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# taz.de -- Ausstellung einer NS-verfolgten Malerin: Das Vermächtnis der Anita…
> In Hamburg ist eine Schau der Malerin Anita Suhr zu sehen. Die
> NS-Verfolgte war durch KZ-Haft und Wiedergutmachungsverfahren doppelt
> traumatisiert.
Bild: Lange nach dem Krieg traute sich Anita Suhr wieder zu malen: Selbstportr�…
Hamburg taz | Der Wächter steht vor einem Berg. Er ist ein KZ-Wachmann und
der Berg bei näherem Hinsehen ein Zug Menschen, die aus einem Waggon in ein
Gebäude – vielleicht ein Krematorium – ziehen. Zu einem einzigen Schwung
hat Anita Suhr auf ihrer Kohlezeichnung die Laufrichtung der Gefangenen
verdichtet, wie um deren Ausweglosigkeit zu illustrieren. Diese Gefühle
kannte die NS-verfolgte Widerständlerin und Malerin Anita Suhr (1900–1991)
aus eigenem Erleben in KZ wie [1][Fuhlsbüttel], Moringen, Lübeck-Lauerhof
und dem berüchtigten Frauen-KZ Ravensbrück, aus dem kaum jemand heimkehrte.
Durch Zufall hat die Künstlerin, der jetzt eine kleine Schau in Hamburg
gilt, Schikanen und Einzelhaft überlebt, vorm Zellenfenster den zynischen
Späßen der SS-Wachleute lauschend. Aber mit dem Überleben ist sie nicht
froh geworden. Lange noch hat sie das von den Nazis verhängte Berufsverbot
mit sich herumgetragen, es durch leidensbedingte Schaffenspausen in die
Nachkriegszeit hinein verlängert.
Erst Ende der 1950er-Jahre hat sie wieder zu malen begonnen und es bis ins
hohe Alter getan. „Verfolgt, gebrochen und dennoch Kunst“ nannte der
Kurator und Nachlassverwalter Joachim Künkel die Schau über jene Frau, die
erst an der Hamburger Kunstgewerbeschule Modezeichnen studierte und ab 1922
als freischaffende Künstlerin arbeitete. Sie muss anerkannt gewesen sein,
hat unter anderem Räume für Künstlerfeste der avantgardistischen Hamburger
Sezession mitgestaltet. Sezessionsmitglied Erich Hartmann, später selbst
von den Nazis verfemt, war ein wichtiger Lehrer.
Aber dann kamen die Selbstzweifel. Anita Suhr pausierte jahrelang. Später
unterstütze sie ihren damaligen Verlobten, Rechtsanwalt Max Fink, den
Ex-Seniorchef von Kurator Künkel, der Anita Suhr während ihrer letzten fünf
Lebensjahre begleitete. In politischen Prozessen muss Fink damals
„Missliebige“ vertreten haben, denn das NS-Regime entzog ihm bald nach der
Machtübernahme 1933 die Approbation und inhaftierte ihn ein Jahr lang im KZ
Fuhlsbüttel.
## Selbstzweifel und Opposition
Anita Suhr machte weiter, nahm 1934 Kontakt zu einer Oppositionsgruppe auf.
Auf ihre Verhaftung 1935 folgte eine sechsjährige Odyssee durch die
erwähnten Zuchthäuser und KZ, wobei die [2][Gestapo] stets auf Einzelhaft
bestand, weil sie laut Häftlingsakte „unverbesserliche Kommunistin ist, die
in … verbissener Weise diese Ziele verfolgt und deshalb … eine Gefahr für
die übrigen Häftlinge bedeutet, mit denen sie in Berührung kommt.“ Ihre
Entlassung 1941 aus Ravensbrück war gekoppelt an ein Berufsverbot sowie an
einen Hausarrest auf dem elterlichen Grundstück.
Mit Kriegsende 1945 war das Leiden nicht vorbei: Jetzt begann der Kampf um
Wiedergutmachung, mühsamer und demütigender als gedacht. Denn deutschen
Ärzten war die in den USA bereits etablierte Traumaforschung fremd.
