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# taz.de -- Theaterstück zur Verkehrspolitik: Stau und Zukunft
> Die Performance „Asphalt“ in Dresden klopft das emotionale Verhältnis zum
> Auto ab. Und sucht nach einem Ausweg aus dem Asphaltparadigma.
Bild: Maike von Harten, Diplom-Ingenierin an der TU Dresden, im Stück „Aspha…
Mitten auf dem Dresdener Neumarkt stehen wir vor einem Radlader und starren
in seine Schaufel. Darin sieht es aus wie in einem Sandkasten:
Spielzeugautos, Verkehrsschilder, ein paar Äste. Maike von Harten,
Diplomingenieurin an der TU Dresden, ist vom Baufahrzeug herabgestiegen,
wischt mit der Hand Pfade und Umgehungsstraßen in den Sand, tauscht
Kleinwagen gegen SUVs aus und führt vor, wie an sich logische
Entscheidungen für einen flüssigen Verkehr nicht nur die Bodenversiegelung,
sondern auch soziale Ungleichheit und Reboundeffekte befördern.
Von Hartens komprimiertes Wissenstheater mit Objekten ist nur ein kleines
Theaterstück innerhalb eines größeren: „Asphalt“ heißt die nachgeholte
Produktion des [1][Bürger:Bühnen-Leiters Tobias Rausch] am Staatsschauspiel
Dresden, mit der zum Spielzeitbeginn eine sogenannte disruptive Innovation
im Zentrum steht. Demnach war der ursprünglich zur Staubvermeidung erdachte
Asphalt der neue Stoff, der die Ausrichtung ganzer Gesellschaften am Auto
einleitete. Und auch wenn wir jetzt vor neuen Disruptionen wie künstlicher
Intelligenz stehen, kann man vom Asphalt schon mal lernen, dass sie neben
Lösungen auch zuverlässig neue Probleme schaffen werden.
Tobias Rausch, der sich als Regisseur schon länger mit der Frage
beschäftigt, wie sich das komplexe Zusammenspiel von Technik und Natur auf
dem Theater zeigen lässt, hat zusammen mit Bühnenbildner Thomas Rump einen
zweispurigen kreisförmigen Stau auf dem autofreien Platz vor Frauenkirche
und Verkehrsmuseum konzipiert.
Genauer gesagt: In den nagelneuen, von lokalen Autohäusern geliehenen und
geparkten Wagen im inneren Kreis nimmt das Publikum Platz, während der
äußere Kreis aus Privat- und Gebrauchtfahrzeugen sich mit sehr viel Stop
und wenig Go um den inneren herumbewegt.
## Austausch durchs Autofenster
Die Autos (und ein Aggro-Fahrrad) auf der Außenspur steuern und bespielen
Mitglieder der Bürger:Bühne, die 2009 am Staatsschauspiel gegründet wurde,
viele weitere Bürgertheatergründungen inspirierte und mittlerweile in
Dresden als eigene Sparte fungiert. Diversitätsprobleme hat so ein
Bürger:innenensemble schon mal keine.
Die zwanzig Spieler:innen, die sich im Programmheft mit je einer
Autoquartettkarte vorstellen, kommen aus Sachsen, Kanada, Kirgistan,
Rumänien, Belarus, Ungarn und Tunesien; sie sind Rentner:innen, berufstätig
oder gehen zur Schule. Und sie alle haben, wie das Publikum, ein Verhältnis
zum Auto. Welches das ist, davon erzählen sie von Wagen zu Wagen, teils bei
offenen Türen, teils mithilfe angedockter Mikrofonkabel, wenn der Stau mal
wieder stockt.
Klaus Lorenz zum Beispiel hat wohl mal in der Herstellung gearbeitet und
kann mithilfe zweier Plastikflaschen ganz genau die Produktionsschritte des
Fahrzeugbaus erklären. Rahma Ben Fredj taucht als Mädchengesicht am Fenster
des Kleinbusses nebenan auf, haucht Nebel auf die Scheibe und malt Kreise
hinein, bevor sie die Geschichte einer jungen Frau an der nordafrikanischen
Mittelmeerküste erzählt, für die der [2][Führerschein ein
Emanzipationstraum] ist.
Robin Baumgärtel lässt uns teilhaben an einer nächtlichen Autobahnfahrt von
Nürnberg nach Leipzig, auf der er ziemlich raffiniert die Erkenntnisse aus
seiner Arbeit als Ingenieur für Software wie Einparkhilfen mit seinen
Tindererfahrungen verschneidet: Natürlich soll es sicher sein, aber der
Totalverzicht auf Emotionen ist auch keine Lösung. Also müssen Töne und
Lichteffekte Risiken simulieren.
## Trauma und Panik
Trotz allem passieren Unfälle wie der, von dem stellvertretend Gina
Calinoiu erzählt. Sachlich und mit einer feindosierten Spur Bitterkeit
berichtet sie vom unverschuldeten Zusammenprall mit einem Geisterfahrer,
anschließenden Therapien und dennoch unauflöslichem Trauma, von
Arbeitsunfähigkeit, Panikattacken, Verlust von Lebensqualität und endlosen
Prozessen.
In der Bewältigung der „Kollateralschäden“ des Verkehrswesens, kann man
dieser Episode entnehmen, ist die Gesellschaft nicht annähernd auf dem
ausgeklügelten Stand der Fahrzeugbedienungsunterhaltungsbranche.
In der Mitte des Staukreises spielt der 17-jährige Torben Romainczyk einen
Großvater, der seiner fiktiven Enkelin von einem apokalyptischen
Zukunftsstau erzählt. Seine Erinnerungen aus der Zukunft bilden so etwas
wie die Rahmenerzählung, die unmissverständlich klarmacht: So verschieden
unsere emotionalen Geschichten mit dem Auto auch sind, so weitergehen wie
bisher kann es nicht.
Hier in der Mitte, wo immer wieder alle Spieler:innen zusammenkommen und
den Ausstieg aus dem Asphaltparadigma erproben durch Umnutzung des
Pflasters als Tanz-, Spiel- und Zeltplatz, zeigt sich aber auch, dass die
improvisierte Zukunftsvision vielleicht noch nicht ganz dieselbe
Überzeugungskraft hat wie die teilweise gelebten Erfahrungen der
Bürger:innen.
21 Sep 2021
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## AUTOREN
Eva Behrendt
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