# taz.de -- Megaprojekte des Architekten Ole Scheeren: In jeder Hinsicht groß | |
> Ole Scheeren baut Großes in Asien, das ZKM Karlsruhe widmet ihm eine | |
> opulente Schau. Die kühne Architektur beeindruckt und macht misstrauisch. | |
Bild: „The Interlace“ in Singapur von Ole Scheeren und OMA, 1040 Wohneinhei… | |
Wie langweilig zeitgenössische Architektur in Deutschland ist, wird gleich | |
nebenan in den Niederlanden schmerzhaft deutlich. Dort wird auf heitere | |
Transparenz gesetzt und bei größeren Gebäuden auch die kühne Form gewagt. | |
Die Megamarkthalle des [1][Architekturbüros MVRDV] in Rotterdam etwa: 5.500 | |
Quadratmeter Marktfläche umhüllt von irgendetwas zwischen einem breit | |
gezerrten Triumphbogen und einem gigantischen bunten Brückenbauklotz. Kein | |
Vergleich zu den dumpfen Kästen mit ihren Schießscharten-Fensterschlitzen | |
hierzulande. | |
Die Gründe für die betonierte Ödnis Deutschlands sind bekanntlich komplex, | |
finanzielle Interessen der Bauträger, mutlose Konsenspolitik und der immer | |
noch wachsende Wust an (je Bundesland variierenden) Bauordnungen greifen | |
lähmend ineinander. Auch ganz schlichte Bedürfnisse nach Wohn- und | |
Aufenthaltsqualität leiden unter der normierten Einfallslosigkeit. | |
Dass Ästhetik und Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens gemeinsam | |
gedacht werden müssen, propagiert der in Karlsruhe geborene Architekt Ole | |
Scheeren. [2][Peter Weibel, der am 1. März überraschend verstorbene | |
Direktor] des dortigen Zentrums für Kunst und Medien (ZKM), hatte Scheeren | |
in seiner Heimatstadt eine opulente Ausstellung spendiert. | |
Die Schau „ole scheeren: spaces of life“ mit ihren eindrucksvollen | |
Architekturmodellen ist eine von Weibels letzten Großtaten, bevor er Ende | |
März in den Ruhestand gehen wollte. Scheeren baut vor allem in Asien. Seine | |
Firmenzentralen, Hotels, Kulturbauten und Wohnanlagen im gehobenen | |
Luxussegment sind häufig schwindelerregende Großprojekte. | |
Scheeren gibt sich als smarter und eloquenter Weltbürger. Mit dem Motto | |
„form follows fiction“ – einer Abkehr vom Nüchternheitsprinzip „form | |
follows function“ – hat er seiner Architektur auch ein durchaus | |
PR-wirksames Mantra verpasst. Seine Bauten sollen ein Erlebnis- und | |
Erfahrungsraum sein – und sie sind mitunter eine spektakuläre Bühne. | |
## Zwischen Kunst und Kommerz | |
Der 52-Jährige denkt in jeder Hinsicht groß, seine Wunderkindkarriere ist | |
in der Karlsruher Schau anhand einer ehrfurchtgebietenden Timeline | |
visualisiert: mehr als 40 Meter lang, zeigt sie an die 100 | |
Architekturmodelle in 3D-Druck. Lächerlich klein nehmen sich die ersten | |
heimischen Versuche neben seinen Großprojekten aus, die er bislang | |
überwiegend in Asien verwirklichen konnte. Darunter das „Guardian Art | |
Center“, ein Hybridprojekt zwischen Kunst und Kommerz, das Chinas | |
wichtigstes Auktionshaus, Galerien, Restaurants, ein Hotel, | |
multifunktionale Veranstaltungsräume und einen musealen Raum beherbergt. | |
Der Sohn eines Architekten fing mit 14 Jahren im Büro seines Vaters an und | |
baute mit 21 Jahren das erste Haus. Mit 31 Jahren wurde er in Rotterdam | |
Partner bei Rem Koolhaas’ OMA und war vornehmlich für dessen Großprojekte | |
in China zuständig. Mit dem 2012 eröffneten „CCTV“ verwirklichte er das | |
nach dem Pentagon zweitgrößte Bürogebäude der Welt. | |
Bis heute ist dieser dreidimensionale Loop für die Sendezentrale des | |
chinesischen Staatsfernsehens mit dem statischen Wagnis von 75 Metern | |
Auskragung in 160 Metern Höhe eines seiner spektakulärsten Projekte. In | |
Karlsruhe ist es prominent ausgestellt. 2010 trennte Scheeren sich von | |
Koolhaas und gründete in Peking sein eigenes Büro. | |
Die Karlsruher Schau unterscheidet nicht zwischen Scheerens unabhängig | |
umgesetzten Projekten und denen, die er noch für OMA plante, sie erwähnt | |
irritierenderweise auch nicht, dass das in Karlsruhe noch ausführlich | |
dokumentierte Frankfurter Projekt „Riverpark Tower“ inzwischen längst | |
gestoppt wurde. Scheeren wollte ein brutalistisches Hochhaus, das 1977 | |
Albert Speer jr. für die DG Bank am Mainufer geplant hatte, umgestalten | |
und die Büroparzellen zu Luxuswohnungen umbauen. In die freitragende | |
Betonstruktur des Turms sollten horizontale Panoramageschosse eingefügt | |
werden. | |
Das wäre ein großer Auftrag in Deutschland gewesen, der auch als | |
Vorzeigeprojekt für den aktuellen Nachhaltigkeitstrend im Baubusiness | |
dienen sollte. Nicht realisiert wurde auch Scheerens siegreicher Entwurf | |
für den Neubau der Axel-Springer-Zentrale in Berlin, wo man dann | |
schließlich doch den Plänen [3][seines alten Chefs Rem Koolhaas] den | |
