# taz.de -- Ausstellung „Alles Kneten“ in Hamburg: Freude am Rummatschen | |
> Mit der Ausstellung „Alles Kneten“ untersucht das Hamburger Museum für | |
> Kunst und Gewerbe Knetmasse in Kunst, Spiel und Technik. | |
Bild: Spezialisiert auf Knetmassenkunst: Izabela Plucinskas Claymationfilm „7… | |
HAMBURG taz | Ein hübscher Einstieg: Noch vor den eigentlichen | |
Ausstellungsräumen wartet eine Vitrine, in der zwei winzige Figuren zu | |
sehen sind. Ein Reiter und ein Mann mit einem nicht genau erkennbaren | |
Werkzeug. Die Figuren stammen aus zyprisch-archaischer Zeit, 7. oder 6. | |
Jahrhundert vor Christus, frühe Zeugnisse der Verformung von Ton mittels | |
Wasserzugabe, Kultobjekte vielleicht, Grabbeigaben oder Spielzeug. Zum | |
Start der Ausstellung „Alles Kneten. Metamorphose eines Materials“ im | |
Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe stellen sie jedenfalls klar: Was | |
hier verhandelt wird, ist etwas, das weit über das reine Spiel hinausweist. | |
Und wie zur Bekräftigung erinnert ein Text an den Mythos von Prometheus, | |
der den Menschen angeblich aus Lehm und Wasser geformt habe. Ganz große | |
Hütte, diese Knetmasse. | |
Ein Raum weiter aber wartet das Gegenmodell. Hier wird gespielt, an einem | |
langen Tisch lassen sich Knetfiguren formen, Krümelmonster, Handys, eine | |
ganze Reihe Rüsselwesen. Der Werktisch im zentralen Raum jedenfalls ist | |
eine gute Idee, die das Thema einerseits erdet, andererseits auch den | |
eigentümlichen Reiz der Knete erlebbar macht: die haptische Erfahrung | |
weichen, formbaren Materials in den Händen, die Befriedigung, die bei | |
eigenem kreativem Schaffen entsteht. Und nicht zuletzt eine Freude am | |
Rummatschen, die jenseits der Ausstellungskonventionen existiert. | |
Die Konvention ist dagegen: Knete als Material für seriöse Kunstproduktion. | |
Die Ausstellung, die vom Gewerbemuseum Winterthur nach Hamburg gewandert | |
ist, beschreibt das mit Fokus auf popkulturellen Phänomenen: Knete im | |
Animationsfilm, Knete in Musikvideos, Knete im Computerspiel. | |
Natürlich, hier ist auch Erwartbares zu sehen: das ikonografische Video, | |
das Stephen R. Johnson (Regie) und Richard Goleszowski (Animation) 1986 für | |
Peter Gabriels „Sledgehammer“ drehten; Nick Parks „Shaun das Schaf“; | |
„Pingu“, der wahrscheinlich bekannteste popkulturelle Export der Schweiz. | |
Allerdings bieten diese Mainstream-Fixpunkte auch immer wieder Gelegenheit, | |
den Blick zur Seite zu lenken: auf das Playstation-Spiel „Skullmonkeys“ | |
etwa, dessen Spielewelt konsequent in Knetoptik gehalten ist. Oder auf Beni | |
Bischofs Plattencover-Verfremdungen, von denen Knetversionen Art Garfunkels | |
oder Iggy Pops einen beunruhigend angrinsen. | |
Der Filmteil erweckt mit Stepan Kovals „Straßenbahn Nr. 9 fährt“ (2002), | |
Garri Bardins „Der graue Wolf und Rotkäppchen“ (1990) und „Warm snow“ … | |
in Moskau aufgewachsenen, heute in Israel lebenden Ira Elshansky den | |
Eindruck, dass Knetanimationen vor allem im (post-)sowjetischen Film ein | |
wichtiges Thema gewesen sind. Ob das allerdings tatsächlich zutrifft oder | |
ob hier schlicht selektiv kuratiert wurde, verrät einem die Ausstellung | |
nicht. Ein Schwachpunkt. | |
Oder: Ein Plastillinblock verdeutlicht die experimentelle Animationstechnik | |
Strata Cut, die beispielsweise für Peter Gabriels „Big Time“-Musikvideo | |
verwendet wurde; wie die hochkomplexe Technik allerdings tatsächlich | |
funktioniert, bleibt unklar. | |
Schön allerdings die Knetkunstwerke von Henrik Jacob: Das Gemälde „Bodyman | |
1“ (2012), bei dem Knetmasse-Punkte einen impressionistischen Eindruck | |
erwecken. Oder die monumentale Installation „Café Deutschland | |
International“ (2015), die wie eine Bühneninstallation eine Berliner | |
Eckkneipe in verstörend dunkler Knete nachahmt. | |
Eine ähnliche Verstörung provoziert auch die Fotoserie „Dark Movies“ | |
(2006/07) von Una Szeemann und Bohdan Stehlik: Stills ikonografischer | |
Filmszenen, nachgestellt mit schwarzer Knete. Ein eine Freitreppe | |
herabrollende Kinderwagen wirkt erschreckend, egal ob er aus Knete besteht | |
oder in aus Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ zu sehen ist – | |
ausschließlich nett, lustig, spielerisch ist „Alles Kneten“ eben nicht. | |
In einem dritten Schritt beleuchtet die Ausstellung schließlich Knete als | |
Material in Industrie, Handwerk und Technik – eine Studie zu einem | |
Sportwagen, Vorstudien für Maskenbilder. Das ist weit weniger spannend als | |
der Kunstbereich, allerdings schafft es die Ausstellung so vorbildlich, den | |
Grundcharakter eines Kunstgewerbemuseums zu zeigen, indem sie die Brücke | |
zwischen den Disziplinen Kunst und Gewerbe schlägt. Und diese Brücke | |
besteht aus Wasser, Öl, Stärke, Wachs und Farbpigmenten, aus: Knetmasse. | |
14 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Falk Schreiber | |
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