# taz.de -- Ausstellung „Ruhr Ding: Klima“: Klimakunst im Kohlenpott | |
> Die Ausstellung „Ruhr Ding: Klima“ lädt ein zur Entdeckungsreise. Ihre | |
> Werke sind an Orten in vier Ruhrgebietsstädten entstanden. | |
Bild: Der Künstler Hayden Fowler mit „Death of Worlds“ | |
Das Schmalblättrige Wollgras, die Quirlblättrige Knorpelmiere oder der | |
Gewöhnliche Wacholder – all diese Pflanzen waren einmal im Ruhrgebiet | |
ansässig. In den vergangenen 130 Jahren sind sie ohne großen Protest der | |
Industrie gewichen, die die Landschaft über Jahrzehnte zum „Kohlenpott“ | |
machte – ein Bild, das sich bis heute in vielen Köpfen festgesetzt hat: Von | |
rauchenden Schloten dominierte Städte mit rußschwarzen Gebäuden und kaum | |
Luft zum Atmen. | |
Es ergibt also durchaus Sinn, in diesem Gebiet eine große Ausstellung im | |
öffentlichen Raum zum Thema „Klima“ anzusiedeln. „Ruhr Ding: Klima“ he… | |
sie und lädt dazu ein, die Städte Gelsenkirchen, Herne, Recklinghausen und | |
Haltern am See ganz neu zu entdecken – und dabei auch der Knorpelmiere zu | |
begegnen. | |
Das „Ruhr Ding“ als Ausstellungsformat hat sich Britta Peters ausgedacht. | |
Sie übernahm vor drei Jahren das Ruder bei der Institution Urbane Künste | |
Ruhr, die Kunst in den öffentlichen Raum des Ruhrgebiets bringt. Britta | |
Peters hat davor unter anderem an der Seite von Kasper König die Skulptur | |
Projekte Münster kuratiert. | |
Sie weiß also, wie man mit ortsspezifischen Kunstwerken Irritationen und | |
Diskussionen auslösen – und Schönes schaffen kann. Ein Teil dieser | |
irritierenden Schönheit ist die Arbeit „Death of Worlds“ des in Neuseeland | |
geborenen Künstler Hayden Fowler, der auf das Gelände der Recklinghausener | |
Zeche General Blumenthal eine Biokuppel gebaut hat. | |
## Chaos Computer Club zieht in die Zeche | |
Die Zeche General Blumenthal ist nicht wie viele andere ehemalige | |
Industriegebäude im Ruhrgebiet entweder abgerissen, zu schicken | |
Loftwohnungen oder Hochkulturorten umfunktioniert worden. Sie war bis in | |
die 1990er Jahre in Betrieb und sieht jetzt, kurz vor der Umnutzung durch | |
unter anderem den Chaos Computer Club, immer noch aus, als hätten die | |
Bergleute sie gerade erst verlassen. | |
Man atmet den Staub und sieht den Dreck, wandert vorbei an glanzlackigen | |
Skulpturen, deren Haptik [1][an Jeff Koons erinnert,] die aber von Monira | |
Al Qadiri sind und vergrößerte Bohrköpfe darstellen. Durch einen schmalen | |
Tunnel geht es in die Biokuppel und zum ersten Mal so richtig auf | |
Tuchfühlung mit dem Thema. | |
In der Kuppel herrscht nämlich ein anderes Mikroklima: Es ist sehr feucht, | |
was die Außentemperatur verstärkt, also Wärme oder Kälte stärker spüren | |
lässt. Wasser fließt in Rinnsalen, formt die Anmutung eines Moorgebiets. | |
Kleine Mücken schwirren durch die Luft, ein Pilz breitet sich überall aus | |
(„Der Künstler sagt, das wäre kein Problem“, informiert die besorgt | |
wirkende Britta Peters) und irgendwo in den verschiedenen Schattierungen | |
von Grün zeigt sich auch zaghaft die Quirlblättrige Knorpelmiere. Der | |
Künstler hat mit dem Botanischen Garten der Ruhr-Universität | |
zusammengearbeitet, um die hier einst heimische Flora zu recherchieren, | |
einige Samen fand er nur noch in Indien. | |
