| # taz.de -- Nachhaltige Stadtentwicklung: Wo Wien jetzt eine Küste hat | |
| > In der Seestadt Aspern werden Konzepte für die klimafreundliche Stadt der | |
| > Zukunft ausprobiert. Geht das gut? | |
| Wien bleibt Wien, so lautet eine goldene Regel im Journalismus. Um präzise | |
| zu beschreiben, sollen Journalist:innen keine künstlerischen | |
| Umschreibungen für Dinge erfinden, sondern sie exakt benennen. Wien ist | |
| eben nicht die „Mozartstadt“, denn das nimmt Salzburg für sich genau so in | |
| Anspruch, und auch nicht die „Stadt an der blauen Donau“, weil etwa Passau | |
| und Budapest am gleichen Fluss liegen, der zudem nur selten wirklich blau | |
| schimmert. „Wien bleibt Wien“ gehört also zur guten journalistischen | |
| Praxis. Was aber, wenn Wien gar nicht Wien bleibt? | |
| Von der Innenstadt fährt man mit der U-Bahn-Linie 2 ungefähr 25 Minuten bis | |
| in die Zukunft. Im Osten, 14 Kilometer von Wiens historischem Stadtkern | |
| entfernt, wächst eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas. Die | |
| Seestadt Aspern ist als ökologisches Quartier für 45.000 Menschen geplant, | |
| ambitioniert in Sachen Energieeffizienz, ökologisches Bauen, Klimaschutz | |
| und Mobilitätswende. „Wir bauen hier die Stadt der Zukunft“, sagt Gerhard | |
| Schuster, Vorsitzender der zuständigen Entwicklungsgesellschaft „Wien 3420 | |
| aspern Development AG“. | |
| Bis zum Strand sind es von der U-Bahn-Station dann keine hundert Meter | |
| mehr. Im Zentrum des Zukunftsquartiers liegt nicht das Rathaus, der | |
| Marktplatz oder ein Kaufhaus, sondern ein künstlich angelegter Baggersee – | |
| so groß wie 76 Fußballfelder und bis zu zehn Meter tief. Das Wasser ist | |
| kristallklar und bevölkert von Fischschwärmen, es wachsen Pflanzen und am | |
| Rand ein Schilfgürtel. So lebendig wie das Innere des Sees ist auch das | |
| Treiben an seinem Süd- und Ostufer: Teenager rasen Skaterbahnen hinunter, | |
| auf ausgedehnten Wiesen lassen Kinder mit ihren Eltern Drachen steigen, | |
| Hunde springen am Hundestrand schwanzwedelnd in die Fluten. | |
| Gleich daneben thront das „HoHo“, mit 84 Metern ist es das zweithöchste | |
| Holzhaus der Welt. In seinem Inneren befinden sich Büroräume, ein Hotel mit | |
| angeschlossenem Restaurant, ein Bäcker und ein Fitnessstudio. Häuser aus | |
| Holz haben den Vorteil, dass sie viel Kohlendioxid speichern, während der | |
| Bau mit Beton sehr viel davon freisetzt. Korrekterweise besteht das HoHo | |
| aber nur zu 75 Prozent aus dem nachwachsenden Baustoff. Fassaden, | |
| Fahrstuhlschächte und das Erdgeschoss dürfen wegen des Brandschutzes der | |
| österreichischen Bauvorschriften nicht aus Holz gefertigt werden. | |
| Begonnen hatte die Zukunft in Wien im Jahr 2004, als die Stadt und die | |
| Republik Österreich den Bau eines neuen Wohnquartiers auf dem alten | |
| innerstädtischen Flughafen Wien Aspern beschlossen. Mit dem | |
| Technologiezentrum 1 wurde sieben Jahre später das erste Gebäude eröffnet, | |
| 2014 zogen die ersten Menschen ins Pionierquartier im Südwesten des Areals. | |
