# taz.de -- Stadtplanung für die Zukunft: Hygge und Hightech | |
> Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen gilt als eine der zukunftsfähigsten | |
> Städte weltweit. Eine Tour über Skipisten, Schulhöfe und Gullideckel. | |
Bild: Suche die Gullideckel der Zukunft, sie halten Starkregen stand | |
Kopenhagen darf sich dieses Jahr „Welthauptstadt der Architektur“ nennen, | |
das klingt sehr groß und bedeutend. Aber das Schöne an Kopenhagen ist: Was | |
die Stadt auszeichnet, diesen von der Unesco verliehenen Titel zu führen, | |
kommt manchmal ganz klein daher, fast schüchtern und beiläufig, stets aber | |
mit einem großen Effekt: [1][auf das Klima der Stadt] in Hitzesommern, auf | |
seine Saugkraft bei Starkregen und vor allem darauf, dass sich ihre | |
Bewohnerinnen und Bewohner wohlfühlen. | |
Fragt man Stadtplaner oder Stadtplanerinnen in Deutschland, wohin sie auf | |
der Suche nach Inspiration für zukunftsfähige Städte gehen, lautet die | |
Antwort deshalb oft: Kopenhagen. Was können wir uns also von dieser Stadt | |
abschauen? | |
Ein Rundgang durch Kopenhagen mit dem dänisch-deutschen Architektenpaar | |
Mikala Holme Samsøe und Amandus Samsøe Sattler, die abwechselnd in Berlin | |
und in Kopenhagen leben, soll das beantworten. Zusammen haben sie ihre | |
großen, erfolgreichen Architekturbüros verlassen und das Studio Ensømble | |
gegründet. Sie haben sich dem nachhaltigen Bauen verschrieben und wollen, | |
so sagen sie es, zur Entwicklung einer „reduktiven Moderne“ beitragen. Das | |
heißt: weg vom ständigen Neubauen, hin zur Reduktion, zu Umnutzung und | |
Weiternutzung. | |
Um Stadträume und wie sie besser genutzt werden, als wir das für gewöhnlich | |
in Deutschland kennen, geht es also an diesem Tag. Mal nicht in erster | |
Linie um die fantastische Infrastruktur für Radverkehr und Fußgänger in | |
dieser Stadt, über die wurde schon so viel geschrieben. Nur eins dazu: Es | |
fahren noch Autos in Kopenhagen, aber das ist egal, weil man [2][als | |
Radfahrer einfach dahinrollen] kann. Wir besuchen stattdessen einen | |
Kreisverkehr, der zum Wald geworden ist, spazieren eine | |
Müllverbrennungsanlage hinauf und stehen auf einem Parkhaus, das | |
gleichzeitig Fitnessstudio ist. Orte, die Kopenhagen beispielhaft machen | |
für eine Stadt, die die Menschen nicht vergisst. Und die einen als | |
Nicht-Kopenhagener denken lassen: So könnten wir das doch auch machen. | |
## Stopp 1: Ein großer Schulhof für alle | |
Der Israels Plads nahe Nørreport, Dänemarks am stärksten frequentierten | |
Bahnhof, das Universitätsviertel ist auch nicht weit. Ein Platz, der eine | |
erstaunliche Wandlung vollzogen hat und heute so vielen Menschen mehr | |
dient, als es zuvor denkbar war. Bis in die 1950er Jahre war dort ein | |
Großmarkt. Als der an den Stadtrand zog, entstand ein leerer Stadtraum, für | |
den man damals keinen rechten Plan hatte. Ein riesiger Parkplatz wurde | |
daraus, was sonst; ein Ort, um Hunde auszuführen, das auch. Weit weg | |
jedenfalls von dem, was sich heute dort tagtäglich ergibt. Ein heller, | |
freundlicher, belebter Platz mitten in der Stadt. | |
Drei Schulen säumen den Israels Plads, dazu Gründerzeitwohnhäuser, an der | |
