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# taz.de -- Finnischer Musiker Vladislav Delay: Bloß keine gerade Linie
> Electronica aus Finnland – Vladislav Delay und sein Album „Rakka II“ si…
> genau die richtige Musik für kurze Mittsommernächte.
Bild: Vladislav Delay (bürgerlich Sasu Ripatti) fand in der arktischen Tundra …
Ach, die Romantik! Vorstellungen, die Menschen haben können, was romantisch
ist und was nicht, mögen auseinandergehen, aber so weit? So weit, dass man
das, was Vladislav Delay in diesem Frühjahr auf seinem Album „Rakka II“
veröffentlicht hat, als „ a romantic summer vision full of hope and
optimism“ beschreiben würde?
Gleich der Auftakt „Rakkn“ beispielsweise: Da rauscht und rattert es vor
sich hin, schnauft wie ein mechanisches Gerät, das aus dem Takt geraten
ist, weil möglicherweise Sand oder anderes störendes Material ins Getriebe
gekommen ist und dort nun herumknirscht. Erst gegen Ende wird die Musik
sanfter, sirrt etwas versöhnlicher aus. Im nächsten, „Raa“ genannt, kommt
ein hämmernder Rhythmus hinzu, unterbrochen von kürzeren melodischeren
Abschnitten, zum Luftholen quasi, bevor das Brodeln wieder einsetzt.
Und so zieht sich der Sound durch, dröhnend, bis zur Mitte des Albums etwa,
bis zu fünften Track, „Rakas“, der vergleichsweise ruhig vor sich
hinstromert. Die Stimmung klärt sich, Noise und Drone gehen in Ambient
über, umschmeicheln die Ohren plötzlich liebevoller und sensibilisieren
diese spätestens dann für die Schönheit dieser auditiven Reizüberflutung,
für die Eleganz und Melodik hinter den furchigen Soundlandschaften, die
Vladislav Delay aufbaut.
Im Facetime-Interview lacht Sasu Ripatti, wie Vladislav Delay eigentlich
heißt, auf die Frage, ob er das ernst meine mit jener romantischen
Sommervision voller Hoffnung und Optimismus. Plattenfirmen wollten eben
immer Plakatives haben, was sie in die Promotion-Waschzettel schreiben
können, sagt er. Ein Spiel sei das. Aber doch: Ein Körnchen Wahrheit stecke
darin.
## Zeit der Pandemie
„Im Vergleich zum ersten Album ist die Musik nun milder. Vielleicht
reflektiert sie schon ein bisschen von meinem Optimismus und Positivismus.“
Dann spricht er von der Zeit der Pandemie, in der sich ein noch so kleiner
Hoffnungsschimmer vorschieben könnte und Positivität verbreiten.
„Rakka“, das Vladislac Delay vor einem guten Jahr, also noch vor der
Ausbreitung von Covid- 19 veröffentlichte, klang definitiv noch rauer,
härter als seine Fortsetzung. Überhaupt sehr viel brutaler, schroffer,
wütender, als man die Musik des 45-jährigen finnischen Produzenten davor
gekannt hatte. „Techno from the end of the world“, lautete damals der
treffende Titel der Besprechung im englischen Guardian.
Die Tonart war neu, doch eigentlich ist genau das nichts Neues, eigentlich
gehe es ihm immer um genau das, sagt Ripatti: sich niemals zu wiederholen.
„Wiederholung ist die Todesstrafe.“ Lieber stößt er die vor den Kopf, die
genau zu wissen glauben, worauf sie sich bei ihm klanglich einlassen.
Unterschiedliche Pseudonyme hat er dafür seit den 1990ern im Laufe seiner
kurvenreichen Karriere benutzt, vielleicht auch um selbst den Überblick zu
behalten.
## Miles Davis
Ripatti ist 1976 in Oulo, der fünftgrößten Stadt Finnlands geboren. Seine
Eltern führten ihn – so heißt es – früh schon zum Jazz, der Trompeter Mi…
Davis war einer seiner frühen Helden. Sogar die Schule habe er geschwänzt,
hat Ripatti vor ein paar Jahren dem Clubmagazin Groove diktiert, nur um zu
Davis’ „Kind of Blue“ Schlagzeug zu üben.
„Kind of Blue“ nannte Ripatti 1997 auch seine Debüt-EP unter seinem
Pseudonym Vladislav Delay, auch wenn er da schon längst elektronisch
unterwegs war, den Jazz schleppt er immer noch mit sich herum, wenn auch
nur als Idee. Vladislav Delay blieb immer Ripattis Alter Ego für
experimentelle Soloprojekte.
