# taz.de -- Ausstellung zu DDR-Fotografie: In der Ersatzöffentlichkeit | |
> Ihre Eigenlogik lässt sich nicht nur mit Widerstand erklären: die der | |
> DDR-Fotografie. In Berlin zu sehen in der Ausstellung „Geschlossene | |
> Gesellschaft“. | |
Bild: Berlin (Ost) 1989: Pfingsttreffen der FDJ – Stadion der Weltjugend. | |
Was für eine beeindruckende Ausstellung! Nahezu ihr gesamtes Erdgeschoss | |
hat die Berlinische Galerie für „Künstlerische Fotografie in der DDR | |
1945–1989“ bereitgestellt. Werke von 34 Autoren sind großzügig über die | |
riesigen Wände verteilt. Jedem Fotografen wurde nur eine Bildserie oder ein | |
Bildkomplex zugestanden, die Kuratoren Ulrich Domröse, T. O. Immisch, | |
Gabriele Muschter und Uwe Warnke müssen hart um die Auswahl gerungen haben, | |
ging es doch, zumindest bei den älteren Jahrgängen, womöglich um die Essenz | |
eines Lebenswerkes. | |
Entsprechend groß ist nun die Zahl der Wiederbegegnungen: Von Arno Fischer | |
gibt es Berlin-Bilder zu sehen, von Evelyn Richter Frauen an Maschinen, von | |
Christian Borchert Familienporträts, von Roger Melis ernst blickende | |
Schriftsteller. Auch unter den Jüngeren haben es erstaunlich viele schon zu | |
„Klassikern“ gebracht, wie Jens Rötzsch mit seinen Aufmarsch- und | |
Stadionszenen, Matthias Leupold mit dem irrwitzigen „Schrei im Kino“ oder | |
Kurt Buchwald. | |
Umso größer die Freude über einige schon vergessen geglaubte Arbeiten, die | |
beklemmend nahen Selbstporträts von Helga Paris etwa, Ulrich Lindners | |
Montagen „Der Tod und die Stadt“ oder Rudolf Schäfers Endzeitdiagnose | |
„Russische Nacht“. Und schließlich – ein Ereignis für sich! – die | |
Rekonstruktion jenes Blechlabyrinths, das Jörg Knöfel 1988 für sein | |
„Schlachthaus Berlin“ schuf. | |
Warum aber nur dieser seltsame Titel „Geschlossene Gesellschaft“? | |
Assoziiert das nicht Behindertsein, muffigen Kleingeist, Mangel an Mut? Wie | |
konnten unter derart beengten Verhältnissen Bilder von solcher Kraft und | |
Vitalität entstehen? „Geschlossen“, so die Kuratoren, sei die | |
DDR-Gesellschaft als Ganzes gewesen, gegen deren Doktrinen und Repressionen | |
hätten Künstler sich mit ihren Werken zur Wehr gesetzt. | |
## Konvention als Konstante | |
Die These von der individuellen Widerspenstigkeit der Kunst wird regelmäßig | |
bemüht, obwohl sie die auffällige Intensität und Verbindlichkeit | |
künstlerischer Arbeit in der DDR kaum erklärt. Erst recht erhellt sie | |
nicht, warum so viele Werke jener Zeit uns heute noch erreichen, obwohl | |
doch „der historische Resonanzboden, auf den sie einst bezogen waren“ | |
(Andreas Krase) bekanntlich abhandenkam. | |
Diesen eigentlich spannenden Fragen nachzugehen, haben die | |
Ausstellungsmacher sich leider selbst verbaut, weil sie in der riesigen | |
Masse fotografischer Bildproduktion nur nach jenen Exemplaren suchten, | |
denen die Nobilitierung als „Kunstwerk“ gebührt. Ist solche Art der | |
Klassifizierung für ein Medium, das vorwiegend Zwecken der Verwertung oder | |
der Freizeitgestaltung dient, noch nie einfach gewesen, so wird sie beim | |
Vergleich unterschiedlicher Gesellschaftssysteme noch zusätzlich erschwert. | |
Gelten in denen doch auch unterschiedliche Begriffe davon, was Kunst ist, | |