Stirnseite eine flache Markthalle mit edlen Lebensmittelgeschäften. Im | |
Rahmen eines Wettbewerbs wurde der Platz ab 2008 nach Plänen des | |
Kopenhagener Architekturbüros COBE umgestaltet und 2014 fertiggestellt. Wie | |
ein Teppich, leicht erhöht, liegt seither eine Granitfläche über dem Platz. | |
An manchen Ecken wirft dieser Teppich Falten, in der Mitte hat er eine | |
Delle. Eine lebendige Gestalt, und alles hat seine Funktion: Die Delle ist | |
die kreisrunde Mitte, ein weicherer Boden, auf dem es sich [3][spielen und | |
herumrennen lässt], umgeben von zwei halbkreisförmigen und ineinander | |
verschränkten Zäunen. Darin Fußballtore, Basketballkörbe. Offen und doch | |
geschlossen. | |
Nebenan eine Minibowl für Skater, Bauminseln, die eine Verbindung zum nahen | |
Ørstedsparken schaffen, sind über den Platz verteilt. Die aufgeworfenen | |
Ecken sind Treppenstufen, auf denen man sitzen kann. In einer der Ecken ein | |
Wasserspiel, das bei Sturzregen das überschüssige Wasser aufnimmt und es in | |
den Park leitet. Es ist ein Vormittag im Februar, ein kalter Wind fegt | |
durch die Straßen, wenigstens ist es trocken. Der Platz liegt an diesem | |
Morgen relativ ruhig da, Passanten kreuzen ihn, Menschen auf dem Weg in den | |
nahen Park, einige in Laufkleidung schnellen Schrittes. | |
Plötzlich füllt sich der Platz, Kinder strömen herbei, die Schulen haben | |
Pause. Manche werfen Basketbälle auf die Körbe, andere kicken, einige | |
spielen auf den Treppen Fangen und Verstecken, das Aufzughäuschen dient | |
dabei als Versteck. Das ist die Idee dieses Platzes, sagt Mikala Holme | |
Samsøe: Er ist Schulhof, er ist Stadtplatz, er ist Teil des | |
innerstädtischen Wegesystems, er ist Treffpunkt. Alles vermischt sich. Ein | |
Raum, der Begegnungen schafft und ein Miteinander. | |
Man denkt: Wäre es vorstellbar, dass bei uns Schulhöfe zugleich öffentliche | |
Plätze sind oder öffentliche Plätze Schulhöfe? Wohl nicht. | |
Sicherheitsbedenken stünden dem entgegen, Eltern, die fürchten, ihre Kinder | |
könnten abhanden kommen. Oder Lärmschutzgesetze; denn wenn Pause ist, dann | |
wird es laut auf dem Platz. Andererseits: an- und abfahrende Autos, die | |
Lärm verursachen oder Gestank? Gibt es nicht, denn sie werden durch eine | |
schneckenförmige Einfahrt „in den Keller“ geleitet, wie Holme Samsøe sagt. | |
Auch das ist hier bemerkenswert: Kopenhagen macht Politik für Radfahrer und | |
Fußgänger, aber das heißt nicht, dass Autos komplett verbannt werden. Sie | |
können hier weiterhin parken, das aber ist ganz schön teuer. [4][Eine | |
Stunde Parken am] Israels Plads kostet 5,50 Euro. | |
Bevor wir gehen, überqueren wir das Kopfsteinpflaster, das die Platzfläche | |
– den Teppich – umgibt. Mikala zeigt auf ebene Granitplatten, die so | |
zwischen dem holprigen Kopfsteinpflaster verlegt sind, dass sie parallel | |
verlaufende Bänder ergeben, auf denen man allein, zu zweit, zu dritt oder | |
mit Rollkoffer bequem laufen kann. Das sind so kleine Details, die sich | |
nicht aufdrängen, aber zeigen: Hier hat sich jemand Gedanken gemacht. Und | |
das, was dabei herausgekommen ist, ergibt Sinn. Man läuft dort viel | |
angenehmer und sicherer als auf dem Kopfsteinpflaster, das aber bleibt | |
