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# taz.de -- Elektronische Musik von Sofia Kourtesis: Eine Mischung aus Komik un…
> Auf ihrer EP setzt sich Sofia Kourtesis mit ihrer Biografie auseinander.
> Die Stücke auf „Fresia Magdalena“ sind gleichsam melancholisch und
> tanzbar.
Bild: In Peru flog Sofia Kourtesis von der Nonnenschule, weil sie ein anderes M…
Die Beweggründe, nach Berlin zu ziehen, dürften manchmal so unterschiedlich
gar nicht sein, ob man nun aus Lippstadt kommt oder aus Lima. Genau dort,
in der peruanischen Hauptstadt, ist Sofia Kourtesis geboren und
aufgewachsen, und sehr früh, mit 17 Jahren, hat sie ihrem Heimatland den
Rücken gekehrt.
Da hatte sie bereits eine klassische Drop-out-Karriere hinter sich: war von
einer Nonnenschule geflogen, nachdem sie ein anderes Mädchen geküsst hatte,
wurde als junge Schauspielerin angefeindet, weil sie in einem Film über
Inzest mitgespielt hatte. „Ich konnte meine Kreativität nicht entfalten,
ich fühlte mich nicht frei, wurde diskriminiert“, sagt Kourtesis über diese
Zeit. „Es war, als würde immer jemand mit dem Finger auf mich zeigen.“
Ende der Neunziger ging sie nach Deutschland, wie sie erzählt, es folgten
zunächst Stationen in Stuttgart, Freiburg und Frankfurt am Main, ehe sie
länger in Hamburg lebte und schließlich 2009 an der Spree strandete.
Nomadin mit letzter Zuflucht Berlin. Für die deutsche Kultur habe sie schon
immer etwas übrig gehabt: „Eigentlich wollte ich Filmemacherin werden. Ich
habe die [1][Filme von Wim Wenders], Werner Herzog und [2][Rainer Werner
Fassbinder] geliebt, und ich fand die Subkultur und den Underground in
Deutschland spannend.“
## Zwischen House, Techno und Indietronica
An der baden-württembergischen Filmakademie in Ludwigsburg bewirbt sie sich
auch, als sie nach Deutschland kommt, wird aber abgelehnt. In Berlin spielt
sie zunächst in einer HipHop-Band („wir waren sehr schlecht“), später
beginnt sie aufzulegen und eigene Tracks zu produzieren. 2015
veröffentlichte sie eine erste EP, vier Jahre später landete sie beim
renommierten Stockholmer Label Studio Barnhus und wird in der
elektronischen Musikszene bekannter.
Jetzt, wieder zwei Jahre später, läuft ihr Song „La Perla“ im Radio rauf
und runter, die Stücke ihrer neuen EP „Fresia Magdalena“ werden
hunderttausendfach gestreamt und in internationalen Medien wie Pitchfork
gelobt. Kourtesis trifft mit ihren fünf neuen Stücken einen Nerv, sie sind
zwischen House, Techno und Indietronica angesiedelt, melancholisch und
tanzbar zugleich, und sie erzählen von Trauer, Schmerz, Sehnsucht.
Die EP ist ihrem Vater gewidmet, der im August 2020 an Leukämie starb.
Sofia Kourtesis begleitete ihn während seiner letzten Lebensmonate, im
Track „Nicolas“ (der Name des Vaters) sampelt sie seine Stimme.
„Er hat mir das Lesen, die Poesie und die Musik nahegebracht, und als
Rechtsanwalt hat er sich gegen Korruption eingesetzt. Ich fand es
beeindruckend, wie viel er in seine Arbeit investiert hat. Als Musikerin
will ich ein bisschen davon weitertragen“, sagt Kourtesis. „Als er starb,
habe ich eine psychische Krise durchlebt.
