# taz.de -- Ausstellung im Museum Ludwig Köln: Ungenannte Urheberin | |
> Die Kölner Ausstellung „Lucia Moholy – Fotogeschichte schreiben“ stellt | |
> uns – endlich – die inoffizielle Fotografin des Bauhauses vor. | |
Bild: Ausstellungsansicht, Lucia Moholy Fotogeschichte schreiben, Museum Ludwig… | |
In seiner noch ganz jungen Taschenbuchreihe veröffentlichte der britische | |
Verlag Penguin Books 1939 eine handliche, nicht einmal 200 Seiten starke | |
„Geschichte der Fotografie“. Zwischen Titeln von Agatha Christie und Ernest | |
Hemingway war das Buch wohl eher ein Fremdkörper; und gewiss hatte ein | |
größeres Publikum noch nie etwas von der Autorin Lucia Moholy gehört. Am | |
Erfolg von „A Hundred Years of Photography, 1839–1939“ änderte das jedoch | |
nichts. Innerhalb weniger Wochen war die Startauflage von 40.000 Exemplaren | |
vergriffen. | |
Bei einem Ladenpreis von 6 Pence gab es auch nicht viel zu überlegen. Noch | |
lange Zeit blieb das Bändchen ein Standardwerk für alle, die sich ohne | |
großen Anlauf in die Geschichte des Mediums einlesen wollten. Den äußeren | |
Anlass seines Erscheinens sprach die Autorin im Titel des Buchs an: Nach | |
einem vollen Jahrhundert Fotogeschichte wurde es Zeit für eine | |
Überblicksdarstellung, die sich nicht nur an Fachleute richtete. | |
Tatsächlich aber war Lucia Moholy selbst schon Teil dieser Geschichte | |
geworden, als sie sich im englischen Exil an ihr Manuskript setzte. | |
1920 hatte sie in Berlin den ungarischen Exilkünstler László Moholy-Nagy | |
kennengelernt; bereits im Jahr darauf heiratete sie ihn. Als er 1923 als | |
Nachfolger von Johannes Itten ans Bauhaus berufen wurde, konnte man in | |
Weimar und später in Dessau vieles studieren, nur eines nicht: Fotografie. | |
Eine eigene Abteilung wurde erst 1929 eingerichtet. Dennoch sind jene fünf | |
Jahre, die Moholy-Nagy als Meister am Bauhaus tätig war, für die | |
Entwicklung der fotografischen Moderne entscheidend. | |
## Manifest des Neuen Sehens | |
In diese Zeit fallen nicht allein seine Experimente mit der kameralosen | |
Fotografie, den von ihm so benannten Fotogrammen. Er trat zudem geradezu | |
rastlos als Fotopublizist auf und legte mit „Malerei Photographie Film“ | |
1925 ein Manifest des Neuen Sehens vor. Eines jedoch bleibt fast stets | |
unerwähnt: Der Fotograf wie der Fototheoretiker László Moholy-Nagy wären | |
ohne seine Frau Lucia kaum denkbar gewesen. | |
Denn sie war es, die ihn mit den reichen Möglichkeiten der fotografischen | |
Bildgestaltung vertraut machte; und ganz gewiss verdankt sich der | |
pointierte Schliff seiner Texte ihrer stillschweigenden Mitautorschaft. | |
Dreieinhalb Jahrzehnte später schrieb sie in einem kleinen Erinnerungsbuch | |
von einer „symbiotischen Arbeitsgemeinschaft“. | |
Es ist nicht nur erfreulich, sondern wirklich nötig, dass das Kölner Museum | |
Ludwig das gerade zu Ende gehende Bauhaus-Jahr zum Anlass nimmt, die noch | |
immer viel zu wenig beachtete Fotografin und Publizistin Lucia Moholy mit | |
einer Einzelausstellung zu würdigen. Es ist bezeichnend genug: Im Rahmen | |
von „100 Jahre Bauhaus“ wird wohl kaum eine Fotografin derzeit so präsent | |
sein und zugleich doch so selten genannt bleiben wie Lucia Moholy. | |
## In kongenialer Weise ins Bild gesetzt | |
Wer sich für das längst ikonische Dessauer Hochschulgebäudes oder die | |
Meisterhäuser interessiert und wer Abbildungen der am Bauhaus entworfenen | |
Produkte sucht, der greift beinahe zwangsläufig zu fotografischen Aufnahmen | |
von Lucia Moholy. Als inoffizielle Fotografin des Bauhauses hat sie beides, | |
Architektur wie Objekte, in kongenialer Weise ins Bild gesetzt. | |
Der Beitrag dieser Fotografin zur internationalen Geltung dieser Hochschule | |
lässt sich kaum überschätzen – oft genug sehen wir das Bauhaus durch ihre | |
Augen. Bereits 1930 hatte Walter Gropius sein Buch „Bauhausbauten in | |
Dessau“ mit ihren Aufnahmen illustriert; und spätestens seit der 1938 von | |
Gropius am New Yorker Museum of Modern Art kuratierten Ausstellung werden | |
ihre Bilder immer wieder gedruckt. | |
Doch blieb und bleibt dabei nicht nur ihre Autorschaft meist unerwähnt – | |
einzig auf dem Weg mehrjähriger juristischer Verhandlungen konnte sie | |
Gropius dazu bewegen, wenigstens einen Teil des wertvollen Negativarchivs | |
nach dem Krieg an die Fotografin zurückzugeben. Leider sieht man in Köln | |
aus dieser reichen Sammlung von Bauhaus-Fotografien einzig eine Handvoll | |
Bilder. | |
## Leider bleibt die Porträtfotografin nahezu unsichtbar | |
Sie vermitteln kaum mehr als eine Ahnung davon, wie genau es Lucia Moholy | |
verstand, die am Bauhaus gepflegte gestalterische Handschrift in nüchterne | |
Sachaufnahmen zu übersetzen. Erst recht aber ist bedauerlich, dass die | |
brillante Porträtfotografin in der Ausstellung nahezu unsichtbar bleibt. | |
Gerade zu jener Zeit, da sie ihre persönliche Begegnung mit Clara Zetkin | |
für eine Serie überaus intimer Bildnisse der Kommunistin nutzte, trat sie | |
auch mit Erich Stenger in Kontakt. Der Berliner Chemieprofessor musste sie | |
interessieren: Als passionierter und durchaus eigenwilliger Sammler trug er | |
eine der wichtigsten Privatsammlungen zur historischen Fotografie zusammen; | |
zugleich waren seine Publiktionen über Fotogeschichte gefragt. | |
Beiden, Moholy wie Stenger, war klar, dass der sich abzeichnende hundertste | |
Jahrestag der Fotografie nach einer populären Fotogeschichte verlangen | |
würde. Doch sind die Pläne, ein solches Buch gemeinsam zu schreiben, über | |
eine erste Idee nie hinausgelangt. Tatsächlich trafen hier zwei allzu | |
unterschiedliche Geister aufeinander: Stenger verhielt sich nicht allein in | |
politischen Dingen ausgesprochen konservativ. Sein 1938 publizierter Band | |
„Die Photographie in Kultur und Technik“ bewegt sich in den konventionellen | |
Bahnen der Technikgeschichte. | |
Demgegenüber ist das ein Jahr später bei Penguin erschienene Buch von Lucia | |
Moholy weit innovativer. Seit 2016 liegt es in deutscher Übersetzung vor – | |
die hier entfaltete sozialgeschichtliche Perspektive ist nach wie vor eine | |
Lektüre wert. | |
29 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Steffen Siegel | |
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