| # taz.de -- Vergessener Maler Sascha Wiederhold: Aus der Stadt der Künstlerbä… | |
| > Mit dem Maler Sascha Wiederhold kann man ins Berlin der 1920er Jahre | |
| > eintauchen. Die Neue Nationalgalerie feiert gerade seine | |
| > Wiederentdeckung. | |
| Bild: Ausschnitt aus Sascha Wiederholds Bild „Madonna“ von 1924 | |
| Die Augen und der Sehsinn bekommen viel zu tun in den Bildern von Sascha | |
| Wiederhold. Alles scheint in Bewegung. Die Flächen, in kräftigen Farben mit | |
| Streifen, Zickzack, Punkten und Kreisen gemustert, sind eng verschachtelt | |
| und verzahnt. Das hat Rhythmus, leicht kann man sich Trommelwirbel und | |
| Fanfaren dazu vorstellen. | |
| Ein Hauch von Zirkus liegt schon in der Luft, noch bevor man Einzelheiten | |
| erkennt, hier einen Pferdekopf, dort einen Schweif, da ein gewinkeltes Bein | |
| und dann tatsächlich Pfeile und Bogen. Je länger man schaut, um so mehr | |
| Pferdeköpfe und Bogenschützen entdeckt man in Sascha Wiederholds Bild | |
| „Bogenschützen“. | |
| Seine Farbigkeit hat etwas von Pop-Art, die harten Kanten von Op-Art, die | |
| dicht verschachtelte Struktur von digital erzeugten Bildern, das Motiv von | |
| Fantasy. Aber auch etwas von einem wild gewordenen Konstruktivismus liegt | |
| über der Szenerie und damit kommt man auf die richtige Spur. | |
| 1928 ist das Bild entstanden. Sein Maler gehörte zu den [1][Künstlern der | |
| Sturm-Galerie von Herwarth Walden] in Berlin, die viele heute noch bekannte | |
| Protagonisten der Avantgarde damals gefördert hat. Sascha Wiederhold | |
| indessen, 1904 in Düsseldorf geboren, 1962 in Berlin gestorben, war fast | |
| vergessen. | |
| Eine Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin arbeitet jetzt an | |
| seiner Wiederentdeckung. Der Kurator Dieter Scholz hatte Wiederholds | |
| „Bogenschützen“ in der Galerie Brockstedt gesehen, wo das Bild über | |
| Jahrzehnte hinweg über dem Schreibtisch des Kunsthändlers hing. Es gelang, | |
| die „Bogenschützen“ für die Neue Nationalgalerie zu erwerben und sie bei | |
| der Wiedereröffnung im sanierten Mies-van-der-Rohe-Bau 2021 im Foyer | |
| auszustellen. | |
| Das war gewissermaßen der Auftakt zur Wiederentdeckung des Malers: der Erbe | |
| des Schweizer Sammlers Carl Laszlo meldete sich mit weiteren Werken, eine | |
| Ausstellung wurde zusammengebracht, auch in der Berlinischen Galerie gab es | |
| ein Konvolut von Dokumenten zu Wiederhold. | |
| ## Probelauf für den Umbau der Welt | |
| Zu sehen sind jetzt viele seiner Entwürfe für Bühnenbilder, die von der | |
| Nähe zum Konstruktivismus zeugen, aber auch symbolistische Formen, surreale | |
| Kombinationen, expressive Kulissen nutzen. Man weiß, dass Wiederhold an | |
| einem Theater in Tilsit 1929/30 als Ausstattungsleiter beschäftigt war. | |
| Darüber hinaus aber erscheinen die vielen Entwürfe auch wie ein Probelauf | |
| für den konstruktivistischen Umbau der Welt, in dem die ästhetische Dynamik | |
| gedacht ist als Zugpferd eines sozialen Umbaus. | |
| Diese Hoffnung, die viele Künstler:innen der Avantgarde der 1920er Jahre | |
| in Berlin umtrieb, unter ihnen auch viele Russen, bewegte auch Herwarth | |
| Walden, Wiederholds Galerist. Er floh vor dem Nationalsozialismus 1932 nach | |
| Moskau ins Exil, noch mit Hoffnungen auf den Kommunismus. Walden wurde aber | |
| ein Opfer des Stalinismus, er starb 1941 in einem sowjetischen Lager. | |
| Mit ihm hatte Wiederhold seinen Förderer und Galeristen verloren. Walden | |
| hatte dem gerade 21-jährigen Künstler 1925 die erste Einzelausstellung | |
| ausgerichtet. Aus dem Studium an der Kunstakademie Berlin war Wiederhold | |
| zuvor rausgeworfen worden, weil er, ohne eigene Wohnung, in einer | |
| Dienstwohnung der Akademie geschlafen hatte. | |
| Aus Dokumenten geht hervor, dass er mit Dekorationsaufträgen an vielen der | |
| beliebten Künstlerbälle beteiligt war, die Motive seiner großformatigen | |
| Bilder hängen damit möglicherweise zusammen. In einem handgeschriebenen | |
