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# taz.de -- Stadtplanung für die Zukunft: Hygge und Hightech
> Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen gilt als eine der zukunftsfähigsten
> Städte weltweit. Eine Tour über Skipisten, Schulhöfe und Gullideckel.
Bild: Suche die Gullideckel der Zukunft, sie halten Starkregen stand
Kopenhagen darf sich dieses Jahr „Welthauptstadt der Architektur“ nennen,
das klingt sehr groß und bedeutend. Aber das Schöne an Kopenhagen ist: Was
die Stadt auszeichnet, diesen von der Unesco verliehenen Titel zu führen,
kommt manchmal ganz klein daher, fast schüchtern und beiläufig, stets aber
mit einem großen Effekt: [1][auf das Klima der Stadt] in Hitzesommern, auf
seine Saugkraft bei Starkregen und vor allem darauf, dass sich ihre
Bewohnerinnen und Bewohner wohlfühlen.
Fragt man Stadtplaner oder Stadtplanerinnen in Deutschland, wohin sie auf
der Suche nach Inspiration für zukunftsfähige Städte gehen, lautet die
Antwort deshalb oft: Kopenhagen. Was können wir uns also von dieser Stadt
abschauen?
Ein Rundgang durch Kopenhagen mit dem dänisch-deutschen Architektenpaar
Mikala Holme Samsøe und Amandus Samsøe Sattler, die abwechselnd in Berlin
und in Kopenhagen leben, soll das beantworten. Zusammen haben sie ihre
großen, erfolgreichen Architekturbüros verlassen und das Studio Ensømble
gegründet. Sie haben sich dem nachhaltigen Bauen verschrieben und wollen,
so sagen sie es, zur Entwicklung einer „reduktiven Moderne“ beitragen. Das
heißt: weg vom ständigen Neubauen, hin zur Reduktion, zu Umnutzung und
Weiternutzung.
Um Stadträume und wie sie besser genutzt werden, als wir das für gewöhnlich
in Deutschland kennen, geht es also an diesem Tag. Mal nicht in erster
Linie um die fantastische Infrastruktur für Radverkehr und Fußgänger in
dieser Stadt, über die wurde schon so viel geschrieben. Nur eins dazu: Es
fahren noch Autos in Kopenhagen, aber das ist egal, weil man [2][als
Radfahrer einfach dahinrollen] kann. Wir besuchen stattdessen einen
Kreisverkehr, der zum Wald geworden ist, spazieren eine
Müllverbrennungsanlage hinauf und stehen auf einem Parkhaus, das
gleichzeitig Fitnessstudio ist. Orte, die Kopenhagen beispielhaft machen
für eine Stadt, die die Menschen nicht vergisst. Und die einen als
Nicht-Kopenhagener denken lassen: So könnten wir das doch auch machen.
## Stopp 1: Ein großer Schulhof für alle
Der Israels Plads nahe Nørreport, Dänemarks am stärksten frequentierten
Bahnhof, das Universitätsviertel ist auch nicht weit. Ein Platz, der eine
erstaunliche Wandlung vollzogen hat und heute so vielen Menschen mehr
dient, als es zuvor denkbar war. Bis in die 1950er Jahre war dort ein
Großmarkt. Als der an den Stadtrand zog, entstand ein leerer Stadtraum, für
den man damals keinen rechten Plan hatte. Ein riesiger Parkplatz wurde
daraus, was sonst; ein Ort, um Hunde auszuführen, das auch. Weit weg
jedenfalls von dem, was sich heute dort tagtäglich ergibt. Ein heller,
freundlicher, belebter Platz mitten in der Stadt.
Drei Schulen säumen den Israels Plads, dazu Gründerzeitwohnhäuser, an der
Stirnseite eine flache Markthalle mit edlen Lebensmittelgeschäften. Im
Rahmen eines Wettbewerbs wurde der Platz ab 2008 nach Plänen des
Kopenhagener Architekturbüros COBE umgestaltet und 2014 fertiggestellt. Wie
ein Teppich, leicht erhöht, liegt seither eine Granitfläche über dem Platz.
An manchen Ecken wirft dieser Teppich Falten, in der Mitte hat er eine
Delle. Eine lebendige Gestalt, und alles hat seine Funktion: Die Delle ist
die kreisrunde Mitte, ein weicherer Boden, auf dem es sich [3][spielen und
herumrennen lässt], umgeben von zwei halbkreisförmigen und ineinander
verschränkten Zäunen. Darin Fußballtore, Basketballkörbe. Offen und doch
geschlossen.
