# taz.de -- Fotografie im Oldenburger Kunstverein: Rückkehr nach Damme | |
> Im vergangenen Jahr reiste Heidi Specker an den Ort, an dem sie | |
> aufgewachsen war. Ihre Fotos davon gibt es nun als Ausstellung und Buch. | |
Bild: Detail aus Heidi Specker, Jungs, 2019 | |
Der Oldenburger Kunstverein liegt am Dammweg. Jetzt zeigt er eine | |
Ausstellung mit dem Titel „Damme“. Wer sich im südlichen Niedersachsen | |
auskennt wie die Fotografin Heidi Specker, um deren Ausstellung es sich | |
handelt, der weiß, dass es sich bei Damme um eine bäuerliche Ortschaft | |
handelt, mit nicht einmal 20.000 Einwohnern. Hier wurde Heidi Specker 1962 | |
geboren und hier wuchs sie auch auf. | |
Weiß man dies aber nicht, ist man schnell versucht, das Geheimnis des | |
Titels ergründen zu wollen. Schließlich geht es hier um Kunst. Handelt es | |
sich um ein seltsames Wortspiel? Kommt Damme aus dem Französischen und | |
wurde ein m hinzugefügt und ein Akzent amputiert? Oder geht der Titel | |
vielleicht auf holländische Städtenamen zurück? | |
Es ist einigermaßen ernüchternd, stellt man dann fest, dass der Titel eben | |
nur diese kleine Gemeinde bezeichnet und dass man ihn spricht, wie man ihn | |
schreibt, mit Doppel-m und hinten einem e. Der Titel ist dann ganz einfach, | |
er ist faktisch und operativ, ohne ästhetisch doppelten Boden. | |
In ihrer Ausstellung umkreist Heidi Specker also den Ort, an dem sie | |
aufgewachsen ist. Heute lebt sie in Berlin und Leipzig, ihre Arbeiten zeigt | |
sie in New York. Mit der fotografischen Herangehensweise an einen Ort, der | |
ihr einmal alles war, und heute, rund vierzig Jahre später, so unendlich | |
fern erscheint, verhält es sich wie mit dem Titel. Es muss da etwas sein! | |
Aber was nur und wo? | |
## Die Poesie der Kindheit | |
Die gesamte Moderne hindurch, von Marcel Proust bis Walter Benjamin, wurde | |
uns erzählt, dass die Orte unserer Kindheit und Jugend voll von Magie und | |
Poesie seien. Mag sein, dass eine innerliche, gut gepflegte Erzählung das | |
von Zeit zu Zeit bestätigt. Was aber, wann das Faktische eines solchen | |
Ortes hereinbricht? Das Faktische eines Ortes wie Damme, eines Ortes, so | |
gewöhnlich, mit Doppel-m und e am Ende? | |
Heidi Specker reiste also im vergangenen Jahr [1][nach Damme], quartierte | |
sich dort in einem ehemaligen Kloster ein und blieb den Sommer über vor | |
Ort. Sie suchte die Plätze auf, die ihr vertraut waren und fotografierte | |
aus der widersprüchlichen Position einer Vertraut-Fremden. Ihre Nähe zum | |
Ort scheint erinnert, ihre Distanz zum Ort scheint erlebt. Diese Spannung | |
prägt nun ihren Blick. | |
In ihrer Ausstellung argumentiert Specker in Bildgruppen. In einer Reihe | |
hängen mehrere Aufnahmen aus einer Tanzschule. Zu sehen sind Frauen, von | |
der Hüfte abwärts. Alle stecken in billigen Jeans mit irgendwelchen | |
modischen Merkmalen, Aufnähern und Bleichstellen, die um das Jahr 2000 | |
herum ganz groß gewesen sein müssen. Specker zeigt, wie die Menschen in | |
Damme sich vergnügen, ohne es groß zu skandalisieren oder die Menschen zu | |
desavouieren. Nein – die Tanzstunden in diesen Kleidern gehören zu den | |
Vergnügungen dieser Gemeinde. | |
Einen großen Raum in ihren Damme-Porträts nehmen Momente der sommerlichen | |
Schützenfeste ein: die schlummernden Bierwägen, die blau-weißen Fahnen, die | |
Hände auf den bronzenen Klappen der Blasinstrumente. Man könnte diese | |
Welt dörflicher Vereinsfreuden sicherlich sehr viel polemischer | |
fotografieren. Das Problem wäre bloß, dass dann von der ganzen Dammer Welt | |
nichts mehr bliebe. | |
## Die Ödnis monokultureller Landschaften | |
Und so schafft es Heidi Specker einerseits das Elend des Dorflebens zu | |
zeigen, ihm gleichzeitig aber auch Momente der Schönheit abzutrotzen. Denn | |
auf den Klappen des Schützenmarschinstruments ruhen die Hände von Kindern, | |
die sich in ihrem dunklen Teint, gemeinsam mit dem Glanz des | |
