# taz.de -- Ausstellung „Temperate“: Erhöhte Temperatur | |
> In der Schering Stiftung versetzt Susanne M. Winterling die | |
> Besucher*innen in die Perspektive von Mikroorganismen – bei 37 Grad | |
> Celsius. | |
Bild: Der Eingangsbereich zu Susanne M. Winterlings Ausstellung „Temperate“… | |
Es empfiehlt sich, vor dem Besuch der Ausstellung von Susanne M. Winterling | |
in der [1][Schering Stiftung] den Wetterbericht zu prüfen. Nicht etwa, weil | |
sich diese im Freien befände und man bei Regen Gefahr liefe, nass zu | |
werden. Nein, es geht um die Temperatur. Die Künstlerin hat den | |
Ausstellungsraum der Stiftung auf kuschelige 37 Grad Celsius erwärmt. | |
Angenehm ist das eher dann, wenn es draußen nicht genauso heiß ist. | |
Eigentlich kennt man das ja eher anders herum – massiv heruntergekühlte | |
Räume vor allem in den großen Museen in südlichen Ländern, wo die niedrige | |
Temperatur konservatorische Gründe hat, aber auch für hitzegeplagte | |
Tourist*innen positive Nebeneffekte haben kann. | |
Für Winterling, die sich in ihrer Kunst mit unterschiedlichen Erklärungs- | |
und Darstellungsmodi unserer Realität beschäftigt – und damit auch oft mit | |
wissenschaftlichen Erkenntnissen –, ist die Manipulation der Temperatur | |
eine konzeptuelle Methode. Sie benutzt sie, um das Publikum ihrer | |
Ausstellung „Temperate – Under your skin, nano carriers through the web of | |
life“ in die Perspektive ihres aktuellen Studienobjekts zu versetzen. | |
Um Mikroorganismen geht es, genauer gesagt um solche, an denen in der | |
Biomedizin geforscht wird, um biolumineszierende Bakterien, die magnetisch | |
gesteuert als Nanocarrier zielgerichtet Medikamente in betroffene | |
Körperregionen transportieren – und das eben logischerweise bei | |
menschlicher Körpertemperatur. | |
## Künstlerische Zusammenarbeit mit Nanoingenieurin | |
Die Forschung an solchen Mikroorganismen ist ebenso faszinierend wie – für | |
alle ohne entsprechende naturwissenschaftliche Kenntnisse – schwer | |
vorstellbar. Die Künstlerin hat sich im Vorfeld der Ausstellung mit der | |
Nanoingenieurin Simone Schürle, die an der ETH in Zürich das Responsive | |
Biomedical Systems Lab leitet und deren Studien in diesem noch jungen | |
Forschungsfeld als bahnbrechend gelten, intensiv ausgetauscht. Die | |
Onkologie könnte Schürles Arbeit beispielsweise revolutionieren. | |
Wenn Krebsmedikamente, die häufig starke Nebenwirkungen verursachen, fortan | |
präzise Tumore und nicht das gesunde Gewebe drumherum ansteuern würden, | |
könnte das die Heilungschancen von Erkrankten stark erhöhen und Beschwerden | |
während der Therapie lindern. | |
Übersetzt hat Winterling das, was sie dort in Schürles Labor erfahren und | |
gesehen hat, in eine Videoprojektion. Ästhetisch gleicht diese dem Blick | |
durchs Mikroskop, sie gibt vor allem eine Vorstellung von den | |
Größenverhältnissen, mehr kann Kunst an dieser Stelle vermutlich gar nicht | |
leisten. Ein Bakterium ist zu sehen, das sich durch das Zellgewebe bewegt, | |
dunkelrote Blutgefäße und darauf der grünlich glimmende Mikroorganismus auf | |
seiner Mission. | |
Mit leuchtenden Körpern kennt sich Winterling aus, nur waren es bislang | |
meist biolumineszente Algen, deren mythologische, metaphorische und | |
medizinische Bedeutung sie mittels unterschiedlicher Disziplinen | |
erforschte. | |
## Zusammenarbeit mit Bikram Yoga Studios | |
Das neue Projekt ist der Versuch, die abstrakte Nanowissenschaft erfahrbar | |
zu machen. In das Bakterium unter der Haut, dessen Größe in Wirklichkeit | |
gerade mal ein Tausendstel des Durchmessers eines Haares umfasst, soll man | |
sich einfühlen, auch physisch, deshalb eben die körperwarme Raumtemperatur | |
und auch die weich fließenden Vorhänge, die als Projektionsflächen dienen | |
und die an das organische fließende Innere des menschlichen Zellgewebes | |
erinnern sollen. | |
Auch in der Schering Stiftung hat Corona in den Kalender gepfuscht. | |
Winterlings Ausstellung wurde mehrfach verschoben und rutschte von der | |
kalten in die warme Jahreszeit, gleichzeitig jedoch hievte die Pandemie das | |
Thema Körpertemperatur auf andere Weise in den Vordergrund, sensibilisierte | |
gewissermaßen für Winterlings Thema. Die Frage, wie man überhaupt | |
Innenräume auf so hohe Temperaturen bekommt, stellte die Schering Stiftung | |
vor Probleme, normale Heizsysteme sind dafür ja nicht ausgerichtet. | |
Christina Landbrecht, Programmleiterin des Bereichs Kunst der Stiftung und | |
Kuratorin der Ausstellung, holte sich letztlich Rat von den Bikram Yoga | |
Studios, die ihre Räume für den Unterricht ähnlich stark erhitzen. | |
Besonders ressourcenschonend ist das sicher nicht, doch die Räume werden | |
immerhin nur aufgeheizt, wenn tatsächlich Besucher*innen kommen. | |
Möglich ist das nur donnerstags bis samstags mit einem vereinbarten Termin. | |
Egal bei welchem Wetter. Und auch wenn der Besuch dann anstrengend sein mag | |
– vielleicht ist es für die Wirkung der Installation sogar noch | |
zuträglicher, diese im Sommer zu besuchen, wenn Wärme nicht als heimelig, | |
sondern eher als lästig wahrgenommen wird. Reaktionen auslösen, ein | |
bisschen stören, das soll Kunst schließlich durchaus. | |
1 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Ausstellungsempfehlung-fuer-Berlin/!5586712 | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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