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# taz.de -- Neue Kinder- und Jugendbücher: Städtebau, Reiterferien und ein kl…
> Linda Wolfsgruber und Anke Kuhl erzählen spannungsreich von Momenten des
> Umbruchs. Tobias Wagners Jugendbuch wurde aus 150 Einsendungen
> ausgewählt.
Bild: Aus dem neuen Vorzeigestadtteil Seestadt in Wien (Auszug aus „Eine Stad…
Österreichs Hauptstadt Wien ist eher für sein historisches Zentrum, für
Hofburg oder Prater bekannt. In 25 Minuten gelangt man von dort mit der
U-Bahn Richtung Osten nach „Seestadt“, der Endhaltestelle der Linie 2.
Schon sieht Wien ganz anders aus. Viele der hohen Gebäude wurden gerade
erst fertiggestellt, die Plätze frisch angelegt. An zahlreichen Stellen
wird auch 2025 noch gebaut. Ein großer Badesee befindet sich bereits in der
Mitte des neuen Vorzeige-Stadtteils. [1][Bald sollen hier 25.000 Menschen
leben.]
In dem Bilderbuch „Eine Stadt – Begegnungen“ hat Linda Wolfsgruber das
gigantische Stadtentwicklungsprojekt und seine Bewohner auf besondere Weise
festgehalten. 2019 begann die österreichische Künstlerin und Illustratorin
den noch unwirtlichen Zukunftsort regelmäßig zu besuchen und dort zu
fotografieren. Danach entstanden auf Leinwand im Atelier detailreiche,
farblich eindrückliche Acrylgemälde, die von Momenten des Übergangs
erzählen. Diese Alltagsszenen zeigen weitläufige Plätze und urbane Räume
mit nur wenigen Menschen. Kaum ein Auto ist darauf zu sehen. Die Zeit
scheint hier still zu stehen.
Den großformatigen Illustrationen hat Wolfsgruber kurze Texte
gegenübergestellt. Die handeln von den BewohnerInnen und BesucherInnen der
„Seestadt“, von ihrem Leben, ihren Vorlieben und Hoffnungen.
Gertrude sammelt im Hochsommer Wildkräuter zwischen den Neubauten. Lukas
und seine jüngere Schwester Andrea lieben das Radfahren und Radschlagen auf
den breiten Wegen. Enhamullah flüchtete als Jugendlicher unbegleitet nach
Österreich und lebt nun in einer betreuten Wohngemeinschaft. Er träumt
davon, Fahrer eines Gabelstaplers zu werden. Luisa ist Luftakrobatin und
übt mit einem Freund in der Dämmerung Kunststücke in den Häuserfluchten.
## Viel Raum für Assoziationen
Oftmals sind die Figuren nur in der Ferne oder von hinten auf den
Abbildungen zu erkennen. Vor der urbanen Landschaft und Architektur wirken
sie fast verloren klein. Doch die veränderten Proportionen in der
Darstellung schaffen viel Raum für eigene Bildbeobachtungen, Assoziationen
und Überlegungen. Wie wollen wir (miteinander) leben? Wo wollen wir wohnen?
Unaufdringlich regt Linda Wolfsgrubers Bilderzählung zum Nachdenken über
das Morgen an, während auch die Zukunft der Wiener „Seestadt“ offen bleibt.
Eine Neuerscheinung der Frankfurter Illustratorin Anke Kuhl wirft hingegen
einen heiter-nachdenklichen Blick zurück auf das Jahr 1983. „Pferde,
Tränen, Lachanfälle. Unsere Woche im Ostertal“ schildert rückblickend eine
Episode aus der Kindheit der 1970 geborenen Autorin. Das Comic erzählt von
ihrem Aufenthalt auf einem Bauernhof im Odenwald. Zum ersten Mal dürfen
Anke, ihre ältere Schwester Eva und zwei Freundinnen in dem Landgasthof im
Ostertal ein paar Tage allein verbringen. Gleich nach der Ankunft und einer
raschen Begrüßung der Pferde erhalten die Mädchen von Frau Kurz, der
Wirtin, ihre Zimmerschlüssel. Die Mutter ist mit ihrem weißen Polo zurück
in die Stadt gefahren.
„Ferien auf dem Reiterhof“ und „Pferdefreundschaft“, die Stichworte las…
einige Klischees vermuten, doch Anke Kuhl spielt gekonnt mit solchen
Stereotypen der Kinderliteratur, um ihnen mit kräftigem Strich zeichnerisch
sogleich etwas entgegenzusetzen. Ihre Protagonistinnen sind nicht cool,
aber neugierig, empathisch und frech. In Gummistiefeln erkunden sie das
neue Terrain und entdecken dort schon bald den Schweinestall für sich.
Doch die Tage auf dem Bauernhof halten für die Mädchen neben freiem Galopp
übers Feld auch einige schockierende Erfahrungen bereit. Intensiv erleben
sie gemeinsam diese besondere Zeit und teilen heimliche Ängste sowie
unbändige Freude miteinander.
