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# taz.de -- Gerhard-Richter-Ausstellung "Panorama": Meisterhaft, aber kein "Alt…
> Gerhard Richter ist zu dem "Alten Meister" geworden, der er nie sein
> wollte. Die Ausstellung "Panorama" in Berlin gibt einen Überblick über
> sein Lebenswerk.
Bild: Jedes der 130 Gemälde (hier "Betty") und jede der fünf Skulpturen durch…
Alte Meister. Was für ein Wort. Wer sich an die Ehrfurcht gebietende
Vokabel erinnert, mit der eigentlich die religiösen Maler des 14. bis 18.
Jahrhunderts bezeichnet wurden, reibt sich verwundert die Augen, wie nun
ausgerechnet ein Maler wie Gerhard Richter in diesen zwiespältigen Rang
erhoben werden konnte.
Gut, der Künstler ist inzwischen 80 Jahre alt geworden. Doch sieht man von
dem Geburtsjahr 1932 ab, prasselte das wurmstichige Prädikat in der
vergangenen Woche ausgerechnet auf einen Mann ein, der so ziemlich das
genaue Gegenteil von einem dieser Meister ist.
So sehr wollte er "so sein, wie alle sind". Deshalb unterläuft er mit
fröhlicher Lakonie jede Bohemien- oder Genieprojektion. Als seine frühere
Frau, die Bildhauerin Isa Genzken, 1983 einen ihrer glänzenden Hyperbolos
"Meister Gerhard" nannte", war das ironisch gemeint. Warum ihn also zu
einem "Meister aus Deutschland" erhöhen?
In seiner Skepsis der allzu hohen Kunst gegenüber gleicht Richter eher dem
Protagonisten in Thomas Bernhards Roman "Alte Meister", der nur deshalb
jeden Tag in Wiens Kunsthistorisches Museum geht, um sich seiner Abneigung
gegen die "Alten Meister" zu versichern. Fast wortgleich wie dieser wütende
Reger formulierte Richter einmal: "Ich glaube nicht an das absolute Bild,
es kann nur Annäherungen geben, immer und immer wieder Versuche und
Ansätze."
Natürlich ist Richter kein Bilderstürmer. Immer wieder finden sich in
seinem Oeuvre Referenzen an die Kunstgeschichte. Etwa, als er 1973 die
"Verkündigung nach Tizian" malte. Es sind solche Bilder, bei deren
andächtiger Betrachtung das Publikum den Glauben an die Malerei
wiederfinden will. Um dann doch feststellen zu müssen, dass es kaum
jemanden gibt, der alle Erwartungen an dieses Genre so zielstrebig
enttäuscht wie sein Schöpfer. Und dem jede Amateurfotografie, wie er mal
sagte, näher ist als Cezanne, für dessen modernen Wiedergänger ihn heute
viele halten.
## Eine Kette von Verweigerungsgesten
Die Ausstellung "Panorama" in der Nationalgalerie lässt sich als eine
einzige Kette solcher Verweigerungsgesten lesen. Die nach den Anfängen des
gebürtigen Dresdners als gelernter "Schildermaler" in der DDR und unter dem
Einfluss des Informel im Nachkriegswesten zu dem "Urknall" des Jahres 1962
führte. In dem Richter das - selten gezeigte - Bild "Tisch" malte. Sein
Motiv löste er damals aus einer Laune mit einer Nitroverdünnung zu einer
Wolke grauer Schlieren auf. Der Grundstein für seine charakteristische
Technik, die "verwischten" Bilder, war gelegt.
Seitdem geht es Schlag auf Schlag. Richter führt banale Motive in die Kunst
ein. Wie 1965, als er eine "Klorolle" in Schwarz-Weiß malte. Und er räumt
dem ärgsten Gegner der Malerei den Ehrenplatz im Bild frei: der Fotografie.
Denn die Klorolle ist ebenso nur dem Foto des Alltagsgegenstandes
nachempfunden wie der bunte Blumenstrauß 26 Jahre später.
Die sanfte Verwischung, die die Bilder wahlweise romantisch oder
impressionistisch wirken lassen, ruft diesen medialen Kontext auf. So
versetzt er Gegenwart und Geschichte in jene berühmte Unschärferelation,
bei der am Ende nur noch Zweifel bleibt: der nämlich, dass sich beide
erkennen, gar zeigen ließen.
Zielstrebig unterläuft Richter jede Konvention. Mit tristem Grau hält er
den Betrachter emotional auf Distanz und egalisiert seine Motive.