Nebenan eine Minibowl für Skater, Bauminseln, die eine Verbindung zum nahen
Ørstedsparken schaffen, sind über den Platz verteilt. Die aufgeworfenen
Ecken sind Treppenstufen, auf denen man sitzen kann. In einer der Ecken ein
Wasserspiel, das bei Sturzregen das überschüssige Wasser aufnimmt und es in
den Park leitet. Es ist ein Vormittag im Februar, ein kalter Wind fegt
durch die Straßen, wenigstens ist es trocken. Der Platz liegt an diesem
Morgen relativ ruhig da, Passanten kreuzen ihn, Menschen auf dem Weg in den
nahen Park, einige in Laufkleidung schnellen Schrittes.
Plötzlich füllt sich der Platz, Kinder strömen herbei, die Schulen haben
Pause. Manche werfen Basketbälle auf die Körbe, andere kicken, einige
spielen auf den Treppen Fangen und Verstecken, das Aufzughäuschen dient
dabei als Versteck. Das ist die Idee dieses Platzes, sagt Mikala Holme
Samsøe: Er ist Schulhof, er ist Stadtplatz, er ist Teil des
innerstädtischen Wegesystems, er ist Treffpunkt. Alles vermischt sich. Ein
Raum, der Begegnungen schafft und ein Miteinander.
Man denkt: Wäre es vorstellbar, dass bei uns Schulhöfe zugleich öffentliche
Plätze sind oder öffentliche Plätze Schulhöfe? Wohl nicht.
Sicherheitsbedenken stünden dem entgegen, Eltern, die fürchten, ihre Kinder
könnten abhanden kommen. Oder Lärmschutzgesetze; denn wenn Pause ist, dann
wird es laut auf dem Platz. Andererseits: an- und abfahrende Autos, die
Lärm verursachen oder Gestank? Gibt es nicht, denn sie werden durch eine
schneckenförmige Einfahrt „in den Keller“ geleitet, wie Holme Samsøe sagt.
Auch das ist hier bemerkenswert: Kopenhagen macht Politik für Radfahrer und
Fußgänger, aber das heißt nicht, dass Autos komplett verbannt werden. Sie
können hier weiterhin parken, das aber ist ganz schön teuer. [4][Eine
Stunde Parken am] Israels Plads kostet 5,50 Euro.
Bevor wir gehen, überqueren wir das Kopfsteinpflaster, das die Platzfläche
– den Teppich – umgibt. Mikala zeigt auf ebene Granitplatten, die so
zwischen dem holprigen Kopfsteinpflaster verlegt sind, dass sie parallel
verlaufende Bänder ergeben, auf denen man allein, zu zweit, zu dritt oder
mit Rollkoffer bequem laufen kann. Das sind so kleine Details, die sich
nicht aufdrängen, aber zeigen: Hier hat sich jemand Gedanken gemacht. Und
das, was dabei herausgekommen ist, ergibt Sinn. Man läuft dort viel
angenehmer und sicherer als auf dem Kopfsteinpflaster, das aber bleibt
stadtbildprägend auf diesem Platz.
Nächstes Ziel: das Klimaquartier. Mikala sagt, in Kopenhagen habe man es
sich zum Ziel gesetzt, die Stadt für die Menschen zu gestalten. Eine
Leitfrage baupolitischen Handelns: Was macht die Stadt lebenswert?
Grundlage dafür bietet eine Art Handbuch namens „Architekturpolitik“, das
die Kopenhagener Stadtregierung formuliert hat. „Architektur für die
Menschen“ lautet der Untertitel der 76 Seiten langen Schrift, darin
schreibt Morten Kabell, von 2014 bis 2017 Umwelt-Bürgermeister: „Kopenhagen
ist eine kompakte und gemischte Stadt, und jedes Viertel hat einen
besonderen Charakter.“ Das wolle die Architekturpolitik fördern, um nicht
nur eine interessante Stadt zu erhalten, sondern eine Stadt zu entwickeln,
die „zu dem Leben passt, das jede*r einzelne Kopenhagener*in lebt“.
Eine Stadt, die zum Leben passt. Und eine Stadt, die sich anpasst.
Wie? Das zeigen mir Mikala und Amandus im Klimakvarteret, dem Klimaquartier
rund um den Sankt Kjelds Plads, fünf Kilometer weiter gen Norden.