Daher war es hierzulande „für Verfolgte besonders schwierig, Entschädigung
für die von ihnen erlittenen psychischen Schäden zu erhalten“, schreibt auf
taz-Anfrage der Münchner Geschichtsprofessor Hans Günter Hockerts, der
intensiv über [3][Wiedergutmachung] geforscht hat. „Erst recht wurden
sogenannte Spätschäden, die sich erst im höheren Alter quälend bemerkbar
machen, von psychiatrischen Gutachtern lange nicht anerkannt. Denn die in
der Bundesrepublik herrschende Lehre der Psychiatrie ging von der
Vorstellung aus, die menschliche Belastbarkeit sei fast grenzenlos.“ Das
habe sich erst 1964 geändert, als der Psychiater William G.Niederland die
„Theorie vom Überlebenden-Syndrom“ erstellte.
Entsprechend kalt lesen sich die auf der [4][Anita-Suhr-Homepage] zitierten
nervenärztlichen Gutachten: „Seelische Eindrücke, auch wenn sie sehr tief
waren, gleichen sich, wenn man der Natur ungehindert ihren Lauf lässt,
allmählich wieder aus. Bei Frl. S. hingegen besteht eine deutliche Neigung,
jene schweren Eindrücke festzuhalten, indem sie sich immer wieder in die
damaligen Erlebnisse hineinsteigert, was aber nicht nötig ist“, schrieb
1951 Oberarzt Krauss aus Hamburg-Ochsenzoll. Das sei aber „altersbedingt
und nicht Haftfolge“.
Dabei konnte von gezieltem Hineinsteigern keine Rede sein, sagt Künkel.
„Sie hat nie von sich aus über die Haftzeit gesprochen. Nur aus
gelegentlichen Bemerkungen konnte ich schließen, wie es ihr ging.“ Sie
könne nicht ausstellen, „da sind doch die Nazis noch, die erkennen mich …
Ich habe Angst und erschrecke mich vor gestreifter Kleidung, ich schaffe es
ja gerade noch in die Kunsthalle“, hat sie zum Beispiel gesagt.
Und „die Angst vor Nazis“, sagt [5][Maike Bruhns], Hamburger
Kunsthistorikerin und Sammlerin von Werken NS-verfolgter KünstlerInnen,
„war berechtigt. Nach 1945 fanden sich in allen gesellschaftlichen
Bereichen hochrangige einstige NS-Funktionäre, die alles daran setzten,
nicht als Täter entlarvt zu werden.“
Anita Suhr erhielt zwar in zweiter Instanz das Recht auf eine lebenslange
Rente, aber sie stellte nie öffentlich aus – ein Grund dafür, dass sie so
wenig bekannt ist. Dabei sind ihre Bilder, die künftig teils in der
KZ-Gedenkstätte Neuengamme, teils in Maike Bruhns’ Sammlung weilen sollen,
von hoher Qualität: Stark und markant sind die in expressiven
Pinselstrichen und Farben gemalten Porträts eigenwillig blickender Frauen,
die teils ins Abstrakte reichen. Oder die Stillleben aus Kessel, Teller,
Flasche, halb noch gegenständlich, halb schon pure, sich mit dem Bildgrund
verbindende Farbe.
Die Kohlezeichnungen mit Motiven aus der Haft – unter anderem markante
Porträts von WiderstandskämpferInnen – stehen gleichberechtigt neben diesem
Aufbruch in die reine Farbe, sind integraler, aber nicht dominanter Teil
ihres Werks: Die Haft hat Anita Suhr nicht gebrochen, die Kunst das Trauma
aber auch nicht geheilt.
Und ein Rest Unverstandenes, ein fragendes Vermächtnis bleibt: „Ohne Rinde
ist Holz nicht geschützt“, schrieb Anita Suhr kurz vor ihrem Tod auf einen
Zettel. „Ohne Selbsterkenntnis, ohne Menschenkenntnis ist Friede unter den
Menschen nicht möglich. Warum?“
18 Feb 2022
## LINKS
[1] /Historiker-ueber-fruehere-Gestapo-Zentrale/!5780123
[2] /Archiv-Suche/!5812353&s=Gestapo&SuchRahmen=Print/
[3] /Archiv-Suche/!5810107&s=NS+Wiedergutmachung&SuchRahmen=Print/
[4] https://www.anita-suhr.de/
[5] /Sammlerin-Maike-Bruhns-ueber-verfemte-Kunst/!5071522
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
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