# taz.de -- Die „Gas-Trilogie“ am Theater in Dresden: Energie bis zum Syste… | |
> Das Staatsschauspiel Dresden entdeckt mit der „Gas-Trilogie“ den | |
> Dramatiker Georg Kaiser wieder. Die Thematik ist erstaunlich aktuell. | |
Bild: Zwischen Kommunismus, Kapitalismus und Gas als Religion: Georg Kaisers �… | |
Georg Kaiser, aha. Offenbar ein unentdeckter junger Gegenwartsautor, | |
endlich, bei der Dramatikerflaute. Schreibt coole Kapitalismuskritik und | |
hat noch Visionen. Und so up to date! Gas als Mythos und Waffe, das muss | |
immer fließen, sonst sind alle unglücklich. | |
Irrtum. Ja, Georg Kaiser muss zwar wiederentdeckt werden. Insofern waren | |
eine Göttinger Aufführung der Gas-Trilogie 2015 und nun die Dresdner | |
Fassung Pioniertaten. Aber der Autor begann die Arbeit schon in den letzten | |
beiden Jahren des Ersten Weltkriegs. Der Einzelgänger galt damals als der | |
meistgespielte und vielseitigste Bühnenautor in Deutschland, schrieb wie | |
besessen. | |
Das Aufführungsverbot durch die Nazis 1933 und sein Tod kurz nach | |
Kriegsende mögen dazu beigetragen haben, dass er dennoch vergessen wurde. | |
1878 in Magdeburg geboren, wuchs Kaiser nicht nur in Klassenkämpfe, sondern | |
auch in Reformbestrebungen hinein, die den Radikalkapitalismus mildern | |
wollten. Das expressionistische Sprachfeuer jener Zeit kommt in der | |
Dresdner Inszenierung allerdings erst gegen Ende spürbar zum Tragen. | |
Die Trilogie sollte eigentlich schon beim Bitterfelder Sommerfestival | |
„OSTEN“ eine Voraufführung erleben. Das Vorhaben scheiterte aber an | |
unklaren Förderbedingungen. Umso aufgeschlossener nahm das Dresdner | |
Publikum am vorigen Samstag die Premiere an. | |
## Gas als Sinnbild | |
Der in Dresden gern gesehene [1][Regisseur Sebastian Baumgarten] platziert | |
das Publikum auf der Hauptbühne. Zerrissene vieleckige Flächen formen eine | |
Kuppel über den rund 200 Zuschauern. Videowände sind wohldosiert | |
eingesetzt. Überlebensgroß erscheint dort anfangs die Bühnenfigur des | |
„Milliardärs“ als Schattenriss. Auf der schmutziggrauen Spielfläche liegt | |
Bruchgestein, später sprießen Blumen paradiesischer Träume. | |
Gas steht damals wie heute synonym, ja metaphorisch für die Produkte des | |
Homo Faber, des schaffenden Menschen, erzeugt unter Ausbeutung der Natur | |
und der abhängigen Produzenten zwecks Erzielung eines materiellen Gewinns. | |
Aber was ist Fortschritt, und was brauchen wir wirklich zum Leben? Wendet | |
sich die pseudoreligiöse Anbetung von Technologie nicht längst gegen die | |
Materialismusgläubigen? | |
Bald fühlt man sich an Brecht erinnert. Wenn ein selbst aus der Not | |
aufgestiegener „Milliardär“ im Gasgeschäft schizophren zwischen eiskaltem | |
Ausbeuter und empathischem Sozialromantiker pendelt, steht dafür | |
exemplarisch der „Gute Mensch von Sezuan“. | |
Bei Kaiser spaltet sich ein Doppelgänger ab. Die exemplarische Vorführung | |
kapitalistischer Grundzüge verbindet beide Dramatiker. Was Wunder, Brecht | |
soll in Kaiser einen Vordenker seiner eigenen Ideen gesehen haben. | |
## Die aktuellen Bezüge dröhnen | |
Die Weiterungen des Stoffs verwirren in ihrer Komplexität etwas, was auch | |
an der komprimierten Dresdner Fassung liegen kann. In ihrer Bildgewalt | |
sprechen die Szenen aber für sich. Der erste Teil gleicht einem | |
quasikommunistischen Experiment der Sozialutopien. | |
Die kapitalistische Produktionsweise wird aber nicht aufgehoben, sondern | |
durch Mitarbeiterbeteiligung effektiviert. Im Mittelteil dröhnen die | |
aktuellen Bezüge geradezu, ohne konkret angesprochen zu werden. „Das Gas | |
wird nie fehlen“, klingt es nach Erhebung der Energie Welt zur Religion. | |
Dem Glauben folgt die katastrophale Ernüchterung. Eine gewaltige Explosion | |
legt das Gaswerk lahm. An der Figur des Ingenieurs entzündet sich der | |
Streit über die Konsequenzen. Die Leitung, die Elite, wenn man so will, | |
schwenkt Richtung Renaturierung zurück, während die Belegschaft, das Volk, | |
im ungebrochenen Technikglauben die Produktion so schnell wie möglich | |
fortsetzen will. Kennt man irgendwie hundert Jahre später auch aus der | |
Lausitz. | |
Sieben ausgezeichnete Spielerinnen und Spieler bewegen sich als Gruppe | |
viel, kommen aber auch zu beeindruckenden Monologen. Gleich zu Beginn etwa, | |
wenn die beiden Hauptsätze der Thermodynamik erklärt werden. Seine Unschuld | |
verliert das Gas im kriegerischen letzten Teil, wenn aus dem | |
Wohlstandsmotor das vernichtende Giftgas wird. | |
## Diskussion über den Ukrainekrieg | |
Baumgarten inszeniert den kompliziert geschachtelten Stoff effektvoll, aber | |
ohne billige Affekthascherei. Das Publikum goutiert es und lauscht nahezu | |
vollzählig auch der anschließenden Diskussion. Selbstredend [2][zum Krieg], | |
aber weniger an die Erdgasfrage gebunden. | |
„Gibt es noch ein Prinzip, das global gilt?“, fragt Sachsens | |
Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) und bezeichnet Forderungen seines | |
Regierungschefs Michael Kretschmer (CDU) nach einem „Einfrieren“ des Kriegs | |
als „naiv“. Philosoph Moritz Rudolph kann in jeglichem Krieg sogar | |
technologische Aufbrüche und die Chance zu einer Katharsis entdecken. | |
22 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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