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# taz.de -- Die Berliner Künstlerin Jeanne Mammen: Keine Freundlichkeit in die…
> Girls, Bars, Mode: Mit diesen Sujets wurde Jeanne Mammen wiederentdeckt.
> Ihr Werk umfasst mehr, das zeigt eine Retrospektive in Berlin.
Bild: Ausschnitt aus einer Fotografie von K. L. Haenchen, Jeanne Mammen in ihre…
Es war ein Geschenk für einen Freund. 1928, nach der Uraufführung der
„Dreigroschenoper“ in Berlin, hielt Jeanne Mammen die Protagonisten in
einem Aquarell fest: Der feuerrote Haarschopf der berühmten Kabarettistin
Rosa Valetti als Mrs. Peachum leuchtet rechts, in der Mitte lehnt Lotte
Lenya als Seeräuber-Jenny, das Gesicht ein einziges Grinsen, schräg an
einer Drehorgel, links schleicht sich Mackie Messer davon, schmal und
dunkel wie die Bühnennacht.
Mammen schenkte das Blatt mit den Brecht-Stars dem Bildhauer Hans Uhlmann.
In dessen Nachlass hat es die Kunsthistorikerin Annelie Lütgens entdeckt,
als sie die große Jeanne-Mammen-Retrospektive für die Berlinische Galerie
vorbereitete. Nun ist das Aquarell dort erstmals ausgestellt und im Katalog
publiziert. Ein Geschenk für jeden, der Jeanne Mammen liebt.
Ihre Aquarelle und Zeichnungen prägen inzwischen das Bild der zwanziger und
dreißige Jahre in Berlin fast in einem ähnlichen Ausmaß wie die von George
Grosz und Otto Dix. Dabei wurde sie, die noch bis 1976 lebte, erst nach
ihrem Tod wieder wahrgenommen. Vor allem Kunsthistorikerinnen stießen auf
sie bei der Suche nach vergessenen Künstlerinnen; ihr Fokus auf das Bild
junger Frauen machte sie zudem zu einer wichtigen Zeugin für die Geschichte
der Emanzipation und für die Wiederentdeckung des lesbischen Milieus in der
jungen Großstadt Berlin. In vielen Themenausstellungen war Mammen deshalb
seitdem dabei.
## Jung, mondän, emanzipiert und elegant
Die Retrospektive der Kuratorin Annelie Lütgens aber erweitert den Blick
auch auf die Malerin der Nachkriegszeit, die, abgestoßen von den neuen
ideologischen Debatten des Kalten Krieges, wieder einmal sehr zurückgezogen
lebte und arbeitete. Viele Werke der Ausstellung kommen aus Privatbesitz.
Jeanne Mammen, 1890 in Berlin geboren, wuchs in Paris auf, wo ihr Vater
Teilhaber einer Glasbläserei wurde. Sie studierte Kunst an Privatschulen
und Akademien in Paris, Brüssel und Rom. Als ihre Familie mit Beginn des
Ersten Weltkriegs Frankreich verlassen musste, verlor sie ihr Vermögen.
Berlin, ihren Fluchtpunkt, erlebte Jeanne Mammen als abweisend. In einer
kurzen Lebensskizze, 1974 von ihr mit über 80 Jahren geschrieben, tauchen
Hunger, Lebensmittelkarten, Materialknappheit wie ein Refrain auf.
Diese existenzielle Härte ist oft der Grundton ihrer Zeichnungen. Ihre
Protagonistinnen sind jung, mondän, modern, emanzipiert, elegant, nicht nur
in den Modezeichnungen – aber selbst dort wirken sie nie, als wäre das
Leben eine einfache Angelegenheit. Erotik und Begehren sind bei ihr nie
weit von einem Markt mit grausamen Konditionen entfernt.
## Im Würgegriff
In Paarszenen von Mann und Frau ist das Verhältnis gespannt, bedrückt. In
dem Aquarell „Ausweg“ (um 1930) führt der ältere Mann im Mantel die junge
Frau im Badekostüm wie ein Schmuckstück aus, ihre missmutigen Mienen nehmen
sich nichts. Auf dem Blatt „An der Wiege“ legen er und sie je eine Hand auf
das Kinderbett wie auf ihren neuesten Besitz, doch die zweite Hand des
Vaters ruht schwer auf ihrer Schulter, es ist ein Ansatz zum Würgegriff.
Die Härte ihres Strichs, konkret mit dem Bleistift und metaphorisch, zeigt
sich in einer Reihe von Bleistift-Porträts, von denen es Hunderte gibt.
