# taz.de -- Ausstellung der Designerin Anaïs Borie: Der Mensch, das Fossil der… | |
> Anaïs Borie hat im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe eine | |
> Ausstellung über die Transformation von Natur durch Technik konzipiert. | |
Bild: So wird vielleicht künftig auch der Mensch „verfeinert“: Heliotropsc… | |
HAMBURG taz | Wenn man etwas Natürliches nimmt – einen Stein oder ein | |
Schneckengehäuse – und es versilbert, vergoldet, ein bisschen verändert: | |
Ist das noch Natur oder schon Kunst? Ist das Ergebnis eine übergriffige | |
Verunstaltung oder eine erlesene Veredlung? Die Erschaffer des | |
Nautiluspokals und der Heliotropschale des 17. Jahrhunderts haben wohl | |
nicht darüber sinniert – auch wenn ihnen bewusst war, dass diese Ambivalenz | |
den (dekadenten) Reiz dieser Artefakte ausmachte. | |
Wie nun aber, wenn man diese Methode weiterdenkt und das „Naturmaterial“ | |
Mensch mit moderner IT-Technik veredelt, indem man ein ähnliches Wesen | |
schafft? Wenn das so gut gelingt, dass die Welt unmerklich von immer mehr | |
CyborgInnen, RoboterInnen und AndroidInnen bevölkert ist? | |
Diese Gedanken hat sich die 1991 in Frankreich geborene Designerin Anaïs | |
Borie gemacht, seit einem halben Jahr [1][Residentin des Fonds für junges | |
Design am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe]. Im Ergebnis hat sie | |
einen Raum gestaltet, in dem nicht nur besagte Pokale aus der | |
Museumssammlung stehen. Teil ihrer Abschluss-Performance vom 9. Mai – nun | |
auch auf der [2][Museums-Homepage] oder direkt auf [3][Youtube] zu sehen –, | |
ist eine barock anmutende Schale, die Nebel und Rauch ausstößt und an ein | |
kirchliches Weihrauchgefäß erinnert. | |
Dies könnte eine feine Anspielung darauf sein, dass das Streben nach | |
Künstlicher Intelligenz (KI) in den Industrienationen schon fast | |
fetischhafte Züge annimmt. KI ist – neben Geld – der neue Gott, um den die | |
Industrienationen des Globalen Nordens tanzen. In diesen Nebel hinein singt | |
die Sopranistin Sara Gouzy Arien des Barockkomponisten Jean-Philippe | |
Rameau, eines damals wegweisenden Musiktheoretikers, der zeitweilig als | |
allzu dissonant und modern galt. Wie seine Zeitgenossen, die Schöpfer des | |
Nautiluspokals, hatte auch er das Vorhandene lediglich durch einige | |
Kunstgriffe weiterentwickelt. | |
Ein paar Jahrhunderte später tut Anaïs Borie dasselbe mit ihrem Spiegel | |
„Automated Divine Reflection“, dessen Software sie gemeinsam mit der | |
Künstlerin Ines Alpha konzipierte: Darin sieht die BetrachterIn nämlich | |
nicht sich selbst, sondern ein computergesteuertes Gesicht. Vielleicht ist | |
es ein fremdes, vielleicht das eigene, verfremdet. Aber wer ist es dann | |
eigentlich – noch Mensch oder schon Maschine? | |
Schlau blickt Borie in eine Zukunft, in der wir selbst die verfremdeten | |
Steine und Fossilien sind. Allerdings mit einem wichtigen Unterschied: | |
Nicht mehr der Mensch, sondern die Kunst bzw. das Künstliche erschafft | |
diese Wesen. Sondern der Mensch ist selbst Objekt einer Aktion, bei der er | |
sich durch ein vermeintlich besseres Modell ersetzt. | |
Vielleicht ist das ja gar nicht schlimm. Denn auch die CyborgInnen der | |
Zukunft werden glauben, dass sie die Menschheit sind, die seit 300.000 | |
Jahren auf diesem Planeten existiert. | |
20 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.mkg-hamburg.de/de/ausstellungen/aktuell/anais-borie-abschlusspr… | |
[2] https://www.mkg-hamburg.de/de/ausstellungen/aktuell/anais-borie-abschlusspr… | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=xyTERMqymBQ&feature=youtu.be | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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