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# taz.de -- Gemälde zur Industrialisierung: Schornsteine, Straßen, ein Fluss
> Die Hamburger Ausstellung „Moderne Zeiten“ zeigt Industrie in Malerei und
> Fotos. Es rücken weniger die Arbeit als die Arbeiter:innen in den
> Fokus.
Bild: Die Sendemasten in Franz Radziwills „Der Sender Norddeich“ zeugen von…
Schwarzer Qualm vor blauem Himmel. Die Schlote, die Carl Eduard Biermann
1847 mit „Borsig’s Maschinenbau-Anstalt zu Berlin“ malte, sind keine
pestenden Mahnmale, es sind Akzente in einem Natur-Industrie-Arrangement,
das Züge einer Idylle zeigt: Ein Uhrturm strukturiert das Geschehen,
einzelne Arbeiter sind zu erkennen, von rechts schleppt ein Pferdefuhrwerk
eine Lokomotive aufs Gelände. Die Maschine ist schon da, aber bis auf
Weiteres steht die traditionelle Arbeit noch im Vordergrund.
Biermanns idealisierendes Gemälde ist eines der ältesten Exponate der
Ausstellung „Moderne Zeiten. Industrie im Blick von Malerei und Fotografie“
im Hamburger Bucerius Kunst Forum, eine Auftragsarbeit, mit der die
Berliner Borsigwerke den eigenen Rang dokumentieren ließen, als so
menschenfreundliche wie effektive Variante humanen Arbeitens.
Die Kurator:innen Kathrin Baumstark und Ulrich Pohlmann zeigen zunächst
vergleichbare Arbeiten, in denen die Fabriken zu Kathedralen werden, die
Industriellen zu gottgleichen Herrschern und die Arbeiter:innen zur
feudal strukturierten Gesellschaft.
Zu Beginn des Industriezeitalters konnte man die Fabrikgelände nicht so
einfach besuchen, Malprojekte ließen sich nur durch Aufträge realisieren,
und dabei entstanden dann meist Darstellungen mit, freundlich gesagt,
beschönigendem Charakter.
## Stetiger Zerfall des Menschlichen
Das freilich blieb nicht so. Die Ausstellung ist chronologisch
strukturiert, das ist als Hängung eher weniger spektakulär, dokumentiert
aber schön, wie sich industrialisierungskritische Motive in die Bilder
einschrieben. Die im Pesthauch schuftenden Tagelöhner in Ernest-Jean
Delahayes „L’usine à gaz de Courcelles“ (1884), die geschundenen
Bergbaulandschaften in Constantin Meuniers „Au pays noir“ (1893), die
leeren Blicke der Fabrikbelegschaft auf dem Weg in den trostlosen
Feierabend in [1][Hans Baluscheks] „Arbeiterinnen“ (1900) zeigen die
Industrialisierung als stetigen Zerfall des Menschlichen.
Und zwischendurch immer wieder ungebrochene Freude am Fortschritt, wie in
Oskar Nerlingers „An die Arbeit“ (1930), wo der rauchende Schornstein als
unaufhaltsam in die Höhe strebende Zukunftshoffnung fungiert.
Fortschrittsbegeisterung bei gleichzeitiger Skepsis, das sind die beiden
Pole, aus deren Gegenüberstellung die Ausstellung über weite Strecken ihre
Spannung zieht. Ein Still aus [2][Chaplins titelgebendem Film „Modern
Times“ (1936)] ist da eher ein Fremdkörper, weil er den Genrebezug der
Ausstellung ignoriert.
Zumal sich diese Spannung auch medial fortsetzt: Ziemlich früh nämlich wird
die Malerei von der Fotografie als führendem Medium der
Industriedarstellung abgelöst. Das hatte zunächst praktische Gründe – um
für die Versicherungen die ordnungsgemäße Arbeit zu dokumentieren, wurden
beim Eisenbahnbau ab 1870 Fotografen beauftragt, was der Ausstellung
faszinierende Vintage-Aufnahmen der Hamburger Elbbrücken verschafft.
Folgerichtig prägen daraufhin die Fotograf:innen immer mehr die Schau,
von Hugo van Verdens Panorama „Die Krupp’sche Gussstahlfabrik, Essen“
(1864) über Félix Thiolliers apokalyptische Fotoserien aus der
Bergbauregion um Saint-Étienne (um 1900) bis zu Peter Keetmans an die
Ästhetik der Neuen Sachlichkeit angelehnter Serie „Eine Woche im
Volkswagenwerk“ (1953). Derweil nimmt die Qualität der Malerei
kontinuierlich ab – Arbeiten wie Conrad Felixmüllers „Hochöfen,
Klöckner-Werke, Haspe, nachts“ (1927) oder Franz Radziwills „Der Sender
Norddeich“ (1933) jedenfalls kommen da künstlerisch nicht mehr mit.
## Ästhetische Darstellung der Arbeiter:innen
Ausnahme sind die Darstellungen der Arbeiter:innen. Auch hier holen die
Fotografien ästhetisch auf, mit August Sanders sozialkritischen
Ruhrgebiets-Serien (um 1930) ebenso wie mit der nahezu pornografisch
anmutenden Feier des Arbeiterkörpers durch Herbert List („Hafenarbeiter in
Viareggio, Italien“, 1936) und Arkadi Schaichet („Komsomolze am
Handradsteuer“, 1929).
Aber dann findet man doch immer wieder beeindruckende Gemälde, Georg
Friedrich Zundels „Streik“ (1903) oder Otto Nagels berührendes
„Anilinarbeiter“ (1928). Heißt eben auch: Die Arbeit ist nicht mehr im
Fokus des Interesses, interessant sind die Arbeiter:innen.
Und dass Künstlerinnen hier bis auf wenige Ausnahmen fehlen, ist wohl
ebenso ein Manko der Ausstellung, wie die Aussparung großer Teile der
Kunstproduktion im selbsternannten Arbeiter-und-Bauern-Staat DDR.
[3][Immerhin, mit Evelyn Richter ist eine bedeutende ostdeutsche Fotografin
dabei.]
Im letzten Schritt scheint die Arbeit dann ganz zu verschwinden.
Automatisierung und Digitalisierung schaffen cleane Arbeitswelten,
angefangen bei den strukturellen Serien Bernd und Hilla Bechers über Robert
Voits „New Trees“-Serie (2006) bis hin zu Timm Rauters Bildern „Gehäuse …
Unsichtbaren“ (1989), die die sterile Arbeitsatmosphäre bei Siemens in
München dokumentieren.
## Katastrophen gefährden die Industrie
Die Industrie als dreckiger, gefährlicher Ort bricht nur noch von Zeit zu
Zeit durch Katastrophen ein – in Daniel Beltrás schrecklich schönen Bildern
des sterbenden Golfs von Mexiko nach dem Kollaps der Ölplattform Deepwater
Horizon (2010) etwa.
Im Grunde ist die Arbeitswelt aber mittlerweile längst wieder eine, die der
von 1847 frappierend ähnelt. Bernd Schwerings großformatiges Gemälde
„Alsumer Berg“ (2005) zeigt einen Industriepark bei Bochum, Schornsteine,
Straßen, ein Fluss in schreiend hellen Farben. Weiße Wölkchen vor blauem
Himmel.
16 Jul 2021
## LINKS
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[3] /Ausstellung-zu-DDR-Fotografie/!5079395
## AUTOREN
Falk Schreiber
## TAGS
Kunst
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