| Lebenslauf teilte er mit, dass er 1932 völlig mittellos war. Die | |
| kulturpolitische Feindseligkeit der Nationalsozialisten gegen die | |
| künstlerischen Avantgarden wird seinen künstlerischen Spielraum weiter | |
| verengt haben. Er machte eine Ausbildung zum Buchhändler und blieb in | |
| Berlin. | |
| ## Tanzende melden sich aus der Kriegsgefangenschaft | |
| Aus der Zeit nach 1933 sind keine Arbeiten mehr von ihm bekannt, mit einer | |
| Ausnahme, die jetzt auch in Berlin zu sehen ist: Wiederhold war zum | |
| Wehrdienst verpflichtet worden und in englische Kriegsgefangenschaft | |
| geraten. Dort zeichnete er 1946 eine großartige Serie von Figurinen, in | |
| denen sich Körperelemente wie Beine, Gesichter, Hände mit gemusterten | |
| Flächen verschränken, ein Tanz mit immer weiter ausgreifenden Bewegungen. | |
| Wiederhold gehört zu den Künstler:innen, deren Karrieren durch | |
| Nationalsozialismus und Krieg zerbrachen und die erst Jahrzehnte später | |
| wiederentdeckt worden sind. Er arbeitete nach 1945 als Buchhändler. Im | |
| Foyer der Neuen Nationalgalerie ist er zusammen mit „Abend über Potsdam“ | |
| der Malerin Lotte Laserstein ausgestellt, die ins schwedische Exil gegangen | |
| war und erst in den letzten 15 Jahren mit großen Ausstellungen wieder | |
| gefeiert wurde. | |
| Zudem war Wiederholds Werk im Material fragil. Selbst großformatige Bilder, | |
| wie die 1927 entstandene „Jazzsymphonie“, 305 x 456 cm, war auf Papier | |
| gemalt und ist später erst – ob vom Künstler selbst oder im Kunsthandel, | |
| weiß man nicht – auf Leinwand kaschiert worden. Der Sammler Carl Laszlo, | |
| der Anfang der 1960er Jahre noch Kontakt zu Wiederhold pflegte, hatte das | |
| Bild bei sich als Deckengemälde hängen. In der Neuen Nationalgalerie bildet | |
| dies Kaleidoskop aus zylindrischen Köpfen, Musikinstrumenten, Rosetten, | |
| Blumen und Karos, als ob ein ganzes Musterbuch in diese Collage | |
| eingeflossen wäre, jetzt den Höhepunkt der Ausstellung. | |
| 14 Jul 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Herwarth-Waldens-Zeitschrift-Der-Sturm/!5144619 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
| ## TAGS | |
| Neue Nationalgalerie | |
| Retrospektive | |
| Moderne | |
| Weimarer Republik | |
| Künstler | |
| Berlin | |
| Ausstellung | |
| Architektur | |
| Deutsche Geschichte | |
| Ausstellung | |
| NS-Verfolgte | |
| Design | |
| Ausstellung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Ungarische Avantgarde in Berlin: Wiedersehen in der Metropole | |
| Am Beginn der Moderne bereicherten Künstler:innen aus Ungarn das | |
| Kunstleben in Berlin. Daran erinnert eine Ausstellung der Berlinischen | |
| Galerie. | |
| Architekturgespräch in Berlin: Einen Bunker vorausahnen | |
| Ein Gesprächsabend in der Neuen Nationalgalerie in Berlin kreiste um | |
| Architektur in Krisenzeiten. Dabei ging es auch um Resilienz und | |
| Nachhaltigkeit. | |
| Buch über Pionier der Sexualforschung: Ein sicherer Ort für Schwule | |
| Kampf gegen „Homosexuellenparagraf“: Rainer Herrn erzählt die Geschichte | |
| des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld und seines Instituts. | |
| Ausstellung im HKW Berlin: Vulven in Großaufnahme | |
| Antineoliberal, intersektional und feministisch ist die Ausstellung „No | |
| Master Territories“ im HKW in Berlin. Mit Filmen von und über Frauen. | |
| Ausstellung einer NS-verfolgten Malerin: Das Vermächtnis der Anita Suhr | |
| In Hamburg ist eine Schau der Malerin Anita Suhr zu sehen. Die NS-Verfolgte | |
| war durch KZ-Haft und Wiedergutmachungsverfahren doppelt traumatisiert. | |
| Kulturkampf in der jungen DDR: Fabrik für kleine Baumeister | |
| Streit um Design: Eine Ausstellung in Berlin erzählt von Mart Stam, dem | |
| Gründer des Instituts für industrielle Gestaltung in Ostberlin. | |
| Vergessene Künstlerinnen: Der „Blödsinn“ der Moderne | |
| Blickt man auf die Künstlerinnen, dann hat die Ausstellung „Wien Berlin“ in | |
| der Berlinischen Galerie die besten Entdeckungen zu bieten. |