stadtbildprägend auf diesem Platz. | |
Nächstes Ziel: das Klimaquartier. Mikala sagt, in Kopenhagen habe man es | |
sich zum Ziel gesetzt, die Stadt für die Menschen zu gestalten. Eine | |
Leitfrage baupolitischen Handelns: Was macht die Stadt lebenswert? | |
Grundlage dafür bietet eine Art Handbuch namens „Architekturpolitik“, das | |
die Kopenhagener Stadtregierung formuliert hat. „Architektur für die | |
Menschen“ lautet der Untertitel der 76 Seiten langen Schrift, darin | |
schreibt Morten Kabell, von 2014 bis 2017 Umwelt-Bürgermeister: „Kopenhagen | |
ist eine kompakte und gemischte Stadt, und jedes Viertel hat einen | |
besonderen Charakter.“ Das wolle die Architekturpolitik fördern, um nicht | |
nur eine interessante Stadt zu erhalten, sondern eine Stadt zu entwickeln, | |
die „zu dem Leben passt, das jede*r einzelne Kopenhagener*in lebt“. | |
Eine Stadt, die zum Leben passt. Und eine Stadt, die sich anpasst. | |
Wie? Das zeigen mir Mikala und Amandus im Klimakvarteret, dem Klimaquartier | |
rund um den Sankt Kjelds Plads, fünf Kilometer weiter gen Norden. | |
## Stopp 2: Ein Wäldchen mitten in der Stadt | |
Auch der Sankt Kjelds Plads birgt ein „Es war einmal“. Es war nämlich | |
einmal ein großes Starkregenereignis, 2011, alle erinnern sich noch, wie | |
dieses von mehrstöckigen Wohnhäusern geprägte Viertel [5][unter Wasser | |
stand]. Die Keller überflutet, die Straßen Flüsse, in den Erdgeschossen | |
schwammen die Möbel. Das war der Anlass, diesen Teil der Stadt | |
umzugestalten. Straßen und asphaltierte Flächen wichen Grünanlagen, 2019 | |
war der Eingriff fertig. 35.000 Quadratmeter, eine Fläche von fünf | |
Fußballfeldern – davon 25.000 Quadratmeter Straßen- und Asphaltflächen – | |
wurden zu einem gewissermaßen renaturierten Stadtraum, der bei Starkregen | |
Wassermassen aufsaugen und ableiten kann, der Sonnenschutz bietet und die | |
Umgebung kühlt. | |
Der Sankt Kjelds Plads war bis dahin ein Kreisverkehr, der fünf Straßen | |
aufnahm. Das ist er auch heute noch, nur wurde er ein Stück verschoben und | |
verkleinert. Autos fahren da immer noch, „genau so viele wie vorher“, sagt | |
Mikala, aber sie bestimmen das Bild nicht mehr, sie ordnen sich unter. | |
Bestimmend ist eine kleine Parklandschaft mit verschlungenen Wegen, an die | |
600 heimische Bäume wurden dort gepflanzt. Buschwerk nimmt sich seinen | |
Raum, Nistkästen hängen dort, Totholz liegt herum, „gut für Würmer und | |
Insekten“, sagt Mikala. Eine Frau kommt uns auf einem der Wege im grünen | |
Outdoor-Look entgegen. Und, ja, es würde einen nicht wundern, wenn sie eine | |
Försterin wäre, die nach dem Wild geguckt hat. Aber so groß ist die Fläche | |
dann doch nicht. | |
Architekturpolitik, wie sie im Kopenhagener Handbuch dargelegt ist, schafft | |
solche Stadträume: funktional, grün, kühl, Wasser aufnehmend. Gleichzeitig | |
entsteht ein Ort, wo Menschen spazieren und sich auf Parkbänken ausruhen. | |
Mikala macht dort oft Rast mit Studentinnen und Studenten ihrer Seminare, | |
denen sie die Stadt zeigt. Und was für ein Gewinn diese Umgestaltung für | |
die Menschen sein muss, die in den Häusern drumherum wohnen! Es sind nicht | |
