| # taz.de -- Grüne Energie: Volle Solarkraft voraus | |
| > Bei Photovoltaik denken wir an blauschimmernde Solarpanele auf Dächern, | |
| > dabei geht auf dem Solarmarkt mehr. Vier revolutionäre Technologien. | |
| Bild: Solarfolie: superdünn, ultraleicht und biegsam | |
| In den 2000er Jahren war jedes vierte Solarmodul weltweit „made in | |
| Germany“. Dann wurden unter Angela Merkel die Förderungen massiv gekürzt | |
| und der deutsche Anteil fiel unter die Einprozentmarke. Jetzt gibt es | |
| wieder Hoffnung, denn neue Technologien könnten den Solarmarkt | |
| revolutionieren. | |
| ## Die Solarfolie | |
| Die Zukunft wird in einem grauen Produktionsgebäude gemacht. In | |
| Dresden-Mickten fertigt die Firma Heliatek organische Solarzellen. Es gibt | |
| auf der Welt zu wenig Metalle wie Aluminium, um das solare Zeitalter | |
| durchzusetzen, deshalb müssen andere Materialien her, die Sonnenenergie in | |
| Strom umwandeln. „Wir nutzen spezielle Kohlenstoffverbindungen, die wir auf | |
| Folien aufdampfen“, erklärt Stephan Kube, Marketingchef des Unternehmens. | |
| „Organisch“ werden die Zellen genannt, weil sie auf Prinzipien der | |
| organischen Chemie beruhen. Streng genommen produziert Heliatek auch gar | |
| keine Solarzellen sondern Solarfolien: superdünn, biegsam und ultraleicht. | |
| Für die Solarbranche sind diese neuen Eigenschaften nicht nur spektakulär, | |
| sondern auch materialsparend: „Im Vergleich zu den herkömmlichen | |
| Solarzellen sind die organischen tausendmal dünner“, sagt Birger Zimmermann | |
| vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg. Die | |
| klassischen blauen Zellen, aus denen die rund 2,7 Millionen | |
| [1][Photovoltaikanlagen in Deutschland] bestehen, sind in der Regel aus | |
| Silizium. Und sie kommen heute aus China, eine Abhängigkeit, die niemand | |
| mehr so recht haben möchte. Die neuen Solarfolien kommen ohne Silizium, | |
| Aluminium, Blei und andere Schwermetalle aus, Rohstoffe, die irgendwo auf | |
| der Welt abgebaut werden müssen, oft unter fragwürdigen Bedingungen. „Die | |
| Farbe variiert je nach den eingesetzten Kohlenstoffverbindungen“, sagt | |
| Stephan Kube. Aktuell schimmern die Folien aus Dresden violett. | |
| Zwölf Jahre lang hat das sächsische Unternehmen an der neuen Technologie | |
| geforscht – jetzt steht eine Produktionsstrecke in dem Micktener Gebäude, | |
| die zwei Millionen Quadratmeter im Jahr herstellen kann – eine Fläche, mit | |
| der 280 Fußballfelder bedeckt werden könnten. „Noch aber geht es bei uns | |
| nicht um Masse, sondern um die Produktoptimierung“, sagt Kube. Mit 60 bis | |
| 65 Watt pro Quadratmeter ist die Stromausbeute derzeit noch wesentlich | |
| geringer als bei den Siliziumzellen, „das entspricht einem Wirkungsgrad von | |
| um die neun Prozent“. Moderne Siliziumzellen bringen es derzeit noch auf | |
| mehr als doppelt so viel. | |
| Ein großer Vorteil der Folie: Während normale Solarmodule als feste | |
| Glasplatten auf Häuser- und Firmendächern angebracht werden müssen, lässt | |
| sich die Solarfolie einfach ankleben, auf ihrer Rückseite ist ein Klebstoff | |
| angebracht. Das macht sie sehr vielseitig einsetzbar. [2][In Spanien] hat | |
| Heliatek den Turm eines Windrades beklebt, in Frankreich das Leichtbaudach | |
| einer Mittelschule, in Donauwörth die Fassade eines Getreidesilos, in | |
| Berlin die Waben einer Traglufthalle. Das Standardformat der organischen | |
