# taz.de -- Ausstellung über Amateurfotografie: Von Zufällen und Spleens | |
> Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigt einen Querschnitt durch | |
> 100 Jahre Amateurfotografie vom Bauhaus bis zu Instragram. | |
Bild: Geschätzte Freiheiten: Bauhaus-Studierende, unverbildet fotografiert | |
Hamburg taz | Fotografie ist das klassische Medium für die Aneignung der | |
Welt. In gewisser Hinsicht ist sie eine demokratisierte Variante des | |
Malens. Für die Wiedergabe einer erlebten oder vorgestellten Wirklichkeit | |
braucht es weniger Zeit und Übung und – was den Vorgang deutlich | |
entmystifiziert: auch weniger Talent. | |
Natürlich gibt es gute und weniger gute Fotografie. Es gibt Fotografie, die | |
dazu imstande ist, uns etwas zu zeigen, was wir bisher nicht kannten. Das | |
müssen nicht unbedingt fremde Lebenswelten sein, es können auch fremde | |
Gedanken sein. Denn Fotografie muss nicht gegenständlich sein, auch wenn | |
sie auf Gegenstände im weitesten Sinne angewiesen ist. Zu ihrem | |
demokratischen Charakter gehört nicht nur die vergleichsweise einfache | |
Handhabe, sondern auch die niedrigschwellige Verfügbarkeit ihrer | |
technischen Mittel. | |
Ein derart leicht anzueignendes und viel benutztes Medium entwickelt ein | |
ästhetisches Regelwerk, mit allerlei Klischees, festgefahrenen Motivwelten, | |
Bildaufbauten und Farbfiltern. Auf der anderen Seite aber werden diese | |
Systeme immer wieder unberechenbar schnell über den Haufen geworfen. Denn | |
wenn sich viele Menschen einer bestimmten Apparatur bedienen, bearbeiten | |
sie auch den Umgang mit dieser Apparatur. Ob sie wollen oder nicht, bleiben | |
sie nie bloße Konsumenten: In der Masse, durch Zufallsentdeckungen und mit | |
ihren individuellen Spleens, wirken sie innovativ. Die Kameras der | |
verschiedenen Smartphone-Modelle verfügen heute über Heerscharen | |
freiwilliger, kostenloser Tester und Optimierer. | |
Das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg widmet aktuell der innovativen | |
Kraft der Amateurfotografie eine umfangreiche Ausstellung. Sie führt, wie | |
es ihr Titel sagt, vom Bauhaus zu Instagram, umfasst etwa 100 Jahre | |
Geschichte eines Mediums, aber auch einer Gesellschaft, von der seine | |
Nutzung schließlich abhängig ist. Die Amateurfotografen unterscheiden sich | |
dabei grundlegend vom „Knipser“. Erstere sind ambitioniert, oftmals | |
autodidaktisch, folgen vor allem aber in ihrem Tun einer gewissen selbst | |
gesetzten Systematik. | |
Amateure tun das, was sie tun, meist ohne Ausbildung und nicht | |
gewerbsmäßig. Das verschafft ihnen gewisse Freiheiten – weder waren sie | |
„verbildet“, wie man es am Bauhaus im Umfeld von László Moholy-Nagy | |
formulierte, noch war die Arbeit einem äußeren Zweck unterworfen. | |
In den 1920er-Jahren legten Künstler wie Werner Graeff die Grundbedingungen | |
der Fotografie frei, indem sie mit Perspektiven, Makroansichten, | |
Spiegelungen, Farben und Licht spielten. In der Hamburger Ausstellung ist | |
eine seltsame Fotografie von Paul Edmund Hahn zu sehen. Das kleine, beinahe | |
quadratische Format zeigt in einer Aufsicht die extreme Nahaufnahme einer | |
Nase. Man schaut in die Nasenlöcher rein, sieht darin Härchen und Poren auf | |
der Nasenspitze. Von Otto Umbehr, der unter dem Namen Umbo einige | |
Bekanntheit erlangt hat, hängt in der Ausstellung ein eigenartiges | |
Selbstporträt, das ihn beim Sonnenbaden zeigt, mit einer Sonnenbrille und | |
dem Schatten seiner Kamera auf der Brust. | |
Prägend für die experimentelle Fotografie der frühen Weimarer Zeit ist die | |
Abweichung von der Zentralperspektive der Landschaftsaufnahmen und | |
Studioporträts. Über die Neue Sachlichkeit der späten 1920er-Jahre geriet | |
das Experiment dann bereits selbst zum Teil eines neuen Kanons, etwa der | |
Werbefotografie. | |
An der besonderen Vielfalt der Medien, die in der Ausstellung zu sehen | |
sind, wird deutlich, wie stark sich die Fotografie, aber auch ihr Gebrauch | |
in hundert Jahren gewandelt haben. So findet man hier schwarzweiße | |
Handabzüge, Farbbilder in Standartformaten, Karteikästen, Fotoalben und | |
Diashows. Neben formalen Experimenten sind die selbst gewählten, | |
inhaltlichen Setzungen von Bedeutung. Was von Relevanz ist, bestimmen nur | |
sie selbst. | |
Häufig entstammt dies der unmittelbaren eigenen Erfahrungswelt. Maria Reh | |
etwa hat von 1952 bis 1986 ihre Schäferhündin Dixie fotografiert. In | |
blassen, schwarz-weißen Handabzügen folgt man ihr vom Hundezüchter bis zum | |
Grab im eigenen kleinen Garten. Die Fotos sind trostlos in ihrer langen | |
Reihung. Meist sieht man die Hündin im Garten, im selben Garten, in dem sie | |
später begraben wird. Einmal blickt sie einem Zeppelin hinterher. | |
Von Niels Auler stammen Ansichten aus Hamburg. Sie sind nummeriert, datiert | |
und auch der Standort ist genannt. Man erfährt so, wie auch unbedeutende | |
Plätze in den 1970er-Jahren ausgesehen haben. Das Vorgehen und die Auswahl | |
allerdings bleiben schleierhaft, sie scheinen vollkommen willkürlich, | |
obwohl doch Objektivität suggeriert wird. | |
Von Eckhard Schaar, dem langjährigen Kustos im Kupferstichkabinett der | |
Hamburger Kunsthalle, ist eine Sammlung von Aufnahmen halbnackter | |
Bodybuilder aus den 1980er-Jahren zu sehen. Besonders beeindruckend sind | |
schließlich zwei einander gegenüber montierte Diashows mit Bildern, die | |
während verschiedener Reisen aufgenommen wurden. Auf der einen Seite sieht | |
man die bildungsbürgerlichen Reisebilder der DDR-Lehrerin Hildegard | |
Schneider. Gegenüber wechseln Aufnahmen des BRD-Bürgers Axel Hermann, der | |
seine Frau, eine Stewardess, auf ihren Flügen begleitet. | |
21 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Radek Krolczyk | |
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