Von der Entscheidung für Farbe sollte man sich nicht einlullen lassen. Das
Bild seiner Tochter Betty aus dem Jahr 1988 gibt - porträtuntypisch - wenig
von der damals 11-Jährigen preis. So wie sie dem Betrachter den Rücken
kehrt. Trotzdem ist das Bild bei Kunstliebhabern zu einem der zehn
beliebtesten Motive der Kunstgeschichte avanciert. Kaum jemand, der dabei
nicht an Vermeer denkt.
## Zufall statt Komposition
Der Maler zieht den Zufall der Komposition vor. Die 192 nach einem
Zufallsprinzip auf der Leinwand angeordneten Farbfelder aus dem Jahr 1966
zeigen Bild und Farbe als Raster, zusammengesetzt aus industriellen Fertig-
und Massenprodukten. Und auch seine abstrakten Bilder, die seit 1976
folgen, entstehen bei einem schwer planbaren Verfahren aus Kreieren und
Zerstören. Mit der selbstherrlichen Geste der Abstrakten Expressionisten
haben sie nichts zu tun.
Wie eine geistige Klammer hält diese Zerlegung des Bildes in eine
nüchterne, unkommentierte, antiillusionistische Polychromie Richters im
Mies-Bau ausgebreitetes Werk zusammen. Um den neu gebauten
Ausstellungsparcours läuft als Fries, zum ersten Mal öffentlich gezeigt,
Richters Werk "4900 Farben" von 2007: 196 quadratische Tafeln, die wiederum
aus 25 verschiedenfarbigen, zufällig angeordneten Emaillequadraten
bestehen.
Udo Kittelmann, Chef der Nationalgalerie, und Dorothée Brill, die
Kuratoren, hätten Richters Oeuvre nicht als chronologische Meistererzählung
inszenieren müssen. Denn vor allem der 4900er-Fries erschließt den roten
Faden, der jedes der 130 Gemälde und jede der 5 Skulpturen durchzieht: die
Frage nach der Darstellbarkeit der Welt. Die Frage: Was ist ein Bild?
Der Kunsthistoriker Hubertus Butin, der im Berliner me Collectors Room eine
aufschlussreiche Schau von Richter-Editionen zusammengestellt hat, hat
nicht ganz unrecht mit seiner These, dass die Drucke von Richters Bildern
seiner malereikritischen Position oft näher kommen als die Originale. Schon
weil sie des letzten Restes der sinnlichen Materialität entbehren, die
einem malereikritischen Ölbild immer noch eignet.
Die Ausnahme von der Regel der Metamalerei ist der "Oktober-Zyklus". Dass
Kittelmann die 15 Tafeln aus dem Jahr 1987, die heute in New Yorks MoMA
hängen, in der Alten Nationalgalerie platziert hat, rückt Richter zwar
wieder an die Alten Meister. Aber zwischen der "Verkündigung" des
Nazareners Julius Schnorr von Carolsfeld und dem Porträt der jungen
Heinrike Dannecker mit der Jakobinermütze von der Hand des Klassizisten und
David-Schülers Gottlieb Schick, mitten in der Galerie der Romantik, die der
deutschen Nation geistig den Weg bahnte, hat diese Warnung vor der
zerstörerischen Macht der Ideologien einen Platz gefunden, der den
Historienstreit geradezu körperlich provoziert.
## Selbstbefragung der Malerei
Richters eigentlicher Diskurs jedoch ist die Selbstbefragung der Malerei -
im Medium der Malerei. So radikal, wie er diese piktoriale
Grundlagenforschung durchexerziert, hat er dem Genre viel von dem Terrain
zurückgewonnen, das spätestens seit dem 19. Jahrhundert, dem Aufkommen der
Fotografie, verloren schien. Ohne in den mal coolen, mal schwülstigen
Realismus zurückzufallen, mit dem die neue Malerei von Neo Rauch bis
Matthias Weischer oft so schwer geschlagen ist.
Das Oeuvre des Kölner Künstlers ist vermutlich eine der wenigen
"Dekonstruktionen" der Kunstgeschichte, die das zeitgenössische Publikum so
süchtig macht, wie es seinen Vorgängern 300 Jahre zuvor mit ihren
vollendeten Illusionen gelang. Ganz darum herum, zumindest diese
bezwingende Dialektik "meisterhaft" zu nennen, wird man wohl doch nicht
kommen.
Gerhard Richter: "Panorama". Neue Nationalgalerie, Berlin. Noch bis zum 13.
5. 2012. Katalog, Prestel, 304 Seiten, 29 Euro
Gerhard Richter: "Editionen 1965 bis 2011". me Collectors room, Berlin.
Noch bis zum 13. 5. 2012
15 Feb 2012
## AUTOREN
Ingo Arend
Ingo Arend
## TAGS
Hamburg
Claude Lanzmann
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