| Zelle liegt bei zwei Metern Länge und 43 Zentimetern Breite und das | |
| Ankleben sei so leicht, dass es jeder könne, behauptet Stephan Kube. | |
| Am Anfang der Produktionsstrecke steht eine Lasermaschine, groß wie ein | |
| Schiffscontainer, in die zwei Kilometer lange Kunststofffolien eingespannt | |
| werden. „Wir lasern damit die Zellstruktur auf – drei Nanometer dünn“, | |
| erklärt der Marketingchef. Danach geht die Folie in eine | |
| Verdampfungsmaschine, die so groß wie ein Mehrfamilienhaus ist. Hier werden | |
| drei verschiedene Absorberschichten aufgetragen, um unterschiedliche | |
| Wellenlängen des Sonnenlichts in Strom umzuwandeln – das Herzstück der | |
| Produktion. Der nächste Schritt ist die „Verkapselung“: Eine Maschine | |
| verschließt die bedampften Zellen luftdicht, damit die Solarfolie Wind und | |
| Regen trotzen kann. Heliatek strebt 20 Jahre Garantie an, so wie es auch | |
| bei den Siliziumzellen üblich ist. Dann werden die verkapselten langen | |
| Solarfolien auf zwei Meter zugeschnitten und der Rückseitenkleber und die | |
| Anschlussdose angebracht. | |
| Maschinen, mit denen sich solche hochspezialisierten Prozesse ausführen | |
| lassen, gibt es nicht von der Stange zu kaufen. Jeder einzelne Abschnitt | |
| sei speziell für die Dresdner Produktion entwickelt und gebaut worden, | |
| erklärt Kube. An diesem Tag ist die Verdampfungsmaschine außer Betrieb, ein | |
| Team von Wissenschaftlern und Konstrukteuren tüftelt daran, wie ein | |
| spezielles Bauteil verbessert werden kann. „Der Fortschritt ist nicht | |
| planbar, wir müssen vieles ausprobieren und oft auch wieder verwerfen“. | |
| Aber er ist in vollem Gange, mittlerweile arbeiten 270 Leute bei Heliatek, | |
| „und [3][wir suchen weiter Fachkräfte], die uns helfen“, so Kube. | |
| Die neuen Solarzellen im Folienformat sind nicht nur sparsam, sie sind | |
| auch extrem vielseitig in der Anwendung. Die Materialkonstruktion der neuen | |
| Zellen ermöglicht es zum Beispiel, Bandbreiten des Lichts in Strom | |
| umzuwandeln, die für das menschliche Auge unsichtbar sind. „Man kann so | |
| Fensterscheiben zu Sonnenkraftwerken umfunktionieren“, sagt ISE-Forscher | |
| Zimmermann, etwa in Gewächshäusern. | |
| Offensichtlich versprechen sich die Geldgeber, darunter die Energiekonzerne | |
| Eon und Enel, viel von der Dresdner Technologie. „Unser Vertrieb hat | |
| jedenfalls ein Luxusproblem“, sagt Stephan Kube: „Wir produzieren noch | |
| nicht so viel, wie nachgefragt wird.“ Heliatek sucht fortlaufend nach | |
| weiteren Innovationen. Zwölf Wissenschaftler:innen beschäftigen sich | |
| ausschließlich mit der Suche nach neuen Materialkombinationen, die | |
| beispielsweise Strom effektiver umwandeln. „Solche Stoffe müssen dann aber | |
| auch lange haltbar sein“, sagt Kube. Also suchen die Wissenschaftler nach | |
| der Nadel im Heuhaufen. Aber wenn sie sie finden, ist die Nadel aus Gold. | |
| Marktreife: Sehr hoch. Es gibt Konkurrenten in Frankreich und Dänemark. | |
| Innovationsgrad: Sehr, sehr hoch. Es sind Tausende verschiedene Grundstoffe | |
| denkbar. | |
| Weltrettungsfaktor: Enorm. Ohne diese Zellen kann die solare Revolution | |
| nicht gelingen, weil es zu wenig Aluminium und Blei für die herkömmlichen | |
| Siliziumzellen gibt. | |
| Umsetzungsproblem: Der Wirkungsgrad ist noch zu gering. | |
| ## | |
| ## Die Wärmelieferantin | |