| „Wir wollten eine Familie gründen, deshalb sind wir in die Seestadt | |
| gezogen“, sagt Sabi Rimanoczy. Der Mittvierziger lebte mit seiner Frau vor | |
| zehn Jahren noch in Virginia, USA. Dort eine Familie zu gründen, kam ihnen | |
| nicht in den Sinn. „Das Konzept der Seestadt dagegen schien perfekt.“ Also | |
| zogen sie her und gründeten eine der ersten Baugruppen. | |
| Mittlerweile gibt es hier Wohnvereine und auch queere und | |
| Mehrgenerationen-Baugruppen. Die Stadt Wien, aber auch Wohngenossenschaften | |
| zogen Häuser hoch – nach möglichst ökologischen Kriterien. „Das klassisc… | |
| Modell Mutter, Vater, Kind und Kind entspricht nicht mehr der | |
| Lebensrealität“, sagt Christina Auer, die beim Stadtteilmanagement | |
| arbeitet. „Deshalb war es naheliegend, in der Seestadt neue Formen des | |
| Zusammenlebens zu etablieren.“ | |
| ## Die erste Hälfte ist fertig | |
| Aktuell leben mehr als 11.000 Menschen in der Seestadt. „Die Bewohnerschaft | |
| ist sicherlich jünger als im Vergleich zum innerstädtischen Wien, für | |
| Familien mit kleinen Kindern ist es hier besonders attraktiv“, sagt Auer. | |
| Hier könne man einerseits auf den meisten Straßen ungestört spielen. | |
| Andererseits sei der Weg in die Natur nicht weit. Und natürlich ist da der | |
| See: „Im Sommer geht’s dort zu wie am Ostseestrand.“ Auf den Straßen hö… | |
| man viele verschiedene Sprachen, „aber der Anteil von Menschen, die nicht | |
| in Österreich geboren wurden, ist in der Seestadt nicht viel anders, als in | |
| innerstädtischen Bezirken“. | |
| Zwei Drittel aller bereits fertiggestellten Wohnungen sind mit | |
| Fördermitteln der Stadt Wien errichtet worden und Menschen mit geringeren | |
| bis mittleren Einkommen vorbehalten. In Wien [1][hat das Tradition]. Vor | |
| 100 Jahren begann die Stadt, im großen Stil zu bauen, um [2][seinen | |
| Bewohner:innen günstige Mieten anbieten] zu können. Noch immer steht an | |
| vielen Gebäuden „Wohnhaus der Gemeinde Wien“ – 220.000 Wohnungen gehören | |
| heute Wien direkt, an 200.000 weiteren ist die Stadt beteiligt. | |
| Und egal, ob im Zentrum neben dem Stephansdom oder in der Seestadt: Der | |
| Mietpreis ist überall gleich, 5,80 Euro pro Quadratmeter. 500.000 | |
| Wiener:innen leben zu diesem Preis. Finanziert wurde das kommunale | |
| Bauprogramm durch eine Wohnbausteuer und eine Reihe üppiger Luxussteuern | |
| auf Güter und Dienstleistungen, die sich nur Reiche leisten konnten. | |
| Eines der bekanntesten sozialen Gemeindebauwerke ist der Karl-Marx-Hof im | |
| 19. Bezirk. 1930 fertiggestellt, ist er mit ungefähr 1.050 Metern der | |
| längste zusammenhängende Wohnbau der Welt. Damals wurde Wien | |
| sozialdemokratisch regiert, die rote Fassadenfarbe, die riesigen Bögen mit | |
| ihren Türmen, vor allem aber die Thematik der Skulpturen sind ein Manifest | |
| des Roten Wiens. Mit seiner Funktionalität setzte der Karl-Marx-Hof damals | |
| neue Maßstäbe: Für die Bewohner:innen aus der Arbeiterschaft gab es | |
| unter anderem zwei Kindergärten, eine Mutterberatungsstelle, ein | |