## Stopp 2: Ein Wäldchen mitten in der Stadt
Auch der Sankt Kjelds Plads birgt ein „Es war einmal“. Es war nämlich
einmal ein großes Starkregenereignis, 2011, alle erinnern sich noch, wie
dieses von mehrstöckigen Wohnhäusern geprägte Viertel [5][unter Wasser
stand]. Die Keller überflutet, die Straßen Flüsse, in den Erdgeschossen
schwammen die Möbel. Das war der Anlass, diesen Teil der Stadt
umzugestalten. Straßen und asphaltierte Flächen wichen Grünanlagen, 2019
war der Eingriff fertig. 35.000 Quadratmeter, eine Fläche von fünf
Fußballfeldern – davon 25.000 Quadratmeter Straßen- und Asphaltflächen –
wurden zu einem gewissermaßen renaturierten Stadtraum, der bei Starkregen
Wassermassen aufsaugen und ableiten kann, der Sonnenschutz bietet und die
Umgebung kühlt.
Der Sankt Kjelds Plads war bis dahin ein Kreisverkehr, der fünf Straßen
aufnahm. Das ist er auch heute noch, nur wurde er ein Stück verschoben und
verkleinert. Autos fahren da immer noch, „genau so viele wie vorher“, sagt
Mikala, aber sie bestimmen das Bild nicht mehr, sie ordnen sich unter.
Bestimmend ist eine kleine Parklandschaft mit verschlungenen Wegen, an die
600 heimische Bäume wurden dort gepflanzt. Buschwerk nimmt sich seinen
Raum, Nistkästen hängen dort, Totholz liegt herum, „gut für Würmer und
Insekten“, sagt Mikala. Eine Frau kommt uns auf einem der Wege im grünen
Outdoor-Look entgegen. Und, ja, es würde einen nicht wundern, wenn sie eine
Försterin wäre, die nach dem Wild geguckt hat. Aber so groß ist die Fläche
dann doch nicht.
Architekturpolitik, wie sie im Kopenhagener Handbuch dargelegt ist, schafft
solche Stadträume: funktional, grün, kühl, Wasser aufnehmend. Gleichzeitig
entsteht ein Ort, wo Menschen spazieren und sich auf Parkbänken ausruhen.
Mikala macht dort oft Rast mit Studentinnen und Studenten ihrer Seminare,
denen sie die Stadt zeigt. Und was für ein Gewinn diese Umgestaltung für
die Menschen sein muss, die in den Häusern drumherum wohnen! Es sind nicht
die reichsten Kopenhagener, aber sie dürften zu den glücklichsten gehören.
Vorher toste unten der Verkehr, überall standen Autos, jetzt haben sie die
Natur vor der Haustür.
## Stopp 3: Gullideckel ist nicht gleich Gullideckel
Ein paar Schritte weiter der Tåsinge Plads, auch Teil des Klimaquartiers,
auch eine Grünfläche, auf der vorher Autos standen. Entlang der Straße
ziehen sich Grünstreifen mit sorgfältig gestalteten – tja, Gullideckel wäre
das falsche Wort, dafür sind sie zu schön – gusseisernen Kuppeln mit großen
Löchern, die das Wasser aufnehmen und abführen. Selten sieht
Starkregenresilienz so schön aus. Mikala zeigt die gepflasterte Terrasse am
Rand des Platzes, darunter verbergen sich Wassertanks, die bei Regen das
Wasser der Umgebung aufnehmen können. Dort wird das Wasser gereinigt und
kann von Passanten über im Boden eingelassene Fußpumpen in trichterförmige
Skulpturen gepumpt werden, von wo es aus feinen Löchern herabrieselt.
Bedrohlich flutendes Wasser wird hier umgewandelt in etwas Spielerisches.
Ein typisches Beispiel für Kopenhagens Stadtplanung: Es musste etwas getan
werden, weitere Überflutungen sollte es nicht geben. Aber anstatt die
Gegend dort zu verrohren und so das Problem unsichtbar zu machen, zeigt man
es offen und schafft ein Bewusstsein. Mikala sagt, was sie hier stets
empfindet – und was man selbst nachvollziehen kann: „Wenn du eine gute
Stadt schaffst, nehmen die Menschen sie an und haben Lust, sie
mitzugestalten.“
Viele Plätze bei uns liegen ungestaltet herum. Die Kosten! Der Mangel an
Ideen! Und oftmals auch: Man will [6][die Autofahrer nicht verschrecken].
Um jeden Parkplatz in deutschen Städten ringen Einzelhandelsverbände, die
CDU, die SPD. Sie denken wirklich: Ausreichend billige Parkplätze werden
den darbenden Einzelhandel retten. Hier, in Kopenhagen, hat man die Autos
weggeschickt. Dafür ist die Quote an Radfahrern stetig gestiegen und die
Aufenthaltsqualität solcher Plätze und Straßen hat sich spürbar erhöht.