| Das Spannende an unserem Modul ist die Rückseite“, sagt Barbara Schilling, | |
| die bei der Firma Consolar im Marketing arbeitet. Tatsächlich sieht die | |
| Solarzelle auf der Vorderseite aus wie eine ganz normale Solarzelle. „Auf | |
| der Rückseite aber erkennt man die gerippte Struktur eines Wärmetauschers: | |
| Wir produzieren Strom und Wärme gleichzeitig.“ | |
| Wobei die Wärmeerzeugung im Vordergrund der neuen Technologie steht: „Es | |
| geht nicht darum, viel Sonnenstrom ins Netz einzuspeisen, sondern darum, | |
| eine Wärmepumpe zu versorgen“, so Schilling – und das mit dem | |
| emissionsfreien Strom des Moduls. „Dadurch können wir mehr als die | |
| dreifache Energie vom Dach ernten, als wenn dort ‚normale‘ Solarzellen | |
| installiert worden wären.“ | |
| Die Idee ist naheliegend: Werden Solarzellen zu heiß, sinkt ihr | |
| Wirkungsgrad und damit der Ertrag. Kühlt man sie aber, wird der Ertrag | |
| gesteigert. Also musste eine Verwendung für jene Energie gefunden werden, | |
| die beim Kühlen anfällt – ideal für eine Wärmepumpe. Und ein solarer | |
| [4][Technologiesprung]: Normalerweise brauchen Wärmepumpen Erdsonden oder | |
| Ventilatoren, die laut sind und die Umgebungsluft aufsaugen. Werden diese | |
| über das Stromnetz versorgt, laufen sie aktuell mit 50 Prozent fossilem | |
| Strom. Die solare Wärmepumpe dagegen läuft völlig emissionsfrei. | |
| Consolar meldete das Patent für das Kombi-Modul, das Sonnenstrom und | |
| Sonnenwärme gleichzeitig produziert, im Jahr 2017 an. 2018 startete die | |
| Produktion. Nach eigenen Angaben hat die Firma mit Sitz in Frankfurt am | |
| Main seitdem 20.000 Module in ganz Europa verkauft. | |
| „Durch die Kühlung erreichen unsere Zellen einen sechs bis zehn Prozent | |
| höheren Stromertrag“, sagt Barbara Schilling. Das ist viel, wenn man | |
| bedenkt, dass moderne Silizium-Solarzellen ohnehin nur bis zu 25 Prozent | |
| des Sonnenlichts in Strom umwandeln können. „Und dann nutzen wir ja auch | |
| noch jenen Teil der Sonnenenergie, die als Wärmestrahlung auf die Erde | |
| fällt“, freut sich Marketing-Frau Schilling: Das sei „das richtige Modul | |
| zur richtigen Zeit“! Schließlich führt der [5][Wärmepumpenboom] nur dann zu | |
| mehr Klimaschutz, wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen stammt. | |
| Marktreife: Sehr hoch. | |
| Innovationsgrad: Mittel. Die Idee dieser Technologie lag nahe. | |
| Weltrettungsfaktor: Hoch. Im Heizungssektor sind klimafreundliche | |
| Innovationen bislang Mangelware. | |
| Umsetzungsproblem: Das System ist noch vergleichsweise teuer. | |
| ## | |
| ## Die Ackerbeschatterin | |
| Landwirte sind selten Leugner des menschgemachten Klimawandels, sie spüren | |
| auf dem Feld, wie sich die [6][Anbaubedingungen verändert] haben. Im März | |
| 2022 gab es zum Beispiel einen neuen Sonnenscheinrekord: Die Sonne schien | |
| länger als sonst in einem durchschnittlichen Juli – und das, obwohl die | |
| Tage im März kürzer sind als im Sommer. Mehr Sonnenschein bedeutet mehr | |
| Verdunstung bei [7][weniger Regen]. Auch den Weinbauern bereitet das | |
| Probleme. Weil die Sonne länger und intensiver scheint, bekommen in | |
| Deutschland bereits jetzt viele Trauben regelrechten Sonnenbrand. | |
| Helfen könnten den Bauern Solarzellen. Die Anlagen sind auf Ständern drei | |
| Meter über dem Boden montiert und bieten so Schatten und Schutz vor Hagel | |
