| # taz.de -- Neue Kulturbauprojekte in Ungarn: In Orbáns Wald wachsen Gebäude | |
| > Im Budapester Stadtwäldchen Városliget entsteht ein Museums- und | |
| > Kulturkomplex, dem viel Grün zum Opfer fällt. Kritiker beklagen zudem | |
| > Korruption. | |
| Bild: Das Haus der Musik in Budapest wenige Tage nach der Eröffnung durch Vikt… | |
| Wer sich von Westen dem Haus der Musik in Budapest nähert, wird schon | |
| akustisch auf das bevorstehende Erlebnis eingestimmt. Auf einem | |
| Musikspielplatz können Kinder durch Treten auf markierte Punkte Melodien | |
| erzeugen, auf eine Marimba hämmern oder dem Boden die Töne von | |
| Blasinstrumenten entlocken. Diese Einladung, die eigene Kreativität zu | |
| erproben, wird offenkundig auch von Erwachsenen gerne wahrgenommen. | |
| Das Haus der Musik selbst ist ein luftiges Gebäude, das sich Mühe gibt, in | |
| der Natur zu verschwinden. Das Vordach, gerne mit einem Schweizer Käse | |
| verglichen, lässt den ringsum stehenden Bäumen Löcher, durch die sie sich | |
| gen Himmel recken können. Sollten die noch jungen Bäume eines Tages | |
| ausladende Kronen entwickeln wollen, wird man ihnen wohl Gewalt antun | |
| müssen. | |
| Die gläsernen Wände verleihen dem neuen Kulturzentrum eine besondere | |
| Transparenz, die durch die weißen Wände und Möbel im Inneren noch betont | |
| wird. Das Haus, so erläutert die PR-Beauftrage Médea Kui, diene | |
| gleichzeitig drei Zwecken: der Musikausübung in der Konzerthalle, dem | |
| Studium in der einschlägigen Bibliothek und der Lehre in den kleineren | |
| Seminarräumen. Nicht erwähnt hat sie den Konsum, zu dem die eher | |
| hochpreisigen Cafés und Restaurants im Erdgeschoss und ersten Stock | |
| verführen. | |
| ## Im Haus der Musik | |
| Höhepunkt des Besuchs ist die Dauerausstellung im zweiten Untergeschoss. | |
| Hier wird mit modernster Technik ein Rundgang durch die Geschichte der | |
| Musik geboten. Durch das Schlagen von Trommeln kann man auf einer | |
| flächendeckenden Waldkulisse Hirsch, Hasen, Wildschwein und Fasan aus ihren | |
| Verstecken locken. | |
| In einem weiteren Saal werden die Wurzeln der magyarischen Tonkunst aus den | |
| Tiefen Asiens dargestellt und Volkslieder, die den Menschen von der Wiege | |
| bis zur Totenglocke begleiten, in die Kopfhörer gespielt. Von den | |
| gregorianischen Chorälen über barocke Kammerkonzerte, ungarische und | |
| europäische Klassik bis zu computergenerierter Musik werden Besucherinnen | |
| und Besucher visuell und akustisch an der Hand genommen und durch die | |
| Jahrhunderte geführt. | |
| Wer sich darauf einlässt, kann hier gut und gerne einen halben Tag lustvoll | |
| zubringen. Großen Zuspruchs erfreut sich auch der Sound Dome: eine | |
| Kuppelhalle, wo man sich auf bequemen Sackfauteuils bequem hinfläzen kann, | |
| um gleichzeitig den Improvisationen eines DJ oder Computermusikers zu | |
| lauschen und sich von beweglichen Farbprojektionen in der Kuppel berauschen | |
| zu lassen. | |
| Keine Frage, das vom japanischen Stararchitekten Sou Fujimoto entworfene | |
| Haus der Musik in Budapest ist eine Bereicherung des ungarischen | |
| Kulturlebens. Das Projekt wurde aus über 150 Einreichungen ausgewählt. | |
| Médea Kui betont, dass die Ausschreibung international und anonym gelaufen | |
| und die Auswahl von einer internationalen Jury aus renommierten | |
| Kunstexperten getroffen worden sei. Gehen doch sonst fast alle öffentlichen | |
| Aufträge in Ungarn an Freunde und Verwandte von Premierminister Viktor | |
| Orbán. | |
| ## Korruption bei Auftragsvergabe | |
| In ihrem 40 Seiten dicken Schreiben, mit dem die EU Ende April das | |
| Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn einleitete, beklagt die Kommission: | |
| „Viele Jahre hindurch haben mehrere Überprüfungen durch EU-Einrichtungen | |
| systemische Defizite und Schwächen festgestellt, die die Kontrolle | |
| öffentlicher Ausschreibungen im Umgang mit EU-Fonds in Ungarn betreffen.“ | |
| Da ist die Rede von Ausschreibungen mit nur einem Bieter, | |
| Interessenkonflikten, Insidergeschäften und Straflosigkeit für Freunde des | |
| Regierungschefs. Orbáns Jugendfreund Lőrinc Mészáros, der vor zehn Jahren | |
| noch ein bankrotter Gasinstallateur war, ist so zum Multi-Unternehmer und | |
| Milliardär aufgestiegen. Er gilt als reichster Mann Ungarns und hat über | |
| eines seiner Unternehmen auch bei der Errichtung des neuen Kultur-Clusters | |
| im Budapester Stadtwäldchen die Hände im Spiel. | |
| György und Judit Borbély haben vor 30 Jahren in Budapest eine Wohnung | |
| gesucht, die in Gehweite des Városliget – des Stadtwäldchens – liegen | |
| sollte. Das 100 Hektar große Erholungsgebiet, einen Steinwurf vom | |
| betriebsamen Stadtzentrum entfernt, ist seit Generationen ein Magnet für | |
| alle, die Zerstreuung suchen oder in der Natur Lunge und Geist durchlüften | |
| wollen. Die einen zieht es in den Tiergarten, den Zirkus oder das | |
| historistische Széchenyi-Bad mit seinen Thermalbecken, die anderen auf die | |
| schattigen Grünflächen. | |
| Das Paar ist sehr empfindlich, wenn es um Eingriffe in ihr Paradies vor der | |
| Haustür geht. Als der erste Baum gefällt wurde, schlugen sie ein | |
| Protestcamp auf, das bei Gleichgesinnten schnell Unterstützung fand. | |
| ## Die Behüter des Waldes | |
| Ligetvédők – Behüter des Stadtwäldchens – nannten sie den basisdemokrat… | |
| organisierten Verein, der sich gegen megalomane Bauprojekte auf Grünflächen | |
| richtet. Es ging um den Bio-Dome, ein ehrgeiziges Projekt des damaligen | |
| Tiergartendirektors Miklós Persányi, dem allerdings das Geld ausgegangen | |
| ist. | |
| Geblieben ist ein hässliches graues Monstrum von amöbenhaftem Aussehen, das | |
| alles andere ist als ein Schmuck für den Park und ein Hort der | |
| Artenvielfalt. Persányi musste nach dem Flop im Jahr 2020 nach 26 Jahren | |
| seinen Hut nehmen. Was als Arche Noah für die Natur geplant war, wurde zum | |
| Symbol für Größenwahn und das sinnbefreite Zubetonieren von Grünflächen. | |
| Der Bio-Dome war ein Alleingang, der nicht in das große Projekt des | |
| Kultur-Clusters im Városliget integriert war. Da ist geplant, bestehende | |
| Museen in neuen, repräsentativen Gebäuden im Stadtwäldchen unterzubringen. | |
| ## Ausstellung für Orbán | |
| Neben dem Haus der Musik hat auch das Ethnographische Museum, das von außen | |
| an eine riesige Halfpipe für Skater erinnert, mittlerweile eröffnet. In | |
| einem internationalen Wettbewerb hatte sich das ungarische Architekturbüro | |
| NAPUR von Marcel Ferencz gegen internationale Stars wie Zaha Hadid und Rem | |
| Kohlhaas durchgesetzt. Das Gebäude steht auf einem ehemaligen Parkplatz, | |
| der jetzt unter die Erde geschoben wurde. | |
| Unter der Erde liegen auch 60 Prozent der Ausstellungsfläche, was den | |
| Schutz heikler Exponate vor Sonnenlicht erleichtert. Die aus 250.000 | |
| Stücken bestehende Sammlung, die neben Artefakten aus dem Karpatenbecken | |
| völkerkundliche Gegenstände und Exotika aus allen Teilen der Welt enthält, | |
| wurde aus einem klassizistischen Gebäude gegenüber dem Parlament | |
| umgesiedelt. | |
| Fertig ist auch schon das Millenniums-Gebäude – der Nachbau eines schmucken | |