## Stopp 4: Wo Erdgeschosse attraktiv sind
Im Nordhafen. Ein 100 Hektar großes Stadterweiterungsgebiet, das nach und
nach erschlossen wird. Kern des neuen Wohngebiets: alte Silos, die in
Wohngebäude umgewandelt wurden. Der alte Weizenspeicher steht da sehr
prominent, verkleidet mit perforierten Zinkblechen, angeblich beherbergt
„The Silo“ Dänemarks teuerste Wohnungen – und wenn man von außen durch …
Fenster lugt, glaubt man das sofort. Ein paar Meter entfernt ragen die
beiden zylinderförmigen Silogebäude von Portland Cement auf, auch sie
wurden in Wohn- und Bürotürme umgewandelt, unter anderen hat hier die
Deutsche Botschaft ihren Sitz.
In vielen deutschen Städten stehen bald leere Kaufhäuser bereit, um
umgenutzt zu werden. Galeria Karstadt Kaufhof schließt 52 weitere Filialen.
In Lübeck wird an der Umnutzung eines 2020 geschlossenen Kaufhauses bereits
gearbeitet. In dem verwaisten Gebäude [7][sollen Schulen Platz finden.]
Die Gebäude im Kopenhagener Nordhafen schieben sich ineinander, und es
fällt sofort auf: Dazwischen geht der Mensch nicht verloren. Da ist
Offenheit, da ist Licht, da öffnen sich Sichtachsen, ein Gefühl der
Beklemmung kann zwischen den hohen Gebäuden nicht entstehen. Und überall
sieht man das Wasser.
Die Stadt wird vom Menschen her gedacht. Da ist zum Beispiel ein Supermarkt
im Erdgeschoss eines Gebäudes, bei uns kennen wir Supermärkte mit
verklebten Fenstern oder als geschlossene Baukörper, um möglichst viel Ware
unterzubringen. Hier, im Nordhafen, ist der Supermarkt licht und offen, das
wirkt freundlich und zugewandt.
Ganz wichtig sind Mikala und Amandus die Erdgeschosse der Gebäude, der
Bereich, wo ein Gebäude endet und der öffentliche Raum – mit einem
Bürgersteig etwa – beginnt. Mikala spricht von „Kantzonen“, bei uns oftm…
ein lebloser Bereich entlang von Gebäuden. Ein sperriger Begriff, aber die
Gestaltung dieser Kantzonen ist wichtig, um Stadträume menschenfreundlich
zu gestalten.
Man sieht das hier sehr gut an der Helsinkigade. Das könnte eine
gesichtslose Ein- und Ausfahrtschneise in dieses Wohngebiet am Nordhafen
sein, stattdessen ist es ein lebendiger Bereich. Die Wohnhäuser öffnen sich
zur Straße hin, Treppen mit vier, fünf Stufen führen zu kleinen Terrassen,
dort können die Bewohner bei gutem Wetter sitzen und Kaffee trinken, einige
haben dort Blumentöpfe hingestellt. Diese Gestaltung lädt dazu ein, dass
sich Bewohner dem öffentlichen Raum zuwenden. So wird Abgeschiedenheit
vermieden.
Im Handbuch „Architekturpolitik“ heißt es dazu: „Wie offen das Erdgescho…
gestaltet ist, hat große Bedeutung für die Interaktion zwischen innen und
außen. Von innen lässt sich das Treiben in der Stadt verfolgen; und von
außen führen die aktiven Fassaden zu einem vielfältigen Erleben und zu
einem höheren Sicherheitsgefühl.“ Bei uns, also in Deutschland, sagt
Mikala, würden da Kameras hängen, um Sicherheit zu vermitteln.
Erdgeschosswohnungen lassen sich für gewöhnlich schlecht vermarkten – wegen
der Nähe zum öffentlichen Raum. Oder sie werden von vornherein [8][als
Autoabstellplätze verplant], weil da eh niemand wohnen will.
In Kopenhagen wird viel dafür getan, dass es anders ist. Einladend und
kommunikativ soll dieser Raum sein, nicht als Barriere gestaltet. In
Bebauungsplänen wird auch festgelegt, wo die Kantzonen entstehen und wie
sie aussehen sollen. Im Nordhafen wurden die Erdgeschosse regelrecht
kuratiert, Investoren vergaben Flächen günstig an lokale Geschäfte, um die
Entwicklung zu beschleunigen.