## Parlament für Mikroorganismen | |
Es gibt weitere Arbeiten des „Ruhr Dings“, die sich direkt auf die | |
Auswirkungen der Industrialisierung auf das Klima beziehen. Club Real zum | |
Beispiel, die wie an anderen Orten zuvor am Gelsenkirchener Consol-Theater | |
ein Parlament eingerichtet haben, in dem Menschen dort ansässige | |
Mikroorganismen vertreten. Die Gruppe hat ausgerechnet: 800.000 Jahre würde | |
es dauern, bis die Pflanzen auf dem ehemaligen Zechengelände den | |
CO2-Ausstoß der Industriezeit wieder ausgleichen würden. | |
Beziehungsweise sind es jetzt nur noch 799.999 Jahre, denn das „Ruhr Ding“ | |
startet wegen Corona mit einem Jahr Verspätung und ein Fassadenkletterer | |
hat die Zahl am Consol-Theater in einer spektakulären Aktion geändert. | |
Doch es gibt auch Werke, die sich dem Thema Klima ganz anders nähern. | |
Besonders spannend in Herne: Da hat die [2][Dortmunderin] Silke Schönfeld | |
(die Kooperation mit Künstler*innen und Institutionen vor Ort ist Britta | |
Peters wichtig) eine alte McDonald’s-Filiale in einem eher | |
heruntergekommenen Teil der Fußgängerzone Bahnhofstraße erfahrbar gemacht. | |
„Familiy Business“ heißt ihre Rauminstallation, in der drei Filme laufen, | |
die die Geschichte der Besitzerfamilie, des Fast-Food-Franchisenehmers und | |
von Mitarbeitenden dokumentieren. | |
Mobiliar und Großküche sind noch original vorhanden – und so erzählt diese | |
Station auf mehreren Ebenen vom Klima: davon, was der Klimawandel mit | |
unserer Ernährungsweise zu tun hat; davon, wie unsere Ernährungsweise mit | |
unserer Art zu leben und zu arbeiten zu tun hat; davon, wie der Lebensstil | |
in einer Region wie dem Ruhrgebiet mit Wohlstand und Strukturwandel zu tun | |
hat. | |
## Geisterspiele im Herner Hochhaus | |
Voll mit diesen Gedanken betritt man den Aufzug eines der | |
[3][brutalistischen Hochhäuser] an der Herner Kreuzkirche, deren | |
Architektur ganz ohne künstlerische Intervention vom krassen urbanen Wandel | |
erzählt, den die Innenstadt durchgemacht hat. | |
Im zehnten Stock hat die Netzkunst-Pionierin Natalie Bookchin die | |
Rauminstallation „Geisterspiele“ geschaffen, die sich auf eine ganze | |
verlassene Wohnung erstreckt, und darin klug und sensibel Film- und | |
Tonmaterial aus der Welt im Lockdown aufeinander abgestimmt, als die | |
Geräusche von Haus und Wohnung und Blicke aus dem Fenster wichtiger waren | |
als sonst und der Planet kurz Pause hatte von diesem zerstörerischen Virus, | |
das er sich eingefangen hat: dem Menschen. | |
Weil sie sicher sowieso ein Selbstläufer werden, sollen sie hier nur noch | |
kurz, aber doch erwähnt werden: die Stationen am Silbersee II in Haltern. | |
Wo die Menschen des Ruhrgebiets heute kurze Strandurlaubs-Nachmittage | |
einlegen, wurde einst Quarzsand gewonnen und noch davor bestand dort ein | |
Gefangenenlager des Ersten Weltkriegs. | |
An die Geschichte, die unter der Wasseroberfläche verborgen liegt und gärt, | |
erinnern Jeewi Lees dicke Luftblasen, die ab und zu an die Oberfläche | |
schießen. Und Skulpturen wie die Sandburg „Clouded in Vain“ von Mariechen | |
Danz und Kerstin Brätsch, die wie ins Fantastische gesteigerter | |
Sowjetrealismus wirkt, haben auch einfach großen Schauwert. | |
10 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Max Florian Kühlem | |
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