| Jugendstil-Ziegelbaus von der vorletzten Jahrhundertwende. Dass es | |
| ausgerechnet mit einer Ausstellung über die politischen Leistungen von | |
| Viktor Orbán eröffnet wurde, bedarf für die Gegner der Bauwut im Park | |
| keines weiteren Kommentars. | |
| Besonders entzünden sich die Emotionen derzeit am Plan, eine neue | |
| Nationalgalerie in den Városliget zu stellen. Die soll mit 300 Millionen | |
| Euro Baukosten teurer werden als die drei bestehenden Gebäude zusammen. Das | |
| künftige Baugelände verbirgt sich hinter einem Zaun, auf dem sich | |
| Graffiti-Künstler und Regimegegner austoben können. Orbán-kritische Sprüche | |
| werden aber schnellstens gelöscht oder überpinselt, hat György Borbély | |
| beobachtet. | |
| Ganz blass ist noch das von Orbán überlieferte Zitat „Ich lüge nie“ zu | |
| erkennen. Eine Anspielung auf sein Versprechen: „Kein Gebäude wird im Park | |
| gegen den Willen der Hauptstadt gebaut.“ Das war 2019, als die | |
| Stadtregierung von der Regierungspartei Fidesz zu einer linksgrünen | |
| Oppositionsallianz wechselte. | |
| ## Es geht um mehr | |
| An manchen Stellen kann man durch den Zaun die Überreste eines Pavillons | |
| der Weltausstellung von 1896 erkennen. „Aleppo“ nennt Attila, einer der | |
| Aktivisten, das Trümmerfeld. Auf einem freien Platz davor haben die | |
| Aktivisten von Ligetvédők von Dezember 2016 bis April 2018 ihr zweites | |
| Protestcamp mit Wohnwagen und Zelten errichtet. | |
| [1][Es geht ihnen nicht nur ums Grün, sondern auch um Korruption.] „Alle | |
| Bauprojekte sind zu teuer und bieten Politikern die Gelegenheit, sich die | |
| Taschen zu füllen“, ist Judit Borbély überzeugt. Nach Orbáns Wahlsieg im | |
| April 2018 war die Luft draußen. Von Großdemonstrationen mit über 3.000 | |
| Beteiligten war nur mehr ein Häuflein übrig geblieben. | |
| Die Verfügung über den kommunalen Park steht eigentlich dem Bürgermeister | |
| zu. Der hat allerdings, als das Rathaus noch mit Regierungstreuen besetzt | |
| war, das Gelände für 99 Jahre an die Zentralregierung verpachtet. | |
| „Was uns vorschwebt, ist die Rettung des Városliget als öffentlicher Park�… | |
| sagt Gábor Kerpel-Fronius, Vizebürgermeister von Budapest, „denn die Stadt | |
| verfügt über zu wenige Grünflächen.“ Die Regierung habe für ihre Bauplä… | |
| ein Gesetz verabschieden lassen, das dieses Vorhaben konterkariere. Man | |
| habe zugestimmt, dass Projekte, die sich bereits in der Bauphase befanden, | |
| fertiggestellt werden dürften. Auf die neue Nationalgalerie trifft das aber | |
| nicht zu. | |
| ## Befürworter des Neubaus | |
| Die Budapester Burg am anderen Donauufer, die derzeit als Nationalgalerie | |
| dient, sei auf Dauer nicht geeignet als Museum, verteidigen Befürworter des | |
| Neubaus das Projekt. „Auch wir sehen die Notwendigkeit für einen Neubau“, | |
| sagt Kerpel-Fronius, „die Stadt verfügt aber über ausreichend | |
| Industriebrachen und stillgelegte Bahnhöfe, die dafür viel besser geeignet | |
| wären.“ | |
| Médea Kui, die Pressebeauftragte des Kulturbezirks, gibt sich überrascht zu | |
| Protesten von Zivilgesellschaft und Rathaus: „Es gibt keine Opposition zum | |
| Projekt.“ So sieht es auch [2][Viktor Orbán, der nach seinem triumphalen | |
| Wahlsieg im vergangenen April vor Selbstbewusstsein fast platzt.] Er habe | |
| ein starkes Mandat erhalten, seine Pläne durchzuziehen. In der Hauptstadt | |
| Budapest hat er allerdings in fast allen Bezirken verloren. Abzusehen, wer | |
| sich durchsetzen wird. | |
| 22 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
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