## Stopp 5: Das schönste Parkhaus der Welt
Die Helsinkigade führt zu dem wohl attraktivsten Parkhaus der Welt.
Vielleicht mal grundsätzlich gefragt: Was macht die Attraktivität eines
Parkhauses aus? Für den Betreiber an sich ist das klar: möglichst viele
Parkplätze, um Einnahmen zu generieren. In Kopenhagen: ein möglichst
vielfältig nutzbares Gebäude. Die Verwandlung einer rein infrastrukturellen
Notwendigkeit in einen Anziehungspunkt – bei weitem nicht nur für
Parkplatzsucher. Konditaget Lüders ist ein rot verkleideter Kasten, über
und über sprießen Pflanzen an der Fassade entlang. Das Parkhaus birgt
mehrere Clous. Im Erdgeschoss ist neben der Ein- und Ausfahrt ein
Recyclinghof untergebracht. Man kann dort Altmetall abgeben,
Leuchtstoffröhren, Papier, Textilien. In der Mitte des Raumes steht ein
Holz-Rondell, darin ein Verschenkemarkt. Mikala probiert Schuhe an, ich
stöbere in Büchern und überlege, ein Weinglas mitzunehmen.
Zwei Treppen führen an den Außenwänden des Parkhauses nach oben. Unten ein
Buzzer. Drückt man auf den großen roten Knopf, beginnt die Zeit zu laufen,
oben angekommen, kann man sie ablesen. Das Parkhaus ist nämlich auch ein
öffentliches Fitnessstudio. Eine Frau im Wintermantel, unter der Mütze
ergrautes Haar, an den Füßen Laufschuhe, schwingt gerade eine der Treppen
hoch, entschlossener Blick, mal sehen, wie schnell sie heute ist. Oben
angekommen: Eine Aussichtsplattform mit Blick auf den Øresund bis rüber
nach Malmö – und Reckstangen, Taue, an denen man hochklettern kann,
Schaukeln, in den Boden eingelassene Trampoline, Sitzgelegenheiten. Man
fühlt sich eingeladen, mitzumachen. Es könnten dort auch Dutzende
Parkplätze sein.
## Stopp 6: Müllverbrennungsanlage trifft Skipiste
Amager Bakke – vielleicht das Gebäude, über das man am meisten streiten
kann auf unserer Tour durch die Stadträume Kopenhagens. Braucht eine
Müllverbrennungsanlage eine Skipiste auf dem Dach? Mit Liftanlage, die ja
auch wieder Energie benötigt? Immerhin: [9][Hier wird keine Piste mit
Kunstschnee berieselt], um ideale Bedingungen für Abfahrten herzustellen.
Man schwingt auf Matten und auf Rasen nach unten. Es war, sagen Amandus und
Mikala, nicht Teil der Ausschreibung, eine Skipiste zu integrieren, aber
die Idee des – man muss es wirklich so sagen – dänischen Stararchitekten
Bjarke Ingels war bestechend. „Wenn die öffentliche Hand baut, dann soll
die Öffentlichkeit auch etwas davon haben“, sagt Mikala. Das ist der simple
Gedanke dahinter.
Skifahren kostet zwar, aber die Aussicht ist gratis. Auf einem –
tatsächlich etwas betonlastigen – Wanderweg kann man in zehn Minuten zu Fuß
bis ganz nach oben auf 80 Meter spazieren. Eine Gruppe Franzosen auf Skiern
lässt sich über ein Transportband nach oben befördern. Keilförmig ragt das
Bauwerk auf der Kopenhagen vorgelagerten Insel Amager auf, Aluminiumplatten
glänzen an der Fassade, ein Schornstein schickt Wolken in die Luft. Im
Innern werden jährlich 440.000 Tonnen Müll verbrannt, 150.000 Haushalte
darüber mit Strom und Fernwärme versorgt.
Bei uns wäre eine solche Anlage irgendwo am Stadtrand und niemals frei
zugänglich. Hier verströmt die Idee Leichtigkeit und Spaß. Skiliebende
Dänen müssen nicht mehr nach Norwegen oder rüber nach Schweden, um Ski zu
fahren. Und es gibt einen leicht pädagogischen Nebeneffekt: Eine Anlage wie
Amager Bakke blendet unseren Konsum, der jede Menge Müll produziert, nicht
aus. Auch wenn hier ein Problem in etwas Originelles mündet: Skifahren auf
einer Müllverbrennungsanlage.
17 Mar 2023
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## AUTOREN
Felix Zimmermann
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