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# taz.de -- Gruppenausstellung im Schinkel Pavillon: Das Biest mit dem Zaubersp…
> Eine Ausstellung im Schinkel Pavillon befragt das Verhältnis vom Mensch
> zur Natur – und sucht nach alternativen Zukunftsszenarien.
Bild: Ausstellungsansicht, mit Arbeiten von Henri Rousseau und Pamela Rosenkranz
Sehen kann man sie nicht. Sie seien aber da und es gehe ihnen gut,
versichert die Ausstellungsaufsicht. Die Regenwürmer mögen kein Publikum.
Sie bleiben lieber im Erdreich, verrichten ihren Job im Untergrund, da wo
sie die nigerianisch-US-amerikanische Künstlerin Precious Okoyomon
hineingesetzt hat. In ein breites bemoostes Gefäß aus Sedimentgestein
nämlich. Die Erde, die sich in dessen Innerem befindet, graben die Würmer
um, düngen sie mit ihrem Kot, verwandeln sie in fruchtbaren Boden.
An ein Taufbecken soll die Skulptur erinnern, so heißt es im Saaltext,
eines, in dem man die Hände nicht in Weihwasser, sondern in lebendigen
Boden tauche. Beziehungsweise in das Werk jener immer noch oft
unterschätzten Tierart, mit der sich Okoyomon verbündet hat. So kann sie
also aussehen, künstlerische Kooperation über die Grenzen der Spezies
hinweg.
„Ditto, ditto“, so der Titel, ist ein kleines, in sich funktionierendes
Ökosystem, bei dem der Mensch Zaungast bleibt. Glücklicherweise vielleicht.
Vom Zusammenspiel der Arten, der Verflechtung der Lebensformen, von der
Koexistenz menschlichen und nichtmenschlichen Lebens und davon, wie der
Klimawandel genau jenes und damit alles gefährdet, handelt die
Gruppenausstellung „Sun Rise | Sun Set“, die aktuell im Schinkel Pavillon
zu sehen ist.
Blinde Fische
Mitunter kreucht und fleucht es darin wie in Okoyomons Trog. Oder es wird
geschwommen: Unten, gleich im ersten Raum der generationenübergreifenden
und unbedingt sehenswerten Schau, kuratiert von Nina Pohl und Agnes
Gryczkowska, kann sich eine kleine Gruppe von Fischen weniger gut
verstecken. Es handelt sich um solche der Art Astyanax mexicanus. Im Laufe
der Evolution sind sie blind geworden, existieren folglich unabhängig vom
Tag-Nacht-Rhythmus, richten sich stattdessen ganz nach den letztlich
entscheidenderen klimatischen Bedingungen.
Manche Exemplare jedoch haben aufgrund von Zufällen ihre Sehkraft nicht
ganz verloren. Unter den sechs, die Pierre Huyghe in ein verdunkelbares
Aquarium mit grottenähnlicher Tropfsteinlandschaft gesteckt hat, hat genau
eine funktionierende Augen. Auch deren Hell-Dunkel-Phasen sind nun ans
Klima gekoppelt: Ein Geolokalisierungsprogramm steuert die Transparenz der
Scheiben mittels Wetter- und Umgebungsdaten – womöglich ein Zukunftsmodell
nicht nur für jene Fische? Faszinierend auch wie ähnlich Huyghes Szenerie
der auf dem daneben hängenden „Swampangel“ (1940) von [1][Max Ernst]
gleicht. Ernst malte seinen ikonischen Sumpfengel kurz vor seiner Flucht
ins amerikanische Exil. Es ist das Bild eines unheilvollen Lebensraums, der
hier im Zusammenhang der Ausstellung noch an Bedeutungsebenen gewinnt.
So suggeriert auch er ein Neudenken von Ökologie, in dem der Mensch nicht
im Fokus steht, stattdessen vielmehr das Wissen um die Komplexität eines
Systems, in dem alles mit allem zusammenhängt. Im ewigen Kreislauf von
Werden und Vergehen, der inzwischen leider hakt. Im Paradies sind die
Pflanzen vergiftet – oder wie in Joan Fontcubertas Pseudo-Herbarium aus
Plastikmüll zusammengesetzt. Die Welt ist durch die Eingriffe des modernen
Menschen aus dem Gleichgewicht geraten; das Projekt, sich die Natur samt
ihrer Lebewesen Untertan zu machen, scheint radikal gescheitert.
Wie in dem verstörenden Sci-Fi-Film „The Mermaids, or Aiden in Wonderland“
des 2008 in Australien gegründeten indigenen Filmkollektivs Karrabing, der
in einer nicht näher verorteten Zukunft spielt, in der die Erde im Freien
aufgrund des Klimawandels unbewohnbar geworden ist. Zumindest für weiße
Menschen, die indigene Bevölkerung ist hingegen resistent und fortan
vielmehr von ihren Mitmenschen bedroht. Der Film begleitet den
titelgebenden Aiden, einen jungen Indigenen, der sich nach der Entlassung
aus einer Klinik, wo er medizinischen Experimenten ausgesetzt wurde, in
einer zerstörten Landschaft voll fantastischer Wesen wiederfindet. Es ist
eine Dystopie und Abrechnung mit Rassismus, Kapitalismus und staatlicher
Gewalt zugleich.
Demut vor der Kreatur
[2][Monira Al Qadiri] schließt sich mit einer Mahnung zu mehr Demut vor der
Kreatur an, lässt in ihrem Video „Divine Memory“ pink eingefärbte Oktopus…
majestätisch durchs Meer gleiten, so wie sich alle Positionen aufeinander
zu beziehen scheinen.
Kurz vor Ende des Parcours, kurz bevor man dem Habitat der erwähnten
Regenwürmer gegenübersteht, verknoten sich die Themenstränge in [3][Henri
Rousseau]s meisterhafter Interpretation des Märchens von der Schönen und
dem Biest (ca. 1908). Das Bild zeigt eine Frau beim Liebesspiel mit einem
Wolf. In der Hand hält sie einen Zauberspiegel, der ihre inneren Sehnsüchte
sichtbar machen soll, die Abgründe, die Triebhaftigkeit des Menschen. Die
Frage, wer denn nun das Biest sei, das Tier oder der Mensch, hat sich da
aber schon längst selbst beantwortet.
20 Jun 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Beate Scheder
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