die reichsten Kopenhagener, aber sie dürften zu den glücklichsten gehören. | |
Vorher toste unten der Verkehr, überall standen Autos, jetzt haben sie die | |
Natur vor der Haustür. | |
## Stopp 3: Gullideckel ist nicht gleich Gullideckel | |
Ein paar Schritte weiter der Tåsinge Plads, auch Teil des Klimaquartiers, | |
auch eine Grünfläche, auf der vorher Autos standen. Entlang der Straße | |
ziehen sich Grünstreifen mit sorgfältig gestalteten – tja, Gullideckel wäre | |
das falsche Wort, dafür sind sie zu schön – gusseisernen Kuppeln mit großen | |
Löchern, die das Wasser aufnehmen und abführen. Selten sieht | |
Starkregenresilienz so schön aus. Mikala zeigt die gepflasterte Terrasse am | |
Rand des Platzes, darunter verbergen sich Wassertanks, die bei Regen das | |
Wasser der Umgebung aufnehmen können. Dort wird das Wasser gereinigt und | |
kann von Passanten über im Boden eingelassene Fußpumpen in trichterförmige | |
Skulpturen gepumpt werden, von wo es aus feinen Löchern herabrieselt. | |
Bedrohlich flutendes Wasser wird hier umgewandelt in etwas Spielerisches. | |
Ein typisches Beispiel für Kopenhagens Stadtplanung: Es musste etwas getan | |
werden, weitere Überflutungen sollte es nicht geben. Aber anstatt die | |
Gegend dort zu verrohren und so das Problem unsichtbar zu machen, zeigt man | |
es offen und schafft ein Bewusstsein. Mikala sagt, was sie hier stets | |
empfindet – und was man selbst nachvollziehen kann: „Wenn du eine gute | |
Stadt schaffst, nehmen die Menschen sie an und haben Lust, sie | |
mitzugestalten.“ | |
Viele Plätze bei uns liegen ungestaltet herum. Die Kosten! Der Mangel an | |
Ideen! Und oftmals auch: Man will [6][die Autofahrer nicht verschrecken]. | |
Um jeden Parkplatz in deutschen Städten ringen Einzelhandelsverbände, die | |
CDU, die SPD. Sie denken wirklich: Ausreichend billige Parkplätze werden | |
den darbenden Einzelhandel retten. Hier, in Kopenhagen, hat man die Autos | |
weggeschickt. Dafür ist die Quote an Radfahrern stetig gestiegen und die | |
Aufenthaltsqualität solcher Plätze und Straßen hat sich spürbar erhöht. | |
## Stopp 4: Wo Erdgeschosse attraktiv sind | |
Im Nordhafen. Ein 100 Hektar großes Stadterweiterungsgebiet, das nach und | |
nach erschlossen wird. Kern des neuen Wohngebiets: alte Silos, die in | |
Wohngebäude umgewandelt wurden. Der alte Weizenspeicher steht da sehr | |
prominent, verkleidet mit perforierten Zinkblechen, angeblich beherbergt | |
„The Silo“ Dänemarks teuerste Wohnungen – und wenn man von außen durch … | |
Fenster lugt, glaubt man das sofort. Ein paar Meter entfernt ragen die | |
beiden zylinderförmigen Silogebäude von Portland Cement auf, auch sie | |
wurden in Wohn- und Bürotürme umgewandelt, unter anderen hat hier die | |
Deutsche Botschaft ihren Sitz. | |
In vielen deutschen Städten stehen bald leere Kaufhäuser bereit, um | |
umgenutzt zu werden. Galeria Karstadt Kaufhof schließt 52 weitere Filialen. | |
In Lübeck wird an der Umnutzung eines 2020 geschlossenen Kaufhauses bereits | |
gearbeitet. In dem verwaisten Gebäude [7][sollen Schulen Platz finden.] | |
Die Gebäude im Kopenhagener Nordhafen schieben sich ineinander, und es | |
fällt sofort auf: Dazwischen geht der Mensch nicht verloren. Da ist | |