Unter dem Namen Luomo machte er indes mit sexy Clubsounds auf sich
aufmerksam, stülpte charttauglichen House über Dub, legte als zuckriges
Extra noch geschmeidigen Gesang darüber. Das Album „Vocalcity“ (2000)
zurrte fester, was als Microhouse in die Lehrbücher eingehen sollte,
erfreute damals Presse wie Publikum gleichermaßen. Im März 2020 kam das
Album remastered noch mal heraus. Richtig gealtert ist es aber doch nicht,
und richtig irre klingt es, hört man es sich im direkten Vergleich zu den
„Rakka“-Alben an.
## Dub-Techno
Auch damals beließ Ripatti es aber nicht dabei, als Uusitalo und Vladislav
Delay empfahl er sich mal den Liebhaber*innen von Dub-Techno, mal
denjenigen, die sich gern in gepflegte Soundlandschaften fallen lassen. Und
er arbeitete für andere, machte Remixe etwa für Rhythm & Sound, Massive
Attack und die Scissor Sisters, spielte Schlagzeug im Moritz von Oswald
Trio.
Rastlos erscheint er, von heute aus betrachtet, eigentlich immer noch, und
sein härtester Kritiker ist er dabei offenbar selbst: „Es ist brutal. Ich
werfe so viel weg. Ich mache Album um Album, und wenn sie nur ein bisschen
so klingen wie etwas, was ich zuvor gemacht habe, sind sie für den Müll.“
Womöglich würde er heute auch einige von denen wegwerfen, mit denen er
früher sein Geld verdiente.
Früher jettete Ripatti um die Welt von Club zu Rave zu Festival. Kein
Wunder, dass ihm das irgendwann zu bunt wurde. Jahrelang war es vor „Rakka“
still um ihn gewesen. Und ziemlich still auch für ihn selbst. [1][Ripatti
tauschte Nordfinnland gegen Berlin ein], Sauna gegen Clubhitze, ein trautes
Leben in der Kleinfamilie statt Nonstop-Partyrummel.
Wirklich zurückgezogen hatte sich Ripatti vom gesamten Musikbusiness. Mit
40 habe er sich gefühlt, als hätte er nie wirklich gelebt, erzählt er,
vermisste die Inspiration. Die Erfahrungen, die er im Musikbusiness gemacht
habe, seit er mit 15 Jahren begonnen hatte, Geld mit seiner Musik zu
verdienen, der immer härtere Wettbewerb um Auftritte, Social Media, der
Druck, die Mechanismen des Markts –„viele Dinge stießen mich zunehmend ab.…
## Yoga und Wandern
Ripatti verkaufte sogar sein Studioequipment, um sich eine Auszeit leisten
zu können, reiste zum ersten Mal in seinem Leben aus privaten Gründen,
praktizierte Yoga, wanderte. Tausende Kilometer sei er durch die arktische
Tundra gezogen. Nachhaltig beeindruckt habe ihn diese Erfahrung, die
Gefühle, die er dort oben, hoch im rauen Norden, in den Bergen hatte, wo
der Sound einzig von Wind und Regen kommt. Die Musik für bei „Rakka“-Alben
entstand aus jenen Erfahrungen heraus, in einem Schwung.
Anders als sonst freilich, komponierte Ripatti hauptsächlich am Rechner,
mit der Hilfe von Software, es entstand Material, das für fünf Alben
gereicht hätte. Das erste Album habe er schnell beisammengehabt und danach
immer noch genug Tracks, mit denen er zufrieden war für das zweite
gefunden. Und, fügt er an: Das von seiner 15-jährigen Tochter gestaltete
Cover konnte auch noch gut eine zweite Farbvariante vertragen.
Keine dritte jedoch. Mit „Rakka“ sei er nun durch. Auch für ihn selbst sei
manches, was er als Vladislav Delay produziere, ziemlich extrem. Dazu
braucht er einen Ausgleich, in Wirklichkeit sei er nämlich, egal was man
von ihm glaube, „a pop person“. Diese wird vermutlich hörbarer auf seiner
kommenden Veröffentlichung, „Fun is Not a Straight Line“. Das Album
erscheint gegen Ende des Monats, nicht unter dem Namen Vladislav Delay. Das
Alias der Pop-Person lautet Ripatti.
21 Jun 2021
## LINKS
[1] /Musikszene-Berlin/!5173478
## AUTOREN
Beate Scheder
## TAGS
elektronische Musik
Noise
Ambient
Techno
Chor
Schwerpunkt Klimawandel
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elektronische Musik
Masha Qrella
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