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# taz.de -- Saufen in Ostdeutschland: Mäßig, aber sehr regelmäßig
> Das Stadtmuseum Jena zeigt eine Ausstellung zur berüchtigten Trinkkultur
> in der DDR. Die ist bekanntlich untergegangen. Der Schnaps aber ist noch
> da.
Bild: Teresa Thieme, Kuratorin der Ausstellung, präsentiert einige besonders s…
JENA taz | Ausgerechnet nach Jena fahren, um saufen zu gehen? Warum nicht!
Immer nur über Nazis der Stadt zu reden, ist ja auch nur die halbe
Wahrheit. Und die Ossis sollen ja gesoffen haben wie die Löcher. Und nur
Hartes, Selbstgebranntes. Und nicht dort, wo es am schönsten war, sondern
schlicht da, wo noch Stühle frei waren. Außerdem ist die Ausstellung mit
dem reizvollen Titel „Trinkkultur in der DDR“ nun einmal nur in diesem
thüringischen Städtchen zu sehen.
Der Weg nach Jena muss allerdings mit einem schnöden Warsteiner bestritten
werden, denn Schnaps gibt es nicht im Bordbistro der Deutschen Bahn. „Also
ich kannte niemand, der Schnaps gebrannt hätte“, sagt eine Weimarerin, die
eher zur Kulturbohème als zum Proletariat der DDR gehörte.
Ihr Bruder hingegen schon und erzählt gleich munter drauf los: „Es gab ein
Nord-Süd-Gefälle. Im Norden wurde Schnaps, im Süden Bier getrunken.“ Aber
jeder, der unter Tage arbeitete, habe eine Flasche „Kumpeltod“,
32-prozentigen „Trinkbranntwein“ bekommen.
Seine Augen glänzen, als er von einem Kollegen erzählt, mit dem er auf
einer Baustelle einen Kolben stibitzt hatte, um dann Tag und Nacht damit
Schnaps zu brennen. „Ich hab den Absprung geschafft. Der Kollege nicht. Hat
Frau und Kind verloren. Der wurde richtig Alkoholiker.“
## Eierlikör aus „Kumpeltod“
Im Stadtmuseum Jena werden die erhofften Proben von echtem
Selbstgebrannten/Ost leider nicht gereicht. Dafür wird auf der kleinen
Ausstellungsfläche im dritten Stock das komplette Sortiment von DDR-Fusel
in Originalflaschen, alle noch verschlossen und in Vitrinen versenkt,
präsentiert: „Primasprit“ (aus dem die gewiefte Hausfrau Zitronenlikör
machte), „Trinkbranntwein“, genannt „Kumpeltod“ (aus dem die gewiefte
Hausfrau Eierlikör machte), „Maoritraum“ und „Sambalita“ (Zuckerlikör…
sich die gewiefte Hausfrau zu Hause hinter die Binsen kippte).
„Kristall Wodka“ genannt „Blauer Würger“ („Schöntrinkt die DDR sich…
Bürger mit ’ner Flasche Blauer Würger“), „Goldbrand“ genannt „1450�…
Einzelhandelsverkaufspreis), „Egri Bikarer“ („Erlauer Stierblut“), ein
ungarischer Rotwein, der den Ossis zu trocken war und deswegen in die
Ochsenschwanzsuppe gekippt wurde. Dazu wurde eine Flasche „Rosenthaler
Kadarka“ getrunken, für den „lieblich“ ein Euphemismus ist und der
angeblich auch noch „Bückware“, also nur unterm Ladentisch zu haben war.
Allerlei Gegenstände haben die Ausstellungsmacher neben die Flaschen
drapiert, die die Spezifität der Alkoholkultur/Ost ausgemacht haben sollen:
Flaschenhalter und -öffner, Schnapspumpen, Gebäckrondelle, Biergläser und
-deckel mit der Aufschrift Jenenser oder anderer Ostbierbrauereien. Fast
alle Ausstellungselemente sind übrigens Leihgaben von namentlich genannten
Jenenser Bürgern, von denen man nicht mehr weiß, als dass sie nicht mehr
alle Flaschen im Schrank haben.
## Alkohol als Abi-Thema
Den meisten Besuchern an diesem Tag – Ossis älteren Datums und Teenager,
die behaupten, das Thema der Ausstellung sei das Thema ihrer Abi-Arbeit –
reicht dieser Teil der Ausstellung. Einer entdeckt dann aber doch noch was
und brüllt durch den ganzen Stock: „ ’Blauer Bison!‘ Guck mal Hedi, den
gibt’s heute auch wieder zu kaufen.“ Alkohol löst eben die Zunge, und so
teilt die kleine Reisegruppe aus Leipzig sich und allen Umstehenden mit,
wie das damals war, mit dem „Pfeffi“ und dem „Bison“ und dem falschen
„Bols“, und wie man das alles richtig mischte. „Man hat schon viel gesoff…
in seinem Leben“, resümiert einer von ihnen.
Vergnügt verlässt die Gruppe die Ausstellung in Richtung der nächsten
Kneipe. Sie lassen sich die schönen Erinnerungen nicht vom Rest der
Ausstellung kaputt machen. Die nämlich besteht aus Warnungen und
medizinischen Beschreibungen der Folgen des Alkoholismus, und aus
Quadratmeterzahlen und Toilettenausstattungsvorgaben, anhand derer minutiös
beschrieben wird, was der Unterschied zwischen HO-Gaststätten,
Mitropa-Hotels und Kiosken mit geteerter Pissrinne war.
