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# taz.de -- Ausstellung über Fotograf Umbo: Mit dem Namen eines Clowns
> Er ist aus dem Bauhaus geflogen und trotzdem berühmt: Die Berlinische
> Galerie widmet sich dem Fotografen Umbo, umtriebig in der Weimarer Zeit.
Bild: Für Umbo posieren 1927 Alexa von Porembsky, Lena Amsel, Ruth Landshoff, …
Es war im Jahr 1927, als Ruth Landshoff einen Text für Die Dame schrieb:
„Wir – das sind die jungen Leute, die außer Atem sein müssen, ehe sie zum
Lesen kommen, von Sonne, Luft, Bewegung und Freude am Leben. Wir, die wir
aus dem unaufhörlich rotierenden Dasein hinausgeschleudert werden in die
Stille eines Buches wie in einen Schlaf.“ Sie erzählt, wie sie Romane von
André Gide, Joseph Conrad, Jack London lesen, aber auch Bücher über
Fischfang, Reisen und Rennen, Logbücher und Industrieberichte. „Bücher, die
unser geliebtes Tempo haben, die unruhig sind, wie wir selbst sind“. Träfen
sie die Personen dieser Bücher, „wir würden sie nach dem PS ihrer Wagen
fragen“.
1927 fotografierte Umbo vier dieser abenteuerhungrigen und
geschwindigkeitsverliebten jungen Frauen in einer Reihe
nebeneinandersitzend, die Knie geneigt, die Hand aufs Herz, tanzen sie im
Sitzen? [1][Ruth Landshoff ist dabei], die Tänzerin Lena Amsel, die zwei
Jahre später bei einem Autorennen mit dem Maler André Derain in ihrem
Bugatti verunglückte, die Malerin Anne Marie Jauss und die Schauspielerin
Alexa von Porembsky, präsent in Berliner Theatern, in Filmen, in den Revuen
von Eric Charell und durch viele Porträts unterschiedlicher Fotografen.
Die [2][Kunsthistorikern Annelie Lütgens] erzählt im Katalog zu der großen
„Umbo“-Ausstellung in der Berlinischen Galerie die spannende Geschichte von
Ruth Landshoff und ihrem Freundeskreis, ihren Beziehungen zu Männern und
Frauen, ihrem Weg als Autorin, ihre Reisen mit Annemarie Schwarzenbach. Und
allein die vielen Porträts, die Umbo von Ruth Landshoff machte, lohnen den
Besuch der Ausstellung.
## Schreibmaschine auf dem Bauch
Er leuchtete ihr Gesicht so hell aus, dass die Nase verschwand, aber dunkle
Augen und dunkler Mund alles zu sagen schienen. Er fotografierte sie mit
der Schreibmaschine auf dem Bauch im Bett und dann ein wenig näher gerückt,
mit entblößter Schulter und Zigarettenspitze.
Einmal werden die Risse eines zerbrochenen Glasnegativs zum Spinnennetz,
das sich über sie legt, eine geheimnisvolle Femme fatale. Es gibt Ruth, die
Sportliche, mit Badekappe und nackter Haut, es gibt Ruth, die zärtlich
Verspielte, mit Katze in ihre Halsbeuge gekuschelt im Bett. Ein anderes
Spiel ist Landshoff mit Degen und Verband. Schöner lässt sich eine
Liebesgeschichte in Bildern kaum erzählen.
Heute sind die emanzipierten jungen Frauen der damaligen zwanziger Jahre,
mit ihrer bisexuellen Offenheit und ihrer androgynen Stilisierung, Legende.
Aber als Umbo in Berlin zu fotografieren begann, ohne große Erfahrung oder
Ausbildung an der Kamera, war er, zusammen mit Ruth Landshoff, entscheidend
an der Herstellung dieses Bildes beteiligt.
Man hatte einen solchen Umgang mit Licht, eine solche auf Feinzeichnung
verzichtende Entwicklung des Filmmaterials noch nicht gesehen, wie in den
ersten Bildern Umbos, der die Fotoszene als Autodidakt betrat. In seinen
zwei Jahren als Bauhaus-Student zuvor (1921/22) wollte er eher noch Maler
werden.
## Ein schlitzohriger Junge
Der Name Umbo klingt wie der eines Clowns. 1924 nahm Otto Maximilian Umbehr
den Namen an, unter dem er in Berlin bald berühmt werden sollte. Er und
sein Zirkel schwärmten für Charlie Chaplin, Selbstporträts zeigen Umbo mit
Melone und Lippenbärtchen.
