# taz.de -- Architekturgespräch in Berlin: Einen Bunker vorausahnen | |
> Ein Gesprächsabend in der Neuen Nationalgalerie in Berlin kreiste um | |
> Architektur in Krisenzeiten. Dabei ging es auch um Resilienz und | |
> Nachhaltigkeit. | |
Bild: Fast im Schnee versunken: das estnische Nationalmuseum in Tartu | |
Resilienz ist ein Begriff aus der Psychologie, der bezeichnet, wie Menschen | |
auf Traumata reagieren. Trotz durchlebter Krisen gefasst, weiter | |
lebensfähig, müssen sich Resiliente ein Stück weit als getrennt von ihrer | |
Umwelt, vom Erlebten begreifen. Wohl auch deshalb sieht die libanesische | |
Architektin Lina Ghotmeh den Begriff in Bezug auf Architektur kritisch. | |
„Resilienz in Krisenzeiten“ war Teil zwei der in der Neuen Nationalgalerie | |
in Berlin laufenden Gesprächsreihe „What can architecture do for you?“ am | |
Dienstagabend überschrieben. Ghotmeh, die seit Langem in Paris lebt, geht | |
es bei ihren Bauten weniger darum, resilient gegenüber krisengebeutelten | |
Systemen zu sein. Wichtiger sei, Gebäude Teil ihrer Umwelt werden zu | |
lassen. Architektur, die zwar Ausdruck ihrer Epoche ist, diese aber eben | |
auch weiterdenkt. | |
Als ziemlich resilient hat sich allerdings der von ihr entworfene „Stone | |
Garden“ in Beirut erwiesen. Unweit des Hafens gelegen, blieb das Wohnhaus | |
bei der Explosion im August 2020 stehen; nur die Fensterscheiben | |
splitterten. Ghotmeh und ihr Team hätten einen Bunker antizipiert, sagt | |
Klaus Biesenbach, Direktor der Neuen Nationalgalerie, in seiner | |
Eröffnungsrede. | |
Ghotmehs Architekturverständnis wird deutlicher bei einem anderen | |
Bauprojekt, dem Estnischen Nationalmuseum in Tartu. Gelegen auf einem alten | |
sowjetischen Flugplatz, erhebt sich das Gebäude aus der Länge und greift | |
die Landebahn in den beiden Museumsflügeln auf. Trotz Stahl und hoher | |
Glasfronten wirkt es nicht wie ein Fremdkörper inmitten der | |
Schneelandschaft, die das Haus im Winter umgibt. | |
## Bestandsschutz ist kein Thema | |
Unwillkürlich drängt sich die Frage nach den Heizkosten auf, während man in | |
der kühlen großen Halle der Neuen Nationalgalerie sitzt. Im Museum zu | |
überwintern, so wie Biesenbach es unlängst vorschlug, scheint schon an | |
diesem Septemberabend unrealistisch. | |
Klimaschutz ist eben so auch vor allem in Form von Fassadengrün und der | |
Wahl der Baustoffe ein Thema. [1][Da die Gebäudewirtschaft jedoch für rund | |
40 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich ist, forderte | |
zuletzt der Bund deutscher Architekten einen Abrissstop:] Weniger | |
Neubauten, stattdessen Umbau und Bestandsschutz, so die Devise. | |
Krisen, auf die Architektur gemäß der Gesprächsreihe Antworten finden soll, | |
wirken andersherum auch auf die Architektur: Der Ukrainekrieg forderte | |
bislang nicht nur Tausende Opfer, sondern sorgte in vielen Städten für | |
verheerende Zerstörungen. In Mariupol und Charkiw etwa sind 50 Prozent | |
aller Gebäude zerstört. | |
Wie sich Kriege in Städten widerspiegeln, dazu arbeitet die israelische | |
Künstlerin Yael Bartana. Ihr Film „Malka Germania“ nimmt seinen Ausgang | |
jedoch im Frieden. Durch das heutige Berlin bewegt sich eine Erlöserfigur, | |
weiß gekleidet und androgyn. | |
Wer hier genau erlöst wird, ist nicht ganz klar. [2][Bartana scheint eher | |
das Konzept an sich interessant zu finden.] In ihrem Film steht Malka mal | |
auf Eisenbahnschienen im Wald, mal am Berliner Wannsee, an dem 1942 die | |
„Endlösung der Judenfrage“ beschlossen wurde. Aus eben diesem Gewässer | |
steigt schließlich vor den Augen der Badegäste die von [3][Albert Speer] | |
geplante aber nie gebaute „große Halle“ auf. Von der gigantischen Kuppel | |
rinnt literweise das Wasser. | |
29 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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