| # taz.de -- Debütalbum von Sofia Kourtesis: Jahreszeit der Hoffnung | |
| > Less perfection, more corazon: Die Berliner Peruanerin Sofia Kourtesis | |
| > liefert mit ihrem elektronischen Popalbum „Madres“ den Konsenssound zur | |
| > Zeit. | |
| Bild: Inmitten von Geröll: Sofia Kourtesis | |
| Eigentlich, so erklärte [1][Sofia Kourtesis], sei sie vor allem | |
| „frustrierte Filmemacherin“ – was erstaunt, schließlich ist der | |
| Interviewanlass ihr Soloalbum „Madres“: zehn Tracks mit housigem | |
| elektronischem Pop, flirrend und atmosphärisch abwechslungsreich. | |
| Nach vier EPs gab es für dieses Langstreckendebüt reichlich | |
| Vorschusslorbeeren: von Party People ebenso wie von jenen, die Kourtesis’ | |
| Sound unter Kopfhörern wirken lassen. Denn die aus Peru stammende, in | |
| Berlin lebende Künstlerin kann mehr als pumpende Beats. | |
| Nicht alles auf dem Album klingt wie „Si Te Portas Bonito“, die Vorabsingle | |
| mit balearischem Vibe. Es gibt sprödere Soundskizzen, die sich peu à peu | |
| aufblättern. Im anfangs leicht köchelnden, dann treibenden „El Carmen“ et… | |
| poppt das Straßenleben des gleichnamigen Orts südlich von Lima auf. Dort | |
| ist die afroperuanische Community zu Hause, Kourtesis liebt den Vibe | |
| dieser vielseitigen Community. | |
| ## Die viel besungene U-Bahnstation | |
| Es ist ihr Faible fürs Collagieren, erklärt Kourtesis, über das sich ihre | |
| Liebe zum Film in die Musik einschleicht. Auch bei „Estación Esperanza“ | |
| sind Feldaufnahmen zu hören, aufgenommen bei einer Demo für LBQTI-Rechte in | |
| ihrer Heimat. Die führt die 38-Jährige zusammen mit einem Sample ihrer | |
| frühen musikalischen Liebe, dem französischen Superstar [2][Manu Chao. | |
| Dessen Album von 2001 hieß „Próxima Estación: Esperanza“], wofür Chao | |
| prosaisch die Ansage der Madrider U-Bahn gesampelt hatte: „Nächste Station: | |
| Hoffnung“. | |
| Doch weil Estación nicht nur Station bedeutet, sondern auch Saison, ruft | |
| Kourtesis nun die Jahreszeit der Hoffnung aus – auch darauf hoffend, dass | |
| Teenagern im katholisch geprägten Lateinamerika heute nicht mehr erleben | |
| müssen, was ihr widerfuhr, als sie mit 13 beim Knutschen mit einem Mädchen | |
| erwischt wurde – und fortan nicht nur von Mitschüler:innen gemieden, | |
| sondern von Autoritäten gegängelt wurde: Lehrern, Psychologen und natürlich | |
| vom Pfarrer. | |
| Ihr Tracks erzählen Geschichten, wirken tatsächlich sehr filmisch. Ihr | |
| Filmfaible war es auch, das die Künstlerin vor knapp 20 Jahren nach | |
| Deutschland führte. Im Gepäck eine Mappe für die Ludwigsburger | |
| Filmhochschule. Ein Detail hatte sie jedoch übersehen: Studieren kann man | |
| dort erst ab 25. | |
| ## Durch die queerfeindliche Mangel gedreht | |
| Doch Peru, wo man sie durch die queerfeindliche Mangel gedreht hatte, war | |
| kein Ort zum Erwachsenwerden. Sie blieb in Deutschland, studierte und | |
| landete über Köln und Hamburg schließlich in Berlin. | |
| Am Anfang ihres Musikschaffens stand HipHop. Als Rapperin sei sie jedoch | |
| „soooo whack“. Doch sie mochte die Produktionsweise, das Collagenhafte – | |
| und nahm diesen Ansatz mit in die elektronische Musik: „Toll ist: Man hat | |
| beim Bauen eines Tracks endlose Freiheit. Bevor ich einen Song komponiere, | |
| sehe ich ein Bild. Mit Leuten, denen ich begegnet bin, und Orten, an die | |
| ich gehe, und Sachen, die ich tue.“ | |
| Ihr Motto beim Produzieren: Less perfection, more corazon. Ihr Herz, | |
| erklärt sie, schlage immer noch lateinamerikanisch, „mein Motor ist aber | |
| eher deutsch“. Zwischen den Welten zu pendeln, versteht sie als Privileg. | |
| ## Lebensbedrohliche Krankheit | |
| Zuletzt verlangte ihr das Leben zwischen Peru und Deutschland allerdings | |
| eine Menge ab. Nach dem Tod ihres Vaters, den sie im elegischen „La Perla“ | |
| (2021) verarbeitet, erkrankte ihre Mutter an Krebs – gerade, als Sofia | |
| richtig durchstartete. Der Lungenkrebs hatte eine lebensbedrohliche | |
| Metastase im Gehirn gebildet, an die sich keiner der Ärzte rantraute. | |
| Kourtesis recherchierte, dass es weltweit drei Neurochirurgen gibt, die | |
| solch heikle Operationen durchführen. Einer davon: der Berliner Professor | |
| Peter Vajkoczy. Auf offiziellem Weg einen Termin zu bekommen, war unmöglich | |
| und so postete Kourtesis verzweifelt auf Instagram, dass sie ihm einen Song | |
| widmen würde, wenn er ihren Fall anhöre. Tatsächlich meldete Vajkoczy sich | |
| zurück und operierte ihre Mutter. | |
| Der geht es nun den Umständen entsprechend gut, sogar zusammen verreisen | |
| können die beiden. Ins Berghain hat Kourtesis ihren Retter, der sie „ihr | |
| freundliches Ufo“ nannte, seither auch schon mitgenommen. Der dem | |
| Neurochirurgen gewidmete Track klingt, kaum überraschend, über fiependen | |
| Analogsound so federnd wie optimistisch, darüber hallt „Gotta make it“. | |
| Der Albumtitel bezieht sich übrigens nicht nur auf Kourtesis’ Mutter. Nicht | |
| umsonst steht er im Plural. Er sei „allen gewidmet, die beschützen, was sie | |
| lieben“. | |
| 7 Nov 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stephanie Grimm | |
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