Spiritus Rector der Ausstellung ist der Ethnologe Thomas Kochan, der über
die „Trinkkultur in der DDR“, ja, promoviert hat. Zentrales
Forschungsergebnis: Die DDR war keine „alkoholisierte“, aber eine
„alkoholzentrierte Gesellschaft“. Beweisführung: Alkohol diente als
Tauschmittel und durfte auf keiner Feier fehlen.
Auf großen Texttafeln erfährt man seine bahnbrechenden Erkenntnisse, wie
die, dass der „Schwips“ für den Ossi „alltäglich und weitgehend akzepti…
war, dass die Erinnerung der ehemaligen DDR-Bürger an „Alkoholika geknüpft�…
ist, dass Frauen weniger in der Öffentlichkeit tranken, der Vollrausch
„verpönt“ war, dass zum „mäßigen, aber sehr regelmäßigen Alkoholgenu…
neben „Festen im privaten Bereich“ auch viele „offizielle und inoffiziell…
beitrugen, dass an Alkohol „kein Mangel herrschte in der Mangelwirtschaft“,
dass unter der Intelligenzija die Zahl der „unregelmäßigen, aber dann
übermäßigen Trinker überdurchschnittlich groß war“.
## 40 Jahre bis zum Anschluß
Die Konklusion seiner Forschung ist dann auch ein echter Knaller:
Mitnichten seien die Ossis „exzessive Säufer“ gewesen und hätten sich die
DDR auch nicht „schöngesoffen“. Sie tranken einfach nur „gerne und
regelmäßig“. Und was ein richtiger Wissenschaftler ist, der muss auch
Zahlen liefern: 1988 „schon“ schluckten die DDR-Bürger 16,1 Liter Hartalk,
1987 behaupteten sie „bereits“ die internationale Spitzenposition und mit
146,5 Liter schlugen „1989“ die Ossis die Wessis sogar im Bierverbrauch.
Bereits 1987? Schon 1988? Wenn Kochans Zahlen stimmen, dann hätten die
Ossis ganze vierzig Jahre gebraucht, um ihren Alkoholpegel auf Weststatus
zu bringen. Kochan hat übrigens keine akademische Karriere gemacht, sondern
letztes Jahr im Prenzlauer Berg einen Schnapsladen eröffnet.
Es ist längst an der Zeit, die erstbeste Kneipe der Stadt aufzusuchen und
mit Alkohol das Gesehene runterzuspülen. „Richtige Pivnices“, weiß der
Museumswärter, „gibt es nicht mehr.“
In der Wagnergasse, dort, wo heute die höchste Lokaldichte der Stadt ist,
nennt sich ein Laden zwar noch Pivnice, Tschechisch für Bierstube, aber wie
alle Kneipenrestaurants hier, ist es kein Überbleibsel aus der DDR.
Trotzdem fällt auf, dass die Kneipen hier ernsthaft mit „Fass!“ und
„Rotwein“ werben. Den „Rotwein“ probiere ich lieber nicht, ich will noch
lange durchhalten. Also Rosen-Pils, 0,4 Liter für 2,50 Euro.
## Lustige Kneipenfaschisten
Jena wird immer hübscher, es fühlt sich fast ein wenig mediterran an, die
schiefe, enge Gasse mit dem Kopfsteinpflaster, wird beim dritten „Rosen“
immer schiefer und mediterraner und die Studies aus aller Welt und die
Eltern aus Bielefeld, die ihre studierenden Kinder besuchen, immer
gesprächiger.
Man trinkt Bananenbier und „Spritz“. Um die Ecke stehen ein paar
glatzköpfige Jugendliche und kaufen Köstritzer und Leberkäse und auf ihrem
T-Shirt steht „Kneipenfaschist“. Lustig? Ich jedenfalls muss zum ersten und
einzigen Mal an diesem Tag an Jena-Lobeda denken und will gar nicht wissen,
was es so mit deren kneipenfaschistischer Alkoholkultur auf sich hat.
Ich setze mich lieber in den Roten Hirsch, eine seit 1509 bestehende
altdeutsche Restaurantkneipe, seit 1977 von Dieter Freihoff geführt.
Drinnen mieft es modrig, die alten Holzbänke knarzen. Ein paar Touristen
testen das Schweineschnitzel und trinken, wie ich, zwei, drei gepflegte
Bier, das 0,3 Rosen-Pils für 1,50 Euro. Schnaps gibt es nur in der „Jensche
Gilde“ nebenan. „Aber trinken tut den kaum einer“, erzählt ein einsamer
männlicher Gast, der schon recht angesäuselt ist.
## Mal nicht über Nazis reden
Aus dem Hinterhof in der Johannisstraße, nur ein paar hundert Meter von der
Wagnergasse entfernt, kommt Ska-Musik. Es sind die „Werkstatttage“ der
Jungen Gemeinde Jena (JG), und heute ist letzter Abend mit Konzert. Das
eigens aus Tschechien herangeschleppte Bier fließt. Ob das wirklich besser
ist als dieses Rosen, was ich den ganzen Tag in mich reingekippt habe, kann
ich nicht mehr beurteilen.
Auf einem alten Foto von den Werkstatttagen der JG aus den 70er Jahren ist
zu sehen, dass damals keine Zapfanlage, sondern zwei Bierkästen auf der
Theke standen. Ansonsten alles ziemlich ähnlich. Zumindest hier scheint man
immer noch so zu saufen wie zu Ostzeiten, alles andere ist jetzt auch egal.
„Heute will ich nicht über Nazis oder irgendwas anderes reden, sondern
feiern. Prost!“, wehrt Pfarrer Lothar König ab. Super, deswegen bin ich ja
eigentlich auch hergekommen.
23 Jul 2012
## AUTOREN
Doris Akrap
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