Offenheit, da ist Licht, da öffnen sich Sichtachsen, ein Gefühl der | |
Beklemmung kann zwischen den hohen Gebäuden nicht entstehen. Und überall | |
sieht man das Wasser. | |
Die Stadt wird vom Menschen her gedacht. Da ist zum Beispiel ein Supermarkt | |
im Erdgeschoss eines Gebäudes, bei uns kennen wir Supermärkte mit | |
verklebten Fenstern oder als geschlossene Baukörper, um möglichst viel Ware | |
unterzubringen. Hier, im Nordhafen, ist der Supermarkt licht und offen, das | |
wirkt freundlich und zugewandt. | |
Ganz wichtig sind Mikala und Amandus die Erdgeschosse der Gebäude, der | |
Bereich, wo ein Gebäude endet und der öffentliche Raum – mit einem | |
Bürgersteig etwa – beginnt. Mikala spricht von „Kantzonen“, bei uns oftm… | |
ein lebloser Bereich entlang von Gebäuden. Ein sperriger Begriff, aber die | |
Gestaltung dieser Kantzonen ist wichtig, um Stadträume menschenfreundlich | |
zu gestalten. | |
Man sieht das hier sehr gut an der Helsinkigade. Das könnte eine | |
gesichtslose Ein- und Ausfahrtschneise in dieses Wohngebiet am Nordhafen | |
sein, stattdessen ist es ein lebendiger Bereich. Die Wohnhäuser öffnen sich | |
zur Straße hin, Treppen mit vier, fünf Stufen führen zu kleinen Terrassen, | |
dort können die Bewohner bei gutem Wetter sitzen und Kaffee trinken, einige | |
haben dort Blumentöpfe hingestellt. Diese Gestaltung lädt dazu ein, dass | |
sich Bewohner dem öffentlichen Raum zuwenden. So wird Abgeschiedenheit | |
vermieden. | |
Im Handbuch „Architekturpolitik“ heißt es dazu: „Wie offen das Erdgescho… | |
gestaltet ist, hat große Bedeutung für die Interaktion zwischen innen und | |
außen. Von innen lässt sich das Treiben in der Stadt verfolgen; und von | |
außen führen die aktiven Fassaden zu einem vielfältigen Erleben und zu | |
einem höheren Sicherheitsgefühl.“ Bei uns, also in Deutschland, sagt | |
Mikala, würden da Kameras hängen, um Sicherheit zu vermitteln. | |
Erdgeschosswohnungen lassen sich für gewöhnlich schlecht vermarkten – wegen | |
der Nähe zum öffentlichen Raum. Oder sie werden von vornherein [8][als | |
Autoabstellplätze verplant], weil da eh niemand wohnen will. | |
In Kopenhagen wird viel dafür getan, dass es anders ist. Einladend und | |
kommunikativ soll dieser Raum sein, nicht als Barriere gestaltet. In | |
Bebauungsplänen wird auch festgelegt, wo die Kantzonen entstehen und wie | |
sie aussehen sollen. Im Nordhafen wurden die Erdgeschosse regelrecht | |
kuratiert, Investoren vergaben Flächen günstig an lokale Geschäfte, um die | |
Entwicklung zu beschleunigen. | |
## Stopp 5: Das schönste Parkhaus der Welt | |
Die Helsinkigade führt zu dem wohl attraktivsten Parkhaus der Welt. | |
Vielleicht mal grundsätzlich gefragt: Was macht die Attraktivität eines | |
Parkhauses aus? Für den Betreiber an sich ist das klar: möglichst viele | |
Parkplätze, um Einnahmen zu generieren. In Kopenhagen: ein möglichst | |
vielfältig nutzbares Gebäude. Die Verwandlung einer rein infrastrukturellen | |
Notwendigkeit in einen Anziehungspunkt – bei weitem nicht nur für | |
Parkplatzsucher. Konditaget Lüders ist ein rot verkleideter Kasten, über | |
und über sprießen Pflanzen an der Fassade entlang. Das Parkhaus birgt | |
