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