# taz.de -- Ungarische Avantgarde in Berlin: Wiedersehen in der Metropole | |
> Am Beginn der Moderne bereicherten Künstler:innen aus Ungarn das | |
> Kunstleben in Berlin. Daran erinnert eine Ausstellung der Berlinischen | |
> Galerie. | |
Bild: Ausschnitt aus Béla Kádár, „Die Kuh“, um 1917 © VG Bild-Kunst, Bo… | |
Was es zu entdecken gibt, ist vielfältig und wird nicht langweilig: | |
Gemälde, Skulpturen, Fotografien, Grafiken, Theaterentwürfe, Filme und | |
Architekturzeichnungen. Die Stile sind abwechslungsreich und bieten eine | |
Bandbreite an Farben, Tonalitäten und Formen. Jedes Werk spricht eine | |
andere, eigene Sprache. Erzählt wird aus verschiedenen Blickwinkeln und | |
Erfahrungen in den rund 200 Werken ungarischer Künstler:innen aus der | |
Zeit zwischen 1910 und 1933, die in der Ausstellung „Magyar Modern“ in der | |
Berlinischen Galerie zu sehen sind. | |
Das Überraschende ist: Allesamt sind sie in Berlin entstanden oder wurden | |
hier einst ausgestellt. Sehen und gesehen werden, kreiieren und | |
verwirklichen: Für internationale Künstler:innen sind das heutzutage | |
Beweggründe nach Berlin zu kommen. Doch die Metropole als Austellungsbühne | |
zu nutzen, um ein internationales Publikum zu erreichen, hat sich nicht | |
erst in den letzten Jahren etabliert. Bereits vor dem ersten Weltkrieg | |
kamen ungarische Kunstschaffende nach Berlin, um sichtbar zu werden. | |
Als 1919 in Ungarn die Revolution scheiterte und Künstler:innen von | |
nationalkonservativen Kräften vertrieben wurden, verschlug es sie in die | |
Metropole an der Spree. Sie kamen mit eigenen Ideen nach Berlin und | |
entdeckten einen Ort der kreativen Freiheit. Die Berliner Avantgarde wurde | |
maßgeblich durch die ungarischen Künstler:innen um neue und | |
fortschrittliche Positionen bereichert. | |
Den Auftakt der Ausstellung bildet eine Reihe von eindringlichen Porträts. | |
Die ernsten Gesichter in expressiven Farben ziehen die Blicke auf sich. Sie | |
stammen von der Künstlergruppe „die Acht“, die als bedeutende ungarische | |
Avantgardisten gelten. Ihre Malerei ist an den französischen Fauves | |
geschult. | |
Herwarth Walden, Förderer der deutschen Avantgarde, erkannte in den 1920er | |
Jahren als einer der Ersten das Potenzial und die Kreativität der Künstler. | |
Als Besitzer der anerkannten Galerie „der Sturm“ in Berlin, bot er diese | |
den ungarischen Künstler:innen als Plattform für ihre Kunst. Für sie | |
ergab sich damit die Chance, in das Sichtfeld des europaweiten Publikums zu | |
rücken. | |
## Szenen aus ländlichen Leben | |
Walden erweiterte sein Programm mit den Künstlern Béla Kádár und Hugó | |
Scheiber, die Expressionismus und Futurismus verbanden. Von Hugó Scheiber | |
ist das Gemälde „Feuerwerk im Lunapark“ in der aktuellen Ausstellung zu | |
sehen. Es veranschaulicht das ausgelassene Treiben im ersten | |
Vergnügungspark Deutschlands. In groben Konturen und expressionistischen | |
Farben hielt der Künstler die damalige Stimmung der Besucher:innen | |
fest. | |
Das Werk „Sehnsucht“ von Béla Kádár hingegen zeigt eine Szene aus dem | |
ländlichen Leben Ungarns und erweckt durch die Intensität der hell | |
leuchtenden Farben im Zusammenspiel mit blumigen Ornamenten eine | |
spielerische Leichtigkeit. | |
Peter László Péri, Sándor Bortnyik und [1][László Moholy-Nagy], der einer | |
der bekanntesten Künstler der Ausstellung ist, entwickelten dagegen mit | |
ihrer radikalen Abstraktion den Konstruktivismus aktiv weiter. | |
Auch zu der Entfaltung von Film und (Presse-)Fotografie in den 1920er Jahre | |
trugen ungarische Fotograf:innen, wie [2][Éva Besnyȍ] und Martin Munkácsi, | |
wesentlich bei. Ausgestellt ist unter anderem die Fotografie „Strandbad | |
Wannsee“ aus dem Jahr 1931 von Éva Besnyȍ: Zwei Personen auf dem Bauch | |
liegend, sind eng ineinander verschlungen, sie haben den Arm auf dem Rücken | |
der jeweils anderen Person abgelegt. | |
Die Gesichter sind zueinander gedreht und dicht beieinander gelegen. Die | |
nackten Füße im Sand. Die abgelichtete Szene erscheint vertraut, zugleich | |
klammernd. Sich der Nähe des anderen vergewissernd in unsicheren Zeiten. | |
Neben dieser eindrücklichen Fotografie sind eine ganze Reihe weiterer | |
schwarz-weiss Aufnahmen ausgestellt, die verschiedene Ausschnitte und | |
Lebensgefühle in Berlin einfangen. | |
Noch bis heute prägt die damalige Arbeit ungarischer Architekten das | |
Stadtbild von Berlin. Beispielsweise entstanden etliche Berliner Bühnen, | |
wie die Volksbühne, das Hebbel-Theater oder das Renaissance- Theater, durch | |
den Theaterarchitekten Oskar Kaufmann. | |
Letztlich wurde die Berliner Schaffensphase der ungarischen | |
Künstler:innen durch den Nationalsozialismus ausgebremst: Im letzten | |
Raum der Ausstellung verdeutlichen zynische Karikaturen der | |
Künstler:innen ihre klare Ablehnung des NS-Regimes. | |
„Stahlhelm in häuslichem Gebrauch II“ von Jolán Szilágyi zeigt eine | |
umfunktionierte Nudelmaschine. Hackenkreuze gehäuft in einem Stahlhelm | |
werden durch die Maschine bewegt und zu Stahlketten verarbeitet. Mit der | |
Machtübernahme Adolf Hitlers endete die Zeit der ungarischen | |
Kunstschaffenden in der Metropole. Erneut wurden sie zur Emigration | |
gezwungen. | |
Viele Namen der jungen Künstler:innen von damals kennt heute in Berlin | |
wohl kaum jemand. Sie gelten jedoch alle als „feste Größen der ungarischen | |
Kunstgeschichte“. Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie, | |
vermutet den kalten Krieg als wesentlichen Grund für die unzureichende | |
Auseinandersetzung mit der osteuropäischen Moderne. | |
Umso vielversprechender und wichtiger ist es jetzt, in „magyar modern“ die | |
Verbindung von damals neu aufleben zu lassen, sich in Erinnerung zu rufen | |
und dort auch zu behalten. | |
7 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Paula Kehl | |
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