| Jugendheim, eine Bibliothek, eine Zahnklinik und eine Zentralwäscherei. | |
| Manche Wohnungen hatten sogar Balkone, bis dato ein Luxus, der den | |
| Bürgerlichen vorbehalten war. | |
| Damit auch die Seestadt ihre sozialen Ansprüche erfüllen kann, wird an | |
| vielen Ecken noch gebaut, möglichst nachhaltig mit recycelten Rohstoffen. | |
| „Knapp die Hälfte der Seestadt ist errichtet“, sagt Projektmanager | |
| Schuster. Vermutlich die schwerere Hälfte: Die ersten Anwohner brauchten | |
| Geduld. Geschäfte, Restaurants, Ärzte, Apotheken, Sportvereine kamen erst | |
| nach und nach. Auch die Seepromenade gab es lange nur in Prospekten. Heute | |
| sei es sicherlich einfacher, sich für die Seestadt zu entscheiden. Nur | |
| Kneipen, Kinos, Kultur sind noch rar. 25.000 Menschen sollen 2030 hier | |
| leben, 20.000 neue Arbeitsplätze entstehen. | |
| Gut angebunden war die Seestadt dabei schon immer: „Der U-Bahn-Anschluss | |
| war bereits vor den ersten Mietern hier“, sagt Lukas Knott, | |
| Mobilitätswissenschaftler an der Universität Wien. Das sei nicht | |
| selbstverständlich, normalerweise werde ein neues Wohngebiet wegen der | |
| Wirtschaftlichkeit immer erst dann an den öffentlichen Nahverkehr | |
| angebunden, wenn genügend Menschen eingezogen sind. „So konnten bereits die | |
| ersten Mieter die Erfahrung machen, dass sie hier auch ohne Auto mobil | |
| sind“, sagt Knott, und das habe Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten | |
| der Seestädter: „Lediglich 20 Prozent ihrer Wege erledigen die Menschen | |
| hier mit dem Auto, 80 Prozent aber mit Rad, Öffentlichen oder zu Fuß.“ In | |
| vergleichbaren Wiener Gebieten wird das Auto dagegen fast doppelt so häufig | |
| genutzt. | |
| Zu Knotts Aufgaben gehört auch die Mobilitätsberatung der Seestädter:innen: | |
| „Ich rechne sehr oft vor, was ein Auto kostet. Schnell wird dann klar, für | |
| die wenigen Fahrten, die eine Familie tatsächlich unternimmt, reicht ein | |
| geteiltes Auto.“ Ohnehin ist die Seestadt nicht darauf ausgerichtet, | |
| individuellen Autobesitz attraktiv zu machen. So gibt es nur wenige | |
| Parkplätze, auf denen man mit dem städtischen Parkpickerl – wie das | |
| Anwohnerticket in Wien heißt – stehen darf. Dazu kommen nur weitere neun | |
| Parkhäuser und Gemeinschaftsgaragen, und während die Kosten für das | |
| städtische Parkpickerl, bei 10 Euro im Monat liegen, schlägt ein Platz im | |
| Parkhaus mit 100 Euro zu Buche. | |
| Dafür kann man sich in der Seestadt, wo auf allen Straßen Tempo 30 gilt, an | |
| jeder zweiten Ecke ein Auto ausleihe, Lastenräder gibt es sogar kostenlos. | |
| Viele Menschen sind auch mit dem Roller unterwegs, es gibt seestädtische | |
| Buslinien, ein Angebot namens „WienMobil Hüpfer“ – ein kostenloses | |
| Sammeltaxi, das in Rufbereitschaft steht. 2025 soll die Seestadt auch ans | |
| Wiener Straßenbahnnetz angeschlossen werden. | |
| ## Auch der „Grantler“ ist schon da | |
| Neben all der Utopie lässt sich bei der Entstehung der Seestadt allerdings | |
| ein Phänomen beobachten, das von anderen Orten bekannt ist: Die Kluft | |