mehrere Clous. Im Erdgeschoss ist neben der Ein- und Ausfahrt ein | |
Recyclinghof untergebracht. Man kann dort Altmetall abgeben, | |
Leuchtstoffröhren, Papier, Textilien. In der Mitte des Raumes steht ein | |
Holz-Rondell, darin ein Verschenkemarkt. Mikala probiert Schuhe an, ich | |
stöbere in Büchern und überlege, ein Weinglas mitzunehmen. | |
Zwei Treppen führen an den Außenwänden des Parkhauses nach oben. Unten ein | |
Buzzer. Drückt man auf den großen roten Knopf, beginnt die Zeit zu laufen, | |
oben angekommen, kann man sie ablesen. Das Parkhaus ist nämlich auch ein | |
öffentliches Fitnessstudio. Eine Frau im Wintermantel, unter der Mütze | |
ergrautes Haar, an den Füßen Laufschuhe, schwingt gerade eine der Treppen | |
hoch, entschlossener Blick, mal sehen, wie schnell sie heute ist. Oben | |
angekommen: Eine Aussichtsplattform mit Blick auf den Øresund bis rüber | |
nach Malmö – und Reckstangen, Taue, an denen man hochklettern kann, | |
Schaukeln, in den Boden eingelassene Trampoline, Sitzgelegenheiten. Man | |
fühlt sich eingeladen, mitzumachen. Es könnten dort auch Dutzende | |
Parkplätze sein. | |
## Stopp 6: Müllverbrennungsanlage trifft Skipiste | |
Amager Bakke – vielleicht das Gebäude, über das man am meisten streiten | |
kann auf unserer Tour durch die Stadträume Kopenhagens. Braucht eine | |
Müllverbrennungsanlage eine Skipiste auf dem Dach? Mit Liftanlage, die ja | |
auch wieder Energie benötigt? Immerhin: [9][Hier wird keine Piste mit | |
Kunstschnee berieselt], um ideale Bedingungen für Abfahrten herzustellen. | |
Man schwingt auf Matten und auf Rasen nach unten. Es war, sagen Amandus und | |
Mikala, nicht Teil der Ausschreibung, eine Skipiste zu integrieren, aber | |
die Idee des – man muss es wirklich so sagen – dänischen Stararchitekten | |
Bjarke Ingels war bestechend. „Wenn die öffentliche Hand baut, dann soll | |
die Öffentlichkeit auch etwas davon haben“, sagt Mikala. Das ist der simple | |
Gedanke dahinter. | |
Skifahren kostet zwar, aber die Aussicht ist gratis. Auf einem – | |
tatsächlich etwas betonlastigen – Wanderweg kann man in zehn Minuten zu Fuß | |
bis ganz nach oben auf 80 Meter spazieren. Eine Gruppe Franzosen auf Skiern | |
lässt sich über ein Transportband nach oben befördern. Keilförmig ragt das | |
Bauwerk auf der Kopenhagen vorgelagerten Insel Amager auf, Aluminiumplatten | |
glänzen an der Fassade, ein Schornstein schickt Wolken in die Luft. Im | |
Innern werden jährlich 440.000 Tonnen Müll verbrannt, 150.000 Haushalte | |
darüber mit Strom und Fernwärme versorgt. | |
Bei uns wäre eine solche Anlage irgendwo am Stadtrand und niemals frei | |
zugänglich. Hier verströmt die Idee Leichtigkeit und Spaß. Skiliebende | |
Dänen müssen nicht mehr nach Norwegen oder rüber nach Schweden, um Ski zu | |
fahren. Und es gibt einen leicht pädagogischen Nebeneffekt: Eine Anlage wie | |
Amager Bakke blendet unseren Konsum, der jede Menge Müll produziert, nicht | |
aus. Auch wenn hier ein Problem in etwas Originelles mündet: Skifahren auf | |
einer Müllverbrennungsanlage. | |
17 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Probleme-mit-dem-Restmuell/!5874726 | |
[2] /Fahrradfahren-auf-der-Berliner-Sonnenallee/!5911101 | |
