# taz.de -- Fotoausstellung in Hamburg: Skeptische Blicke | |
> Die Schau „Wolfgang Schulz und die Fotoszene um 1980“ sucht jenen Moment, | |
> an dem Fotografie zu Kunst wurde. Dabei geht sie teils zu dogmatisch vor. | |
Bild: Unterwasser-Gruppenportrait (Salzburg College Photo Students), Vigaun bei… | |
Drei Kinder im Auto. Skeptische Blicke durch die Frontscheibe, auf dem | |
glänzenden Lack spiegelt sich ein Vogelschwarm in den Lüften. „Vogelauto“ | |
heißt Verena von Gagerns Aufnahme, erschienen 1978 in der siebten Ausgabe | |
von Fotografie. Zeitschrift internationaler Fotokunst, die zwischen 1977 | |
und 1985 von Wolfgang Schulz herausgegeben wurde. Stille Studien hat von | |
Gagern hier erstellt, Schwarz-Weiß-Kompositionen zwischen Licht und | |
Schatten, zwischen Stillstand und Bewegung, in denen immer wieder | |
Spiegelungen für latent beunruhigende Desorientierung sorgen – tatsächlich | |
eine ganz eigene fotografische Ästhetik, der von einer (heute praktisch in | |
Vergessenheit geratenen) Zeitschrift zum Durchbruch verholfen wurde. | |
Die Ausstellung „Wolfgang Schulz und die Fotoszene um 1980. Fotografie neu | |
ordnen“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe interpretiert Schulz’ | |
herausgeberische Tätigkeit als wegweisend für die Anerkennung der | |
Fotografie als eigenständige Kunst. Was ein wenig hoch gegriffen ist – für | |
solch einen Einfluss erschien Fotografie zu kurz und in zu geringer | |
Auflage, auch das Verschwinden der Zeitschrift ab Mitte der Achtziger | |
spricht gegen eine Vorreiterrolle von Schulz. | |
Allerdings erschien Fotografie zur genau richtigen Zeit: Ab 1976 hatte | |
Bernd Becher eine Professur für Fotografie an der Kunstakademie Düsseldorf | |
inne und sorgte gemeinsam mit seiner Frau Hilla für eine | |
Institutionalisierung der Gattung. 1977 prägten multimediale Positionen die | |
Kasseler documenta, spätestens ab 1980 spezialisierten sich wichtige | |
Galerien auf Fotokunst. Schulz schob diese Entwicklung nicht direkt an, | |
aber er ließ sich von ihr tragen. Weswegen die 40 Fotografie-Hefte | |
tatsächlich als Chronik der Fotoszene um 1980 gelesen werden können, | |
wohlgemerkt: der westdeutschen Fotoszene. Dass die Fotokunst jenseits der | |
deutschen Grenzen zu diesem Zeitpunkt schon viel weiter war, verschweigt | |
der Ausstellungstitel. | |
Problem: Schulz setzte streckenweise ein dogmatisches Konzept durch. Die in | |
Fotografie gezeigten Künstler waren erstens hauptsächlich Männer (dass von | |
147 Portfolios gerade mal 24 von Fotografinnen stammen, wird auch in der | |
Ausstellung problematisiert), vor allem aber ist die Zeitschrift geprägt | |
von einer sehr engen Ästhetik. Farbfotografie etwa ist massiv | |
unterrepräsentiert, was einerseits daran lag, dass Schulz hier die | |
erheblich höheren Druckkosten nicht stemmen konnte, andererseits an seinem | |
persönlichen Geschmack, für den Farbe der verabscheuten Werbefotografie | |
vorbehalten blieb. Deutlich wird das bei Schulz’ eigenen Fotoarbeiten: | |
strengen, konzentrierten Serien in Schwarz-Weiß. „Unterholz“ (um 1982) | |
verliert sich im Gewirr und Geflecht von Ästen und Wurzeln, „Scheunen“ (um | |
1980) lebt von mathematisch anmutenden Linienführungen, „Dinge und Formen“ | |
(um 1980) zeigt nüchtern einen Türknauf, einen Handlauf, eine Stuhllehne. | |
Nichts lenkt hier von der klaren ästhetischen Setzung ab, selbst die | |
explizite Sexualität, die bei zwei, drei Aufnahmen der Serie | |
„Aktfotografien“ (um 1980) auftaucht, ist Ding und Form. | |
## Diese strenge, protestantische Ästhetik | |
Wer sich ähnlich wie Schulz auf Ding und Form konzentrierte, der hatte es | |
bei einer Veröffentlichung in Fotografie zweifellos leichter. Umso | |
spannender sind die Arbeiten, die diese strenge, protestantische Ästhetik | |
hinter sich lassen: Dagmar Hartigs farbige Stilleben aus der Serie „Plastic | |
World“ (1980–86), die mit ungewohntem Pop-Appeal irritieren. Andreas | |
Horlitz’ konzeptionell orientierte Serie „Essen, Frühling 1981“, die vor | |
Einsamkeit schreiende Nachtaufnahmen der Großstadt mit abfotografierten | |
TV-Bildern kombiniert. | |
Nicht zuletzt Miron Zownirs Fotoreportage „New York“ (1980–83), teils | |
schockierende, teils in ihrer Intimität berührende Aufnahmen aus der | |
queeren SM-Szene, deren Drastik zwar einen Zug ins Kolportagehafte hat, die | |
aber durch ihre handwerkliche Genauigkeit ikonografische Qualitäten | |
gewinnt, die die Serie bis heute populär machen. | |
Besonders umfangreich ist die Ausstellung nicht: ein Flur mit Schulz’ | |
eigenen Bildern, drei Räume mit ausgewählten Fotografien, dazu kommen zwei | |
Videos, in denen ehemalige Fotografie-Mitarbeiter interviewt werden, das | |
ist alles. Fast. Denn die Schau präsentiert alle 40 Fotografie-Ausgaben | |
virtuell. Man blättert also an einem Bildschirm durch die Hefte und sieht | |
die gezeigten Aufnahmen so in ihrem eigentlichen Umfeld. | |
Das ist die Ausstellung eben auch: die museale Präsentation von Fotokunst, | |
die ihre Wirkung vor 40 Jahren bei der Publikation in Zeitschriftenform | |
entfaltete. Genuin musealen Charakter hat hier ausschließlich Dörte | |
Eißfeldts Dia-Ton-Installation „Dunkelrücken“ von 1986. Aber die steht ja | |
auch jenseits des „Fotoszene um 1980“-Mottos, das die Schau eher eingrenzt, | |
als wirklich eine Entwicklung deutlich zu machen. | |
16 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Falk Schreiber | |
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