| zwischen Theorie und Praxis, zwischen Stadtplanung und Lebensrealität. Sie | |
| sorgt für einige Unzufriedenheiten, und so bleibt auch das Wien der Zukunft | |
| irgendwie eben Wien. Auch hier gibt es Menschen, die als „Grantler“ gelten, | |
| die also immer etwas auszusetzen haben. | |
| Zurecht? Projektchef Gerhard Schuster verteidigt sich. „Der Masterplan ist | |
| 15 Jahre alt“, sagt er und meint den Bauplan des Quartiers. Damals habe | |
| eine versiegelte Fläche noch als „urban“ gegolten, in eine Stadt gehörte | |
| Beton statt Pflanzen. Er zitiert italienische Renaissancestädte wie Florenz | |
| oder Siena, die ja auch „keine Bäume, keinen Rasen im Zentrum“ haben. | |
| Allerdings räumt inzwischen selbst er als Projektchef ein, Fehler gemacht | |
| zu haben: Der Maria-Trapp-Platz, komplett versiegelt und mit wenigen Bäumen | |
| bepflanzt, soll in spätestens zwei Jahren neu, also grüner, gestaltet | |
| werden. Versiegelte Flächen können schlechter mit Starkregen umgehen oder | |
| an Hitzetagen kühlen, ein zunehmendes Problem in der Klimakrise. Der Anstoß | |
| für die Neugestaltungen kommt von engagierten Bürger:innen, die sich in | |
| ihrer Freizeit dafür einsetzen, dass die ambitionierten Zukunftspläne aus | |
| Stadtplanungsbüros an die Lebensrealität echter Menschen angepasst werden. | |
| So auch Heidi Merkl, pensionierte Lehrerin und Gründerin des Vereins | |
| Seestadtgrün. „Die Zukunft ist grün, aber die Seestadt ist grau“, sagt si… | |
| „Wir haben erlebt, wie ein Platz nach dem anderen versiegelt wurde.“ Mit | |
| Gleichgesinnten nahm sie die Sache selbst in die Hand: Schritt für Schritt | |
| eroberten sich die mehr als hundert Mitglieder den öffentlichen Raum | |
| zurück, indem sie Beton aufbrachen, Bäume pflanzten, Hochbeete aufstellten. | |
| Seestadtgrün hat mittlerweile mehrere Tausend Quadratmeter entsiegelt und | |
| begrünt. Ihr Gießwasser transportieren die Freiwilligen natürlich mit dem | |
| Fahrrad des Vereins. | |
| „Es geht auch um die Art, wie man den Bürgern begegnet“, klagt Sabi | |
| Rimanoczy. Der Softwareentwickler aus den USA grantelt mittlerweile auch. | |
| Er bereut nicht, Pionier gewesen zu sein, damals, „als die Wege noch aus | |
| Schlamm bestanden und der nächste Supermarkt mit der U-Bahn angefahren | |
| werden musste“. Aber er kritisiert den Umgang der Behörden. „Die Stadt der | |
| Zukunft erfordert auch andere Formen der Partizipation, andere Formen der | |
| Kommunikation zwischen Verwaltung und Bewohnern. In der Seestadt fühlen wir | |
| uns oft wie Bittsteller.“ | |
| Auch Rimanoczy ist Mitglied bei Seestadtgrün, auch er trägt sich in die | |
| Gießdienstlisten ein. „Wir müssen aber für jeden aufgestellten Grünkübel | |
| und jedes Hochbeet zahlen“, sagt er. Die Stadt argumentiere: Die „Nutzung | |
| des öffentlichen Raumes“ durch Individuen kostet Geld, egal ob diese | |
| Individuen einen Würstelstand betreiben oder die Stadt ergrünen lassen.“ | |
| Seestadtgrün muss also mehr als 1.000 Euro dafür zahlen, dass seine | |
| Mitglieder freiwillig den Jät-, Gieß- und Begrünungsdienst der Seestadt | |