Vorzug gab. | |
## „Jenseits aller Bauvorschriften“ | |
Zu kühn oder zu teuer? Für Scheeren ist es offenbar schwer, mit seiner groß | |
gedachten Architektur in Deutschland Fuß zu fassen. Er selbst gibt zu, dass | |
spektakuläre Bauten wie das CCTV in Peking „jenseits aller Bauvorschriften“ | |
umgesetzt wurden und hier unmöglich wären. In einem Interview 2015 für das | |
Magazin Baunetz verriet Scheeren, wie solch waghalsige Projekte in einem | |
Land ohne Bauordnung durchgeführt werden: Man setze sich einfach „mit den | |
Behörden zusammen“, woraufhin man seine Pläne gemeinsam mit einem | |
Expertengremium mit Statikern entwickele. | |
Klingt nach unbegrenzten Möglichkeiten. Andererseits sagte er: „Ich bin | |
aber ein klarer Gegner von der Idee des „wilden Ostens“, in dem sich | |
Architekten austoben können. Wir haben eine große gesellschaftliche | |
Verantwortung.“ | |
Ganz weiß man nicht, wie er diese gesellschaftliche Verantwortung versteht. | |
Seine chinesische Megaarchitektur scheint fast obszön in ihrer | |
Gigantomanie, Fragen zu Ökologie und zum ethischen Preis der Bauten, die | |
sich insbesondere in autoritär regierten Ländern wie China stellen, wischt | |
er betont lässig weg. Als seien es die falschen Fragen für jemanden, der | |
eben in jeder Hinsicht groß denkt. | |
Dabei ist es nicht unbedingt die Größe, sondern das ungewöhnliche | |
Raumkonzept, das häufig beeindruckt. Wie Ole Scheeren etwa privaten | |
Wohnraum, gemeinschaftliche Flächen und Grünanlagen in einem seiner | |
bekanntesten Bauten, dem vor gut zehn Jahren realisierten „The Interlace“ | |
in Singapur, zusammendenkt. Dessen Modell ist im zentralen Lichthof des ZKM | |
prominent inszeniert. Auf dem Gelände des „Interlace“ befand sich einst ein | |
Wolkenkratzer mit 607 Wohneinheiten, das Grundstück war von mehreren Parks | |
umgeben. Scheeren stapelte für seine Wohnanlage Gebäudeteile wie riesige | |
Kisten übereinander, die im Grundriss ein Wabenmuster nachzeichnen. | |
170.000 Quadratmeter Nutzfläche entstand aus der verschachtelten, in jede | |
Himmelsrichtung weisenden Architektur, 1.040 Wohneinheiten. Drumherum und | |
zwischendrin Grünflächen, zahlreiche Höfe mit Pools, bepflanzte Dachgärten | |
und viele gemeinschaftlich nutzbare, teils öffentliche Räume – für | |
diejenigen, die sich sozial und finanziell Eintritt zu „The Interlace“ | |
leisten können: ein Klubhaus, ein Theater, ein Fitnessstudio, Restaurants | |
und Tennisplätze. | |
## Ein Hochhaus, das sich in Pixel aufzulösen scheint | |
Ein solitäres Hochhaus ist das „Maha Nakhon“ von 2018 in Bangkok. Entlang | |
seiner spiralförmig gewundenen 314 Meter Höhe ahmt es eine pixelartige | |
Struktur nach. Es sieht aus, als löse sich der Bau in dieser auf, während | |
er von der Ferne einer zerklüfteten Berglandschaft gleicht. In dem | |
Glitzerturm residiert das Ritz-Carlton-Luxushotel. | |
Ole Scheerens Megagebäude sind fotogen, instagramable, PR-wirksam. Im | |
„media dump“ der Ausstellung ist ein Raum mit Bildschirmen gepflastert, sie | |
zeigen Social-Media-Posts von Selfies bis zu Panoramavideos der Besucher | |
und Bewohner seiner Architektur. Überhaupt geht es in der ZKM-Schau medial | |
zu, via Augmented Reality kann man sich an den großformatigen Modellen in | |
die Innenräume der Gebäude versetzen lassen. | |
Überzeugend ist Scheerens Architektur vor allem dort, wo er über das | |
Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit nachdenkt. Auch der | |
Ritz-Carlton-Turm in Bangkok hat eine frei zugängliche Dachterrasse (wobei | |
die Frage an das ZKM, wie frei zugänglich sie wirklich ist, unbeantwortet | |
blieb). Scheerens Konzepte sozialer Räume sind alles andere als neu. | |
[4][Schon Le Corbusiers Wohnmaschine] aus den späten 1940er Jahren hatte | |
solche Gemeinschaftsflächen. | |
In vielen sozialen Wohnneubauprojekten von Genossenschaften oder Baugruppen | |
gehören gemeinschaftlich genutzte Räume heute zum Standard. Bei Ole | |
Scheeren bleiben die Gemeinschaftsflächen aber weitestgehend exklusiv, | |
richten sich an die Wohlhabenden. | |
Dennoch liefert der Architekt gerade in seiner gigantischen Dimension | |
Beispiele, die sich auf andere ökonomische und soziale Verhältnisse | |
übertragen ließen. Wie wäre es denn zum Beispiel mit einem „Interlace“ a… | |
kommunaler Wohnungsbau? Wenn es denn die deutschen Bauordnungen erlauben. | |
28 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-um-albanisches-Baudenkmal/!5767487 | |
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[3] /Rem-Koolhaas-im-Guggenheim-Museum/!5667060 | |
[4] /Hansaviertel-in-Berlin-wird-60-Jahre-alt/!5422425 | |
## AUTOREN | |
Regine Müller | |
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