Stellt man sich die Bewegung des Zeichnens vor, denkt man sich die Striche
kurz, entschieden, aggressiv. Der analytische Blick der Zeichnerin trifft
die Mitglieder eines Aktzeichenkurses, den Mammen besuchte, vor allem an
den Teilnehmern als Modellen ist sie interessiert. So entsteht eine Serie
von Gesichtern, angespannt, grüblerisch, misstrauisch.
Es ist keine Freundlichkeit in der Welt, wie Mammen sie protokolliert. Die
Zeichnungen waren Übungen, einzelne Figuren tauchen in den selteneren
Ölbildern, auch von sozialkritischen Szenen, wieder auf. Aber die vielen
Blätter haben auch etwas von ständiger Auseinandersetzung mit der sozialen
Umgebung und sie sich auf Abstandhalten zugleich.
## Rückzugsort Atelier
Mit Modezeichnungen und Illustrationen verdiente Jeanne Mammen ihren
Lebensunterhalt und sie war mit ihren freien Arbeiten als Künstlerin
erfolgreich, bis mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten die
Zeitschriften, die ihre Auftraggeber waren, ihr Erscheinen einstellten. Mit
Hans Uhlmann verkaufte sie Bücher auf einem Handkarren. 1932 war sie mit
ihm nach Moskau gereist. Ausgestellt ist die Deutsche Zentralzeitung, eine
deutsche Ausgabe der Prawda, für die Mammen nach der Reise Szenen aus dem
Leben von Arbeitslosen in Deutschland illustriert hatte.
Vom öffentlichen Kunstbetrieb ausgeschlossen, arbeitete Jeanne Mammen
gleichwohl weiter, setzte sich mit Picassos „Guernica“ auseinander. Ihr
Malstil veränderte sich, er ging durch eine Picasso-Rezeptionsphase.
Bildflächen verschließen sich; abstrakte Formen vereinzeln sich zu
Chiffren. Überall scheint der Ausdruck zusammengepresst, das noch Sagbare
auf dünne Fragmente beschränkt.
Großartig ist in der Ausstellung eine Gruppe von Skulpturen aus Gips,
Wellpappe und Ton, die maskenähnlich bemalt sind und stilistisch Vor- und
Nachkriegsmoderne verbinden. Das Erstaunlichste aber ist, wo und wie sie
entstanden sind: in ihrem ausgebombten Atelier am Ku’damm, ohne Strom, ohne
Licht, ohne Fenster hat Mammen daran gearbeitet.
## Sich gegen die Zuordnungen wehren
Sich mit der Kunst am Leben festzuhalten, das ist das eine Element des
Widerständigen in diesen Arbeiten aus den Kriegs- und unmittelbaren
Nachkriegsjahren. Sich gegen die Ideologisierung der Kunst im Streit von
Figuration gegen Abstraktion zu wehren, sich den Zuordnungen zu entziehen,
die den vermeintlich im Gegenständlichen gefesselten Osten gegen den zum
Ungegenständlichen befreiten Westen ausspielen, ist eine weitere Form des
Beharrens auf dem Eigenen im Werk von Jeanne Mammen.
Annelie Lütgens hat in einem großen Raum ihr Spätwerk ausgebreitet, als die
Malerin schon siebzig, achtzig Jahre alt war. Es gibt Bilder, die erzählen
vom Zweifel am Malen, an der Kommunikationsfähigkeit der Kunst. Symbole
sind durchgestrichen, anderes scheint weggedrückt unter den Oberflächen.
Man weiß von ihr, dass sie viele der eigenen Bilder wieder vernichtet hat,
nicht überzeugt von ihrer Aussagefähigkeit. Die Bilder, die blieben,
bezeugen diesen Kampf zwischen Formwerden und Rückzug.
Dann wieder experimentiert sie mit den Oberflächen, arbeitete glänzende
Staniolpapierchen (von Süßigkeiten) ein und schwarze Pappkäfer. Einerseits
gibt es eine Freude am Trivialen und Spielerischen in diesen Bildern,
andererseits ein Öffnen des Raums ins Universale und Kosmische. Das hätte
sie mit anderen Künstlern der sechziger/siebziger Jahre verbinden können –
aber ihr Spätwerk wurde kaum noch ausgestellt. Es ist auch ein Zeugnis
einer großen Einsamkeit.
12 Oct 2017
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Berlinische Galerie
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Emanzipation
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Käthe Kollwitz
Geschlechterkampf
Emanzipation
Ausstellung
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