| übernehmen. | |
| ## Die Seestadt hat noch viel ungenutztes Potenzial | |
| Wenn schon nicht grün, müsste die Stadt der Zukunft dann nicht wenigstens | |
| blau aussehen, solarzellenblau? Zwar sind die meisten Dächer der Seestadt | |
| mit Photovoltaik bestellt, sonst aber ist es mit der Nutzung der | |
| Sonnenkraft dürftig. Dabei gäbe es viele Flächen wie Balkone und Hauswände, | |
| die sich geradezu aufdrängen, um mit konventionellen Sonnenkraftwerken | |
| bestückt zu werden. Auch würde man in der Stadt der Zukunft innovative | |
| Solarprojekte erwarten, einen Photovoltaikradweg vielleicht, Solarparkbänke | |
| oder die Nutzung von organischen [3][Solarzellen, die aufgeklebt werden | |
| können]. Und blickt man sich in der Seestadt um, sieht man auch weniger | |
| [4][Balkonkraftwerke] als etwa in Berlin oder München. | |
| „Woran das liegt? Ich weiß es auch nicht“, sagt Vera Immitzer, | |
| Geschäftsführerin des Österreichischen Solarverbandes „PV Austria“. | |
| Sicherlich sei auch ins österreichische Bewusstsein gedrungen, dass Solar | |
| die Zukunft sei. Österreich will in einem Vierteljahrhundert 40.000 | |
| Megawatt Photovoltaikleistung am Netz haben, aktuell sind es gerade einmal | |
| 4.000. „Wien ist das erste Bundesland mit einer Photovoltaikpflicht“, sagt | |
| Immitzer. Die Stadt brenne für die Photovoltaik, so habe sie beispielsweise | |
| Ausbildungsinitiativen für Installateur:innen geschaffen. Doch bisher | |
| ist in der Seestadt fast nichts von Solarzellen zu sehen. | |
| Es mag sein, dass die Seestadt noch ungenutztes Potential auf ihrem Weg zur | |
| „Stadt der Zukunft“ besitzt – doch ändert es nichts daran, dass Wien bei | |
| der Stadtentwicklung schon immer Vorreiter ist, wie etwa beim Bau günstiger | |
| Gemeindewohnungen wie dem Karl-Marx-Hof. In den 1970er Jahren startete Wien | |
| dann als eine der ersten Städte weltweit ein „Stadterneuerungsprogramm“. In | |
| den 1980er Jahren entstand die Donauinsel, ursprünglich zum | |
| Hochwasserschutz angelegt, durch Intervention vieler Bürgerinnen und Bürger | |
| aber zur Freizeit- und Erholungsinsel weiterentwickelt. | |
| Als die Fertigteilbauweise auch in Wien Plattenbausiedlungen wie am | |
| Handelskai zum Standard werden zu lassen drohte, setzte der Künstler und | |
| Architekt Friedensreich Hundertwasser mit seinem Bau im 3. Wiener Bezirk | |
| und der Müllverbrennungsanlage im 9. dem ein grünes Manifest entgegen. 2012 | |
| führte die Stadt ein Jahresticket für den öffentlichen Nahverkehr ein, dass | |
| lediglich 365 Euro kostet. Und das sind nur einige Meilensteine. | |
| Die Zukunft der Stadt entscheidet sich aber nicht nur an Wohnkonzepten oder | |
| der Mobilität. „Wichtig ist logischerweise auch die Energienutzung“, sagt | |
| Nicole Kreuzer. Sie arbeitet beim Forschungsprojekt Aspern Smart City | |
| Research (ASCR), das eine intelligente Steuerung der Netze für Strom, | |
| Wärme, Trink- und Regenwasser zum Ziel hat, um den wachsenden | |
| Energieverbrauch zu verringern und technische Alternativen für unser | |
