| # taz.de -- Bildband mit Fotos aus DDR-Betrieben: Gesichter der Arbeit | |
| > Günter Krawutschkes Fotos zeigen Arbeit und Gemeinsinn im Sozialismus. | |
| > Neben Heroismus sind Überanstrengung und veraltete Maschinen zu sehen. | |
| Bild: Lenchen Möller macht sich hübsch, VEB Elektrokohle Lichtenberg (EKL), B… | |
| Großformatige Aufnahmen von Menschen bei der Arbeit. Rauchende Schlote und | |
| schwitzende Männer in Schutzkleidung. Mützenbewehrte Gesichter schauen mit | |
| zeitlosem Ausdruck in die Kamera. Alles natürlich in Schwarz-Weiß. Als Kind | |
| des Ruhrgebiets kenne ich solche Aufnahmen gut. Fotoausstellungen auf Zeche | |
| Zollverein oder im Duisburger Landschaftspark Nord weisen große Ähnlichkeit | |
| mit Günter Krawutschkes Bildern aus den „Volkseigenen Betrieben“ Ostberlins | |
| auf, die nun im Sammelband erschienen sind. Dabei gibt es jedoch | |
| entscheidende Unterschiede. | |
| Nach einer [1][Ausstellung im Berliner Technikmuseum 2019] hat dieses | |
| gemeinsam mit dem be.bra Verlag das Fotobuch „Gesichter der Arbeit“ | |
| veröffentlicht, das am 23. Juni im wiedereröffneten DDR-Museum vorgestellt | |
| wurde. Günter Krawutschke wurde 1940 in Staßfurt, Sachsen-Anhalt geboren | |
| und zog 1956 nach Ostberlin. Dort arbeitete er zunächst als Kameraassistent | |
| für den Deutschen Fernsehfunk, danach als Bildreporter für die Berliner | |
| Zeitung und absolvierte parallel eine Fotografenlehre und ein Fernstudium | |
| an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. | |
| In den vergangenen Jahren erwarb das Technikmuseum über 17.000 Arbeiten des | |
| Fotografen. Alle Bilder im Band schoss Krawutschke mit seiner | |
| Pentacon-Kamera. Unter den Fotos befinden sich ausdrucksstarke Porträts, | |
| dynamische Gruppenszenen und detailreiche Nahaufnahmen, Totalen von | |
| Kokereien, Hochöfen und Hafenanlagen. Der Vorzeigebrigardier Gehrard Voß | |
| schaut klug und gelassen, Lenchen Möller von [2][Elektrokohle Lichtenberg] | |
| lacht mit zwei Goldzähen verschmitzt dem Fotografen entgegen. In ihrer Hand | |
| ein Kamm – wollte sie sich doch gerade noch für das Porträt hübsch machen. | |
| Mehr noch als von ihrer Industriegeschichte erzählen die Bilder davon, wie | |
| die Gesellschaft der DDR funktionierte. Vergleicht man die Aufnahmen aus | |
| Berlin und Umgebung zum Beispiel mit jenen des britischen Fotografen Peter | |
| Dewhurst, fällt die Abwesenheit von privatem Raum auf. | |
| ## Individuum oder Kollektiv | |
| Während Dewhursts Fotos aus dem nordenglischen Sheffield der 70er Jahre | |
| großes Augenmerk auf das Zuhause und die individuelle Freizeitgestaltung | |
| seiner Bewohner legen, zeigen Krawutschkes Bilder das Kollektiv. | |
| Kantinenszenen, gemeinsame Pausengymnastik oder die Faschingsfeier der | |
| Elektro-Apparate-Werke in Treptow anstelle des einzelnen Bergmanns am | |
| Tresen oder des stolzen Taubenzüchters mit seinem Siegervogel. Im | |
| Sozialismus gehörte eben auch die Freizeit der Gemeinschaft. | |
| Ein weiterer Umstand fällt noch mehr ins Auge. Frauen sind allgegenwärtig | |
| in „Gesichter der Arbeit“. Entlang der Rangiergleise schreitet eine | |
| Bahnbrigade den Betrachter:innen entgegen. Auf den Köpfen der glücklich | |
| dreinblickenden jungen Männer sitzen Eisenbahnermützen, ihre Handschuhe | |
| haben sie ausgezogen und halten sie locker in den Händen. Vorweg, mit | |
| selbstbewusstem Ausdruck läuft die Vorarbeiterin, Notizblock und Stift in | |
| der Hand. | |
| In der DDR übte beinahe jede Frau einen Beruf aus. Auch in der traditionell | |
| männerdominierten Industrie betrug ihr Anteil immerhin 41 Prozent. Während | |
| die BRD noch lange an Gesetzen wie dem Gehorsamkeitsparagrafen festhielt, | |
| der die Einwilligung des Ehemannes zur Erwerbstätigkeit von Frauen | |
| vorschrieb, waren im Osten gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit gesetzlich | |
| festgeschrieben. Auch wenn Frauen in Führungspositionen eher eine | |
| Seltenheit blieben, lag die DDR bei ihrer Beschäftigungsquote an der | |
| Weltspitze. | |
| ## Tatkraft und Missstände | |
| Ist das Buch also ein Loblied auf den Sozialismus? Nicht ganz. Neben | |
| ungezwungenem Umgang von Vorgesetzten mit Untergebenen und der heroischen | |
| Tatkraft des Kollektivs zeigen Krawutschkes Bilder eben auch Missstände in | |
| den volkseigenen Betrieben auf. Neben Kameradschaft und Gemeinsinn sieht | |
| man Überanstrengung, fehlenden Arbeitsschutz und veraltete Maschinen. Der | |
| junge Mann, der sich weg von seiner Arbeit an der Metallpresse der Kamera | |
| zudreht und sich das schweißnasse Gesicht abwischt, wirkt völlig erschöpft. | |
| Wie aus der Zeit gefallen scheinen einige Bilder. Dass es sich bei der | |
| Abbildung des Warnstreiks der Ostberliner Müllfahrer um eine Aufnahme aus | |
| dem Jahr 1990 handelt, verrät lediglich die Bildunterschrift. Genauso gut | |
| könnte das eine von Anton Tripps Industriefotografien aus dem Ruhrgebiet | |
| der 1950er Jahre sein. | |
| Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kam es in der sowjetischen Besatzungszone | |
| zu massiven Demontagen in den Bereichen Bergbau, Metall- und | |
| Chemieindustrie. Im Rahmen der Reparationsleistungen verlor die DDR bis | |
| 1953 fast ein Drittel ihrer Produktionsmittel. Der Inhalt ganzer Fabriken | |
| wurde nach Russland transportiert, Braunkohlebagger, Walzen und Pressen | |
| wurden verladen, Bahnstrecken wurden abgebaut. Das wirkte sich auf die | |
| Arbeitsweise in der DDR aus. | |
| Dass Handarbeit angesagt war, zeigen Krawutschkes Fotos beim Verlegen von | |
| Abwasserrohren durch eine Baubrigade in Marzahn. Auch die Problematik der | |
| Wende bleibt nicht unbeachtet. Die letzten Seiten des Buches zeigen Streiks | |
| und CDU-Wahlplakate – Vorboten des Niedergangs der Ostindustrie. | |
| 1 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Schroer | |
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