Blasinstruments und dem Blau der Jacke zu einem sehr angenehmen Bild | |
zusammenfügen. | |
Ähnlich verhält es sich bei einer Reihe von Naturaufnahmen, von Bäumen, | |
Feldern und Ästen über Schindeldächern. In den monokulturellen | |
Landschaften, deren Ödnis auf anderen Bildern sehr deutlich wird, entdeckt | |
Specker schöne, träumerische Momente: der Schattenwurf von Ästen, das | |
Schimmern von Blättern in einem Teich. Die Bilder sind hier niemals als | |
einzelne Bilder zu sehen, sondern als Teil einer kleinen Welt, die einfach | |
und dann doch so schwierig zu erfassen ist. | |
Am schönsten sind natürlich jene Bilder aus Damme, die über Damme | |
hinausweisen, Schwalben am Himmel, in Pfeilformation zum Beispiel. | |
Besonders auffällig ist aber, dass Heidi Specker in ihrer Arbeit oft | |
Schulkinder porträtiert hat. Darunter befindet sich auch die Aufnahme einer | |
Schülerin: Vor einer orangen Wand sieht man sie quasi als Büste, sie | |
schreibt über den Tisch gebeugt in einem grauen Kapuzenpullover mit dem | |
aufgestickten Schriftzug „NASA“. Weiter raus aus Damme geht gar nicht mehr, | |
aber immer bleibt Damme doch die Voraussetzung für dieses zukünftige Raus. | |
Im Fotobuch zur Ausstellung findet sich dann ein Bildanhang, der über die | |
Erfahrung des so vertrauten wie fremden Dammer Sommers hinausweist. Er | |
enthält ein Bild aus dem Fotoalbum der Familie Specker und zeigt die | |
Fotografin als Kind mit ihrem Vater vor einem ihrer Schweine. | |
## Bauerndemonstration in Berlin | |
Das Kind fürchtet sich vor dem Tier, der Vater hält es mit der Hand auf | |
Distanz. Dieses Bild, das in den 60er Jahren aufgenommen wurde, sperrt sich | |
gegen Speckers heutige Bildererzählung. Es mag eines jener Bilder sein, | |
denen sie im vergangenen Sommer versuchte, vor Ort nachzuspüren. | |
Eine andere Aufnahme, die sich in diesem Anhang befindet, hat der mit | |
Specker befreundete Autor Kito Nedo im vergangenen Jahr im Tiergarten in | |
Berlin aufgenommen. Es zeigt eine Bauerndemonstration, die endlose Reihe | |
mächtiger Traktoren, mit denen die Demonstrierenden die Hauptstadt | |
stilllegen. Heidi Specker wird ihr Herkommen nicht los und fragt in einem | |
Kommentar zum Bild, welche Trecker wohl aus Damme kommen. | |
19 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Damme_(D%C3%BCmmer) | |
## AUTOREN | |
Radek Krolczyk | |
## TAGS | |
zeitgenössische Fotografie | |
Dorfleben | |
Landwirtschaft | |
Berlin Ausstellung | |
Fotografie | |
zeitgenössische Fotografie | |
Porträt | |
Sammlung | |
Hamburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Porträts von Rineke Dijkstra in Berlin: Flüchtige Identitäten in achtzig Bil… | |
In der Berlinischen Galerie sind die Fotografien von Rineke Dijkstra zu | |
sehen. Sie zeigen ein zärtliches und aufrührendes Portrait des Menschen. | |
Fotobuch zur Komischen Oper Berlin: Wundersame Readymades | |
Kurz vor deren Sanierung fotografierte Heidi Specker die Komische Oper | |
Berlin. Ihre Aufnahmen verführen dazu, die Geschichte des Hauses | |
mitzudenken. | |
Fotoband „Das weiße Pferd“: Rückblick auf Milieu-Fotografen | |
Peter Dammann knipste Fotos aus allen Winkeln der Erde. Mit „Das weiße | |
Pferd“ veröffentlicht seine Witwe nun eine Retrospektive in Buchform. | |
Porträtkunst in Zeiten von Instagram: Wo der Selfie-Stick nicht reicht | |
Zeigen, was ist: Dokumentarische Porträt-Kunst in der Pinakothek der | |
Moderne setzt einen Kontrapunkt zur Selfie-Kultur auf Instagram. | |
Sammlung italienischer Fotografinnen: Staubsaugen und Subversion | |
Terrorbräute, Mafia, Dolce Vita, Riten und Religion: Alles zu sehen in der | |
Ausstellung „Resistance & Sensibility“ im Fotografie Forum Frankfurt. | |
Ausstellung über Amateurfotografie: Von Zufällen und Spleens | |
Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigt einen Querschnitt durch | |
100 Jahre Amateurfotografie vom Bauhaus bis zu Instragram. |