| fossiles Leben zu finden. „Die Seestadt ist ein Reallabor für die Stadt der | |
| Zukunft“, sagt Kreuzer. | |
| ## Wenn Denken Energie erzeugt | |
| Die vergangenen Sommer waren auch in Wien im Vergleich zum langjährigen | |
| Mittel deutlich zu heiß. Abhilfe schafft in solchen Fällen an vielen Orten | |
| die Klimaanlage, aber „das geht natürlich auch anders“, sagt Andreas | |
| Schuster, Forschungskoordinator bei ASCR. Nutzt man eine [5][Wärmepumpe, | |
| die eigentlich zum Heizen ins Gebäude eingebaut wurde], an heißen Tagen | |
| „umgekehrt“, so entzieht sie aufgeheizten Zimmern Wärme. „Die kann man d… | |
| gewinnbringend ins Netz einspeisen“, sagt der studierte Elektrotechniker. | |
| Die eigene Wohnung wird gekühlt, der Nachbar nicht mit Abwärme aufgeheizt | |
| und die Umwelt entlastet, weil die entnommene Wärme an anderer Stelle | |
| wieder zur Energieversorgung eingesetzt werden kann. Klima und Menschen | |
| gewinnen. | |
| Auch Menschen selbst erzeugen im Alltag nutzbare Wärmeenergie, etwa in der | |
| Schule. „Nachdenken erfordert Energie und dabei entsteht Abwärme“, sagt | |
| Nicole Kreuzer. Der Fachbegriff dafür: „Abwärmefortluft“. In der | |
| Grundschule am Hannah-Arendt-Platz werden aus der Energie, die die | |
| Schüler:innen beim Lernen produzieren, „225 Megawattstunden im Jahr“ | |
| gezogen, sagt Kreuzer stolz. „Die Leistungen der Schüler spiegeln sich | |
| nicht nur in den Noten wieder, sie besorgen auch noch 180 Haushalten den | |
| Jahresenergieverbrauch.“ | |
| In Modellprojekten versucht das ASCR-Team außerdem, den Umgang der | |
| Anwohner:innen mit Energie zu erforschen. „Energie ist schwer greifbar, | |
| das ist auch bei den Bewohnern der Seestadt so“, sagt Forschungskoordinator | |
| Schuster. Einige dokumentieren ihren Energieverbrauch über eine App und | |
| stehen für Interviews bereit. Sie sind direkt Teil des „Reallabors“. | |
| Ökostrom beziehen hier trotzdem die wenigsten. „Zumeist wird der Anbieter | |
| gewählt, der sich beim Einzug anbietet, der Platzhirsch also.“ | |
| Trotzdem scheinen es Platzhirsche in der Seestadt schwer zu haben. Ganz am | |
| Stadtrand gibt es noch eine fossile Tankstelle, sonst tanken Autos in der | |
| Seestadt ausschließlich Strom. In Gemeinschaftsgärten wird solidarische | |
| Landwirtschaft betrieben. Ein Lichtwellenleiter auf dem Dach des | |
| Technologiezentrums 2 sorgt dafür, dass das Gebäude zumindest bei | |
| Sonnenschein ohne Strom beleuchtet werden kann. Die Pläne schließen aus, | |
| dass in der Seestadt Kaufhäuser oder Läden großer Ketten entstehen. | |
| Ein Besuch zeigt, dass in der Wiener Seestadt gerade ein urbanes Reallabor | |
| für städtisches Leben der Zukunft entsteht. Dass die Stadt der Zukunft aber | |
| nicht am Reißbrett „von oben“ gebaut werden kann, verwundert nicht. | |
| Stattdessen sind es das Granteln und das vielfältige ehrenamtliche | |
| Engagement, die die Entwicklung vorantreiben. So wie es schon immer war. | |
| Und so kann man mit Fug und Recht behaupten: Wien bleibt Wien! | |
| 24 Dec 2023 | |
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