| oder Starkregen, und genügend Platz, um mit dem Traktor darunter zu | |
| arbeiten. Eine Reihe Module, eine Reihe frei – die Pflanzen darunter | |
| erhalten zwar bis zu 30 Prozent weniger Licht, Kartoffeln, Weizen und | |
| Gemüse reicht das aber für ihr Wachstum. Denn die Photosynthese ist ab | |
| einer bestimmten Lichteinstrahlung gesättigt, ihre Leistung nimmt dann | |
| nicht weiter zu. | |
| Nahezu logisch ist der Einsatz solcher Systeme im [8][Obstanbau]. Früchte | |
| wie Kirschen, Wein, aber auch Äpfel werden heute häufig durch Folien und | |
| andere Schutzverbauungen vor [9][Starkregen], zu starker Sonne oder Hagel | |
| geschützt. Agri-Photovoltaik-Anlagen, wie die Solarpanele über den Feldern | |
| genannt werden, können das viel wirtschaftlicher, denn sie produzieren | |
| obendrein Strom. Auch als Solarzaun lässt sich die Photovoltaik | |
| mittlerweile nutzen. Übrigens auch für Eigenheimbewohner. | |
| Marktreife: Ausgereift. | |
| Innovationsgrad: Mittel. Vorhandene Technologie wurde zur neuen Nutzung | |
| adaptiert. | |
| Weltrettungsfaktor: Sehr hoch. Um 100 Prozent erneuerbare Energie zu | |
| gewinnen, ist deshalb viel Fläche notwendig. | |
| Umsetzungsproblem: Immer noch aufwendige und komplizierte | |
| Genehmigungsverfahren. | |
| ## | |
| ## Die Solargardine | |
| Hitze ist eines der Hauptprobleme, die der Klimawandel nach Mitteleuropa | |
| bringen wird. [10][Spitzentemperaturen von 42 Grad] und mehr werden bereits | |
| Mitte des Jahrhunderts keine Seltenheit mehr sein. Städte heizen sich viel | |
| stärker auf als das Umland, in Köln wird ein Klima herrschen, wie heute in | |
| San Marino, Berlin wird klimatische Zustände wie heute im südfranzösischen | |
| Toulouse bekommen, Hamburg wie im spanischen Pamplona. Die Städte in | |
| Südeuropa sind mit Hitzeerfahrung gebaut: kleine Fenster, enge Gassen, | |
| viel Verschattung. | |
| Solche Erfahrungen fehlen deutschen Architekten. Sie bauen noch immer mit | |
| riesigen Glasfassaden. Die werden dafür sorgen, dass sich die Räume | |
| dahinter unerträglich aufheizen werden – zumindest, wenn nicht eine | |
| Erfindung des Schweizer Arno Schlüter zum Einsatz kommt: Der Professor für | |
| Architektur und Gebäudesysteme an der ETH Zürich hat mit seinem Team ein | |
| solares System entwickelt, das einer Gardine gleicht. | |
| Dafür montierten die ETH-Forschenden ein Geflecht aus quadratischen | |
| Solarpanelen vor einem Bürofenster. Jedes dieser Panele kann einzeln | |
| angesteuert und durch ein ausgeklügeltes Druckluftsystem bewegt werden. | |
| Etwa nach dem Stand der Sonne, wodurch der Sonnenstromertrag verglichen mit | |
| herkömmlichen statischen Solarfassaden höher ist. Gleichzeitig bleibt die | |
| Sonnenenergie, die das Büro aufheizen würde, draußen. Sollte es einmal zu | |
| kühl werden, lässt sich die Solargardine so aufdrehen, dass viel | |
| Sonnenenergie ins Innere dringt. Passenderweise heißt das System „Solskin“, | |
| Solarhaut, in diesem Jahr soll es auf den Markt kommen. | |
| Marktreife: Gering. Es gibt nur einige Prototypen. | |
| Innovationsgrad: Hoch. Der neue Regelungsmotor ist patentiert. | |
| Weltrettungsfaktor: Mittel. Immerhin der Büroflächenrettungsfaktor in | |
| Mitteleuropa ist hoch. | |
| Umsetzungsproblem: Träge Bauherren, die den Klimawandel in ihre Planung | |
| nicht einbeziehen. | |
| 16 Apr 2023 | |
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