kann und soll. Je strikter einer die eigene Konvention zur | |
unhinterfragbaren Konstante erklärt, desto weniger wird er verstehen, was | |
anderenorts geschieht. | |
## Keine „rosa Brille“ | |
Fotografie in der DDR litt eben nicht nur unter politischem Argwohn und | |
materiellen Mängeln, sondern profitierte auf sehr spezifische Weise auch | |
von den inneren Defiziten des Systems. Anders als heute nämlich stieß sie | |
auf eindeutigen Bedarf: Solange kontrollierte Massenmedien propagandistisch | |
aufgezäumte Scheinwelten produzierten, solange jeder ernsthafte | |
Gesellschaftskonflikt ein Tabu darstellte und das „wirklich Wirkliche“ aus | |
dem öffentlichen Bewusstsein verbannt zu werden drohte, fiel Literatur, | |
Film, Theater, Rockmusik und eben auch der Fotografie die Rolle einer | |
Ersatzöffentlichkeit zu. | |
Entsprechend rege, ja enthusiastisch war das allgemeine Interesse an | |
Statements jener Künstler, die den Blick durch die „rosa Brille“ | |
verweigerten. Dass die Straight Photography als leicht zugängliche | |
Bildsprache hierfür besonders ausdauernd und variantenreich gepflegt wurde, | |
bedarf dann wohl keiner weiteren Begründung. | |
Was mochte es unter diesen Umständen bedeuten, wenn jüngere Fotografen | |
irgendwann das Abarbeiten an der realen Außenwelt verweigerten und | |
stattdessen Zuflucht bei rein persönlichen Befindlichkeiten suchten? Auch | |
in der jetzigen Ausstellung wird der Generationswechsel Anfang der 1980er | |
Jahre als Triumph der Unangepassten und Eruption künstlerischen Freisinns | |
gefeiert. Dem darin auch erklärten Rückzug der Künstler aus den | |
unverzichtbaren Diskursen ihrer Gesellschaft gilt keine Klage, allenfalls | |
Staunen über das Maß an Radikalität, das unter den Grauschleiern der | |
Stagnation lauerte. Eine Heftigkeit, die man als letztes Indiz einer | |
spezifischen DDR-Verfangenheit nehmen mag: Gesten eines existenziellen | |
Betroffenseins, für dessen „Flüstern und Schreien“ es bis zum Herbst 89 | |
noch ein verbreitetes Sensorium gab. | |
Trotz eines in den späten Jahren noch einmal enorm gewachsenen Interesses | |
war es in der DDR nicht gelungen, „die Fotografie als Handels- und | |
Sammelobjekt zu etablieren“. Noch so ein Hinweis im Katalog, der vor | |
Fehlschlüssen warnen sollte: Vierzig Jahre Fotografie in der DDR lassen | |
sich weder als dauernde Aufholjagd nach westlichen Vorbildern beschreiben, | |
noch als Testfeld für irgendwelche Marktstrategien. Die Eigenlogik der | |
Entwicklungen war stets von größerem Gewicht. | |
Es macht also Sinn, hier vom „abgeschlossenen Sammelgebiet“ zu sprechen, | |
auch wenn man nach jeder Großausstellung auf weitere Entdeckungen gefasst | |
bleiben muss. Das illustre Herumdeuteln am fotografischen Erbe der DDR wird | |
wohl noch eine Weile andauern. | |
Trotzdem: Die derzeitige Versammlung großartiger Bilder in der Berlinischen | |
Galerie öffnet erneut den Blick auf ein enorm spannendes Kapitel der | |
Kunstgeschichte, dessen ernsthafte Aufarbeitung gerade erst begonnen hat. | |
## Bis 28. Januar 2013 in der Berlinischen Galerie in Berlin | |
16 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Kil | |
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