## Ein Coming-of-Age-Film als EP
Die EP ist deshalb auch für Menschen, denen es ähnlich geht, nach dem
Motto: ‚Ihr seid nicht alleine‘“. Per Videochat, viel gestikulierend,
spricht sie über ihre Musik, denn dieser Tage ist Kourtesis für eine Weile
in ihrer Heimat. Sie spricht fließend Deutsch, als Kind besuchte sie
zeitweilig auch die Humboldt-Schule in Lima.
„Fresia Magdalena“ wirkt im Ganzen wie eine Coming-of-Age-EP, auf der sich
die Musikerin mit ihrer Biografie auseinandersetzt und die Geschichte ihrer
(peruanisch-griechischen) Familie aufrollt. Im Titel spielt sie zum einen
auf Magdalena del Mar an, den Stadtteil Limas, in dem sie groß wurde, zum
anderen auf ihre Mutter Fresia, die sich für Frauen- und LGBT-Rechte in
Peru einsetze, wie Kourtesis erzählt.
Sie selbst will in die Fußstapfen ihrer Mutter treten, unterstützt etwa
Gahela Cari, die als erste indigene Transperson in den peruanischen
Kongress gewählt werden will.
Dass Kourtesis lange eine unstete, eine Vagabundin war, kommt ihrer Musik
zugute, sind darin doch verschiedenste Einflüsse zu hören. Sie selbst nennt
die Schwergewichte Kraftwerk, Kate Bush, Joy Division und Four Tet als
wichtigste Inspirator:innen und nimmt man den French House noch dazu,
findet sich irgendwo zwischen diesen Polen ihr Sound wieder.
## Einflüsse indigener peruanischer Musik
Mehr als zuvor singt sie auf „Fresia Magdalena“; früher, bei DJ-Sets und
Festivalsauftritten, habe sie sich eher „hinter den Maschinen versteckt“.
Von indigener peruanischer Musik ist sie ebenfalls geprägt, so nennt sie
auch die Harfenistin Laurita Pacheco und die Folk-Gruppe Los Uros del
Titicaca als Einflüsse. Derzeit arbeitet sie zusammen mit der peruanischen
Percussion-Combo Los Hermanos Ballumbrosio an neuen Stücken.
Um ihren Sound zu beschreiben, kommt Kourtesis immer wieder auf die
Filmwelt zurück. „Auf meiner EP kommt die Dunkelheit eines [3][Films von
Guillermo Del Toro] mit der [4][Dramatik von Pedro Almodóvar] zusammen, und
zwischendurch gibt es auch Momente von ‚The Big Lebowski‘“, sagt sie und
versucht so die Mischung aus Komik und Tragik zu fassen. „Meine Musik ist
sehr visuell, sie ist gezeichnet von den Dinge, die ich sehe, von den
Sachen, die ich aufschnappe“, erklärt sie.
Wie sie das meint, kann man in „La Perla“ nachvollziehen. Geschrieben hat
sie den Song, nachdem sie mit ihrem Vater kurz vor dessen Tod am Strand saß
und aufs Meer blickte. Diese Atmosphäre greift sie auf, mit dem hellen
Pluckern und Wabern der Synthesizer, zu denen man sich das Bild einer
flirrenden Meeresoberfläche gut vorstellen kann. „Tratando de
cambiar/Tratando de olvidar“, singt sie dazu, „Ich versuche es zu ändern/
Ich versuche zu vergessen“.
Den Tod ihres Vaters hat Kourtesis inzwischen ganz gut verarbeitet, aktuell
bastelt sie an ihrem ersten Album, das Ende dieses Jahres oder Anfang
kommenden Jahres erscheinen soll, dann hoffentlich auch wieder mit einer
Live-Premiere. Als Nächstes kehrt sie erst mal nach Berlin zurück, wo sie
sich weiterhin sehr wohlfühlt – und bleiben will. „Hier habe ich meinen
Sound gefunden, hier habe ich zu meiner Stimme gefunden“, sagt sie. Es ist
nicht das schlechteste Zeugnis, das sie ihrer Wahlheimat damit ausstellt.
13 Apr 2021
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## AUTOREN
Jens Uthoff
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