Mit dem autobiografischen Comic knüpft die Zeichnerin an den [2][2020
erschienenen Band „Manno! Alles genau so in echt passiert“] an. Der
berichtet aus ihrer Kinderperspektive mit hintergründigem Witz von den
kleinen und großen Ereignissen im westdeutschen Familienalltag am Ende der
1970er-Jahre.
## Emotional packende Geschichte
Die Erwachsenen im Ostertal, das sind für die junge Anke und ihre
Freundinnen die Wirtin Kurz und der stoische Herr Altenmüller, die ihnen in
charmantem Odenwald-Sprech wohlwollend und gelassen begegnen. „Auf
geht’s“!“, ruft der Bauer den Mädchen nach dem Satteln der Fjordpferde z…
„Isch reit vorneweg. Die Zügel schön logger lasse.“
Mit dem Peter-Härtling-Preis wird seit 1984 alle zwei Jahre ein
unveröffentlichtes Kinder- und Jugendbuch ausgezeichnet. Das
preisgekrönte Manuskript erscheint anschließend im Verlagsprogramm von
Beltz & Gelberg. Aus 150 anonymen Einsendungen entschieden sich die
Jurymitglieder diesjährig für den Jugendroman „Death in Brachstedt“ von
Tobias Wagner. In ihrer Begründung loben sie die unkonventionelle,
emotional packende Geschichte, die der Hallenser Autor mit vielen absurden
Höhepunkten entwickelt. Sein Debüt erzähle auf leichte Weise von einem
schweren Schicksal.
Leo, der Erzähler in „Death in Brachstedt“, ist fünfzehn Jahre alt und eh…
ein introvertierter Typ. Seit dem frühen Tod seiner Mutter kümmert sich
Vater Wolfgang allein um den Sohn. In der Vergangenheit kamen sie immer gut
miteinander klar, bis zuletzt das Verhalten des Vaters immer seltsamer
wurde, überall in der Wohnung Bananen liegen blieben und er zunehmend die
Orientierung verlor. Mit der Diagnose Multi-Infarkt-Demenz, einer Art
Alzheimer, wurde der Lehrer krankgeschrieben. Nun ist Wolfgang eines
Sonntags verschwunden und Leo muss Verantwortung übernehmen – für den Vater
und sein eigenes Leben.
Vor dem Hintergrund dieser Krise entwirft Tobias Wagner das Coming of Age
als ungewöhnliche Freundschaftsgeschichte zwischen zwei sehr
gegensätzlichen Charakteren. Als Henri Sajevic in der Schule Leos neuer
Banknachbar wird, scheint es ihm zunächst völlig abwegig, dass dieser
exzentrische Typ sein bester Freund werden könnte.
Einfühlsam beschreibt der 1978 geborene Autor das energetisches
Spannungsverhältnis zwischen Leo und Henri. Der eine zögerlich bremsend,
doch absolut loyal – der andere unabhängig, ständig in Action, aber
emotional aufmerksam. Auch ihre Lebensverhältnisse könnten kaum
unterschiedlicher sein. Henris wohlhabende französisch-bosnische Familie
bewohnt mit Hausmädchen Dana ein großes Haus in bester Lage. Sein Vater,
der in den 1990er-Jahren als Bürgerkriegsflüchtling in den Westen kam, war
als Jurist zeitweise für den internationalen Strafgerichtshof tätig.
## Geheimnisvolle Schließfächer
Irgendwann am Abend gibt Leos Tante Lisa fürs Erste Entwarnung. Der Vater
ist bei ihr plötzlich aufgetaucht. Sie will sich die kommenden Tage um ihn
kümmern. Leo hat also sturmfreie Bude, es sind Ferien und Henri zieht
vorübergehend bei ihm ein. „Ich nehme die Kamera mit“, sagt der
filmbegeisterte Freund, „vielleicht drehen wir was.“ Und genauso kommt es,
denn Henri macht Druck. „Death in Brachstedt“ wird der Horror-Film heißen,
den sie in den Zimmern des abgewirtschafteten Hotels von Henris bosnischem
Onkel Falco drehen dürfen.
Mit diesem parallelen Erzählstrang öffnet der Roman risikofreudig eine
zweite Ebene, die auch Raum schafft für absurde Szenen mit entlaufenen
roten Katzen oder geheimnisvollen Bahnhofsschließfächern. Wie im
Schnelldurchlauf machen die intensiven Erfahrungen Leo stark für eine
riesige Herausforderung, die ihn schon bald erwartet.
29 Mar 2025
## LINKS
[1] /Nachhaltige-Stadtentwicklung/!5980690
[2] /Neue-Kinder--und-Jugendbuecher/!5671138
## AUTOREN
Eva-Christina Meier
## TAGS
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2025
Kinderbücher
Jugendbuch
Stadtleben
Ferien
Comic
Kinder- und Jugendbücher
wochentaz
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