[3] /Mit-Kindern-auf-dem-Spielplatz/!5838439 | |
[4] /Neue-Parkgebuehren-fuer-AnwohnerInnen/!5815759 | |
[5] /Bauprojekt-vor-Kopenhagen/!5773141 | |
[6] /Kommentar-Aktion-gegen-Falschparker/!5508502 | |
[7] /Innenstadtbelebung-ohne-Konsum/!5805634 | |
[8] /Wohnen-ohne-Parkplaetze-in-Berlin/!5922274 | |
[9] /Ski-fahren-in-Zeiten-des-Klimawandels/!5660347 | |
## AUTOREN | |
Felix Zimmermann | |
## TAGS | |
Resilienz | |
Starkregen | |
Stadtplanung | |
klimataz | |
Architektur | |
Zukunft | |
wochentaz | |
wochentaz | |
wochentaz | |
Literatur | |
Zukunft | |
Reiseland Indien | |
Architektur | |
Kaufhaus | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Büro | |
Karstadt | |
wochentaz | |
Flächenverbrauch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Klimaanpassung: Sommer auf Beton | |
Ist Ihr Kiez bereit für die Klimakrise? Anhand von fünf Stationen zeigen | |
wir, wie der Umgang mit Dürre, Hitze und Starkregen gelingen kann. | |
Nachhaltige Stadtentwicklung: Wo Wien jetzt eine Küste hat | |
In der Seestadt Aspern werden Konzepte für die klimafreundliche Stadt der | |
Zukunft ausprobiert. Geht das gut? | |
Erzählungen von Tove Ditlevsen: Regenschirme im Patriarchat | |
Mit ihrer autobiografischen Kopenhagen-Trilogie wurde die Schriftstellerin | |
Tove Ditlevsen bekannt. Nun erscheint der Erzählungsband „Böses Glück“. | |
Die Verständnisfrage: Autos vor? | |
Warum ist die Ampelschaltung auf Autos und nicht auf Radfahrende | |
ausgelegt?, fragt eine Leserin. Ein Verkehrsplaner antwortet. | |
Nachtbus in Indien: Darum lieb’ ich alles, was grün ist | |
Unsere Autorin fährt mit einem Nachtbus von der indischen Küste ins | |
Landesinnere – und wünscht sich ein solches Verkehrsmittel auch in Europa. | |
Megaprojekte des Architekten Ole Scheeren: In jeder Hinsicht groß | |
Ole Scheeren baut Großes in Asien, das ZKM Karlsruhe widmet ihm eine | |
opulente Schau. Die kühne Architektur beeindruckt und macht misstrauisch. | |
Galeria-Insolvenz und Stadtplanung: Was kommt nach dem Kaufhaus? | |
Am Montag entscheidet die Gläubigerversammlung von Galeria Karstadt Kaufhof | |
über den Insolvenzplan. Drei Stimmen, was danach kommen kann. | |
Klimawandel in Deutschland: Warnung vor Starkregen | |
Der Deutsche Wetterdienst mahnt mehr Vorbereitung auf extreme Niederschläge | |
an. Diese dürften durch die Erderhitzung weiter zunehmen. | |
Foto-Essayband über Büroarchitektur: Co-Working-Businesslösungen | |
Ein Foto-Buch von Florian Idenburg, LeeAnn Suen und Iwan Baan zeigt, wie | |
kreativ US-Büroarchitektur sein kann. | |
Galeria-Karstadt-Kaufhof Insolvenz: Von Anfang an ein schlechter Deal | |
Die Schließung zweier Filialen im Zuge der Warenhausinsolvenz wirft ein | |
zweifelhaftes Licht auf den Deal des Senats mit der Eigentümerin Signa. | |
Urbanistikforscherin über Innenstädte: „Wir brauchen mehr Grünflächen“ | |
Klimawandel und Digitalisierung verändern Innenstädte. Urbanistikforscherin | |
Sandra Wagner-Endres über neue Nutzungen und soziale Räume. | |
Großstädte in der Klimakrise: Umbau statt Neubau | |
Vor der Berlinwahl fordern Umweltverbände den neuen Senat auf, | |
Neuversiegelung zu stoppen. Besonders Wohnungsneubau am Stadtrand sehen sie | |
kritisch. |