| # taz.de -- Kunst im öffentlichen Raum: Profanes und Erhabenes | |
| > In Frankfurt entbrennt ein Streit unter Künstlern. Der eine präsentiert | |
| > Kunst, in der man pinkeln kann, der andere protestiert dagegen. | |
| Bild: Der „Frankfurter Schacht“ von Cyprien Gaillard (Detail) | |
| Auf den ersten Blick wirkt der granitgraue Monolith am Rande der | |
| Frankfurter Taunusanlage wie ein weiterer Beitrag zur schnöden | |
| Zweckarchitektur der öffentlichen Infrastruktur. Ein Lüftungsschacht, ein | |
| Noteinstieg zum darunterliegenden S-Bahn-Tunnel? Wer die schwere Metalltür, | |
| die Pforte zum Monolith aufzieht, dem offenbart sich das Geheimnis: | |
| Plötzlich befindet man sich mitten im „Frankfurter Schacht“, einem gerade | |
| eröffneten [1][Kunstwerk von Cyprien Gaillard]. | |
| Ein begehbarer Zylinder, in dem man allein durch die akustischen Effekte | |
| umgehend auf sich selbst zurückgeworfen wird. Ausgekleidet mit kostbarem, | |
| rosafarbenem Onyx. Wer seinen Blick nach oben richtet, kann in den freien | |
| Himmel blicken und auf die Spitze der Bankentürme, die sich da gerade noch | |
| abzeichnen. | |
| Nach unten blickt man in den vergitterten Abgrund: Anfallende Flüssigkeiten | |
| fließen über eine Auffangfläche in einen darunter befindlichen Tank. | |
| Natürlich kein Zufall, sondern vom Künstler genau so geplant – es ist dies | |
| wörtlich Kunst, in die (und in der!) man pinkeln kann. | |
| Zugleich beschränkt sie sich nicht auf diese Funktion. Wörtlicher kann man | |
| das Erhabene und das Profane, die Kunst und den Menschen, der ihr erst | |
| Bedeutung verleiht, nicht zusammenbringen. Obendrein ist alles gut | |
| durchdacht – die schwere Eisentür beispielsweise lässt sich dank des | |
| angebrachten Rings bei Bedarf von innen tatsächlich so zuhalten, dass sie | |
| von außen nicht geöffnet werden kann. | |
| ## Hilferuf und Protest-Performance | |
| Getrübt wurde die Freude um die Arbeit, kuratiert und koordiniert vom | |
| Museum für Moderne Kunst (MMK), im Vorfeld nur durch einen Hilferuf des | |
| Aktionskünstlers Vollrad Kutscher, dessen Arbeiten unter anderem in der | |
| Berliner Geldkunst-Sammlung Haupt vertreten sind. An selber Stelle hatte | |
| der nämlich zur Euro-Einführung sein „Pfennig-Denkmal“, eine kleine | |
| Plakette nebst 24 Pfennigen, im Boden mit direkter Achse zur | |
| gegenüberliegenden Deutschen Bank eingelassen. | |
| Während der Bauarbeiten war die Arbeit verschwunden, inzwischen ist sie | |
| leicht versetzt wieder aufgetaucht. Kutscher kündigte rechtliche Schritte | |
| an, führte eine Protest-Performance am Platz auf und holte sich durch | |
| Kurator Kasper König einen prominenten Diskussionspartner ins Boot. | |
| Wie steht’s nun wirklich um die [2][Kunst im öffentlichen Raum] und ihre | |
| Wertschätzung? Tatsächlich könnten beide Arbeiten unterschiedlicher kaum | |
| sein: Hier das etwas verschroben wirkende Kunstwerk, das in Eigenregie | |
| angefertigt und der Stadt überlassen wurde, dort das in Auftrag gegebene | |
| Werk von beachtlichem kulturellen Kapital, das man ohne Vorwissen ganz | |
| zeitgemäß erleben kann. | |
| Wo genau es zwischen Museum, diversen beteiligten Ämtern und Kutscher in | |
| der Kommunikation haperte, darüber will jetzt niemand mehr so genau | |
| sprechen – zwischenzeitlich soll es eine Einigung gegeben haben. Beide | |
| Künstler, betont MMK-Direktorin Susanne Pfeffer, schätzten das Werk des | |
| anderen. | |
| Kurz nach unserem Telefonat trafen sich beide Seiten zum Gespräch. Das wäre | |
| dann tatsächlich mal ein Happy End für die Kunst dieser Tage: Kutscher wird | |
| alljährlich das Lied „Pfennig ade“ an seinem bautechnisch bedingt nun | |
| minimal verlegten Denkmal anstimmen können. Und Gaillards Werk darf sein | |
| Versprechen einlösen, dem Menschen im öffentlichen Raum zu dienen, Tag und | |
| Nacht, bei Wind und Wetter. | |
| 22 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina J. Cichosch | |
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