1932 erschien in der Zeitschrift Das Leben unter der Überschrift „umbo
knipst artisten“ eine lange Fotostrecke mit seinen Bildern und einem Text
von J. Reismann über den Fotografen. Er wird beschrieben wie ein
schlitzohriger Junge, wegen „unheilbarer Faulheit“ aus dem Bauhaus
geworfen, ohne handwerkliche Kenntnisse, aber mit vielen
Damenbekanntschaften. Freunde helfen ihm, Partner betrügen ihn, naiv
scheint er. Die prekäre Lage der Künstler ohne Geld, die auch deswegen im
Artistenmilieu eine Metapher für die Risiken der künstlerischen Existenz
sehen, wird hier anekdotisch heruntergespielt.
Zur Ikone ist seine Collage von Egon Erwin Kisch, dem rasenden Reporter,
geworden, in der Mensch und Apparate zu einem Wesen verschmelzen. Der Blick
von oben, auf die langen Schatten von Spaziergängern, aber auch auf müde
Pärchen im Sand am Strand, bereitete die Perspektiven des sogenannten Neuen
Sehens vor. Schaufensterpuppen zogen Umbo und viele seine Zeitgenossen an,
sie bilden in der seriellen Reihung von realistisch geformten
Körperteilen und fein gemalten Gesichter surreale Szenerien.
Als in den 1970 Jahren, vor allem Dank des Galeristen Rudolf Kicken, eine
Wiederentdeckung von Umbos Werk, der damals noch lebte, einsetzte,
konzentrierte sie sich auf die 1920er Jahre. Vieles von dem, was nicht bei
einem Bombenangriff 1943 in seinem Berliner Atelier zerstört worden war,
ist seitdem vielfach reproduziert worden und in Ausstellungen zu den
zwanziger Jahren aufgetaucht. Aber erst die jetzige Ausstellung verfolgt,
wie seine Geschichte weiterging. [3][Möglich wurde das, weil drei Museen
gemeinsam, das Sprengelmuseum in Hannover, die Berlinische Galerie und das
Bauhaus Dessau 2016,] nach sieben Jahren Verhandlungen, seinen Nachlass
erwerben konnten. Berlin ist nach Hannover die zweite Station der
Ausstellung.
## Wachstum der Salze
Mit dem Erstarken des Nationalsozialismus veränderte sich die
Zeitungslandschaft und damit die Auftraggeber. 1935 entstand eine Reportage
über das „Wachstum der Salze“, die mit grafischen Bildlösungen der
abstrakten Malerei nahekommt. 1938 ging Umbo einen Vertrag mit dem
Deutschen Verlag ein, der ihm finanziell das Überleben sicherte. Eine
Reportage über „Bauernmädchen“, die er 1939 für Der Stern machte, neigt
dann schon zur Heroisierung des sportlichen Mädchenkörpers. Von seiner
früheren Handschrift ist in diesen Reportagen nur wenig zu finden.
Aber mit ihnen ist seine Geschichte längst noch nicht zu Ende. Ende der
1940er Jahre entstehen abstrakte Lichtzeichnungen, von gewellten, sich
drehenden und pulsierenden Körper, die ein Echo sein könnten auf die
Kunstbewegung Zero, die nach Krieg und Faschismus vorsichtig einen
Neuanfang in ideologisch unverfänglichem Gebiet suchte.
## Strenger, karger, auch verhärmter
Vor allem aber sind die Reportagen interessant, die Umbo in den fünfziger
Jahren für Zeitschriften in England machte, deutlich nicht aus deutscher
Perspektive erzählt. Eine geht über das „Forbidden Territory Helgoland“,
über eine vom Krieg gezeichnete Landschaft. Und sehr eindringlich sind
seine Porträts von selbstgerecht blickenden, das Kinn vorschiebenden und
im demagogischen Gestus schon wieder Reden schwingenden Anzugträgern in der
Reportage „SRP. Are the Nazis Coming Back?“, die er 1951 für die
Zeitschrift Picture Post machte.
Die zwanziger Jahre in Berlin sind ein Herzstück in der Sammlung der
Berlinischen Galerie und immer ein Publikumsrenner. Das Museum hat dabei in
den letzten Jahren schon mehrfach die Wege der Künstler über diese Zeit
hinaus verfolgt. Das ist jedes Mal mit einer Ernüchterung verbunden, weil
sich die Leichtigkeit, das Spielerische, mit dem sie jung, innovativ und
glamourös die Bühne der Kunst betraten, eben später nicht wiederholen ließ.
Sich für diese frühere Zeit zu erwärmen ist einfacher, als für die oft
strengere, kargere, auch verhärmte Kunst der Nachkriegsjahre, die eben
nicht mehr von der Euphorie eines Aufbruchs oder dem Gefühl einer Bewegung
und freundschaftlichen Vernetzung getragen war. Aber mit ihr
vervollständigt sich oft eben erst ein Bild, von dem man vorher nur die
Schokoladenseite sah.
7 Mar 2020
## LINKS
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[3] /Bauhaus-in-Berlin/!5299402
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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