# taz.de -- Projekt des „Impulse“-Theaters: Störung des Konsums | |
> Jede Stadt hat berüchtigte Plätze, nicht immer stimmen Image und | |
> Wirklichkeit überein. KünstlerInnen untersuchen empfindliche Orte in | |
> Köln. | |
Bild: Kunst? „Geschmacklos“, tobt die Brauerei, „Verharmlosung“, entrü… | |
KÖLN taz | RTL, Bild-Zeitung, WDR und Express sind schon da. Mitten auf dem | |
Kölner Neumarkt, wo sonst die Junkies über den Platz schlurfen, haben | |
Journalisten Mikros und Kameras gezückt. Nur wenige Schritte von der | |
Schildergasse entfernt, Epizentrum des entfesselten Warenkonsums, haben die | |
österreichischen Künstler Alexandra Berlinger und Martin Wagner ein | |
Kölsches Wahrzeichen entweiht: jenes meterhohe „Reissdorf-Männchen“, das | |
am Rudolfplatz als Neon-Leuchtreklame einer Kölsch-Brauerei zum Biertrinken | |
auffordert, setzt sich als fröhlich blinkende Figur am Neumarkt nun eine | |
Spritze. | |
„Geschmacklos“, tobt die Brauerei und plant laut Bild-Zeitung rechtliche | |
Schritte, „Verharmlosung“, entrüstet sich die Kölner Bürgerinitiative | |
„Zukunft Neumarkt“ und steht am Platz für Interviews bereit. Sie ist auch | |
verantwortlich für einen Teil jener „Konsumverhinderungsarchitektur“, die | |
rund um den Drogen-Umschlagplatz Neumarkt Treppenabgänge mit | |
Holzverschlägen umkleidet, mit Eisengittern absperrt – oder gar, wie die | |
Freitreppe am vor wenigen Jahren erst eröffneten | |
Rautenstrauch-Joest-Museum, mit einem Bauzaun zugittert: bloß keine | |
Aufenthaltsqualität schaffen für jene Szene, über die in Köln seit Jahren | |
erbittert diskutiert wird. | |
Gerade eben hat die Bürgerinitiative einen von der Stadt geplanten | |
zentralen Drogenkonsumraum verhindert, auch der mobile Kompromiss existiert | |
momentan nicht mehr – die Drogensüchtigen drücken, handeln, schlafen | |
weiterhin öffentlich am Platz. Einige der Holzverschläge, die die Treppen | |
zu den Parkhäusern schützen, haben Berlinger und Wagner nun exakt | |
nachgebaut und präzise ironisch als „Konsumfreiräume“ markiert. Eine | |
Unverschämtheit, wahrlich, den Konsum harter Drogen mit dem exzessiven | |
Genuss der Kölner Droge schlechthin, dem Kölsch, in Verbindung zu bringen. | |
Doch den Künstlern geht es nicht darum, für Heroin zu werben, sondern | |
Räume, Grenzen und Widersprüche sichtbar zu machen. | |
Etwa jenen, wie mit der Architektur öffentlicher Räume Politik gemacht, | |
aber auch Verdrängung betrieben wird. Denn natürlich stört der | |
Drogenumschlagplatz empfindlich den Konsumfetischismus in Kölns größter | |
Einkaufsstraße nebenan, zu dem ganz zentral natürlich auch das Suchtmittel | |
Kölsch gehört. Welche öffentlichen Bilder prägen eine Gesellschaft? Und was | |
passiert mit jenen Szenen, die in die Unsichtbarkeit verschoben werden, | |
aber nicht dadurch verschwinden werden? | |
## „Angstraum Köln“ | |
Dass dies aber auch Gutes bewirken kann, erzählt die Prostituierte „Steffi“ | |
beim „Sex Drive“ (Regie: Natalie Ananda Assmann, Rana Farahani) auf Band, | |
während wir zu dritt von „Nicole“ im cremefarbenen Mercedes-Oldtimer durch | |
das Eigelsteinviertel gefahren werden, wo bis 2001 der Kölner Strich | |
verlief. Nun hat ihn die Stadt weit nach draußen, ins Niemandsland der | |
Geestemünder Straße verlegt, mit Duschen, Sozialarbeitern und Notrufknöpfen | |
– und das, so Steffi, sei ganz klar ein Vorteil, auch wenn das Verschwinden | |
aus dem öffentlichen Raum die Stellung der Sexarbeiterin in der | |
Gesellschaft nicht eben gehoben habe. | |
Kann man seine Tochter überhaupt noch allein nach Köln fahren lassen? Dort, | |
wo nicht nur Junkies mitten durchs Stadtzentrum spazieren – sondern in der | |
Silvesternacht 2015 junge Frauen massiven sexuellen Übergriffen durch | |
Männer mutmaßlich muslimischer Prägung ausgesetzt waren, was den Diskurs | |
über Geflüchtete in der Bundesrepublik nachhaltig drehte? | |
Wenn man selbst in Köln wohnt, erscheint diese Frage absurd, das | |
Eigelstein-Viertel ist hip, der Neumarkt ein belebter Platz wie andere | |
auch, Bahnhof und Domplatte haben sich seit 2015 zu hochkontrollierten | |
Räumen entwickelt. Doch das Imageproblem sei geblieben, erzählt Haiko | |
Pfost, seit 2018 Leiter des Festivals „Impulse“, das in diesem Jahr in | |
Düsseldorf Station macht – und die Stadt Köln mit einem monatelang | |
recherchierten Stadtraumprojekt und vier Künstlergruppen bespielt hat unter | |
dem Titel „Angstraum Köln“. | |
## Auf einmal ein so lichter, kühler, hellblauer Ort | |
Dass Angsträume konkreten Bedrohungslagen nicht entsprechen, sich medial | |
aber besonders schön hysterisieren lassen, glaubt jedenfalls Pfost, und | |
auch, dass sie der Idee von demokratisch geprägten, öffentlichen Räumen | |
zutiefst widersprechen. Wie subjektiv sie sind, untermauern auch Julian | |
Warner und Oliver Zahn, wenn sie zeigen, wie die Angst-Psychologie in | |
verschiedenen Zeiten wirkt. In ihrer Textcollage „Sexismus, Rassismus und | |
Nationalismus. Eine Probe“ tragen sie im Kölner Grüngürtel vor, wie schon | |
nach dem Ersten Weltkrieg die Angst vor dem Fremden geschürt wurde: „Junge | |
Mädchen sind von der Straße weggeschleppt worden, um der bestialischen | |
Wollust afrikanischer Wilden zu dienen“, steht auf Flugblättern gegen die | |
französische Besetzung des Rheinlands. | |
Doch da Theater den komplexen Problemlagen Kölns wohl vor allem mit | |
Kommunikation und Begegnung beikommen kann, geht es einen Tag später nur | |
wenige Kilometer weiter zum „Blind Date Islam“ in „Arslans Kebab“ in | |
Ehrenfeld. Konzeptioniert von der Regisseurin Antje Schupp mit dem | |
Islamwissenschaftler Stephan Milich, kann man da die kollektive sexuelle | |
Belästigung als Protest-Unterdrückungsinstrument in Ägypten ebenso | |
besprechen wie die neueste feministische Literatur aus arabischen Ländern. | |
Wir essen noch ein kühlendes Eis, bevor ich mich, ganzkörperbedeckt, mit | |
ihm in die große Ehrenfelder Moschee setze: so eine große Gottesstätte, | |
jahrelang in Köln aufs Heftigste umstritten – und nun auf einmal ein so | |
lichter, kühler, hellblauer und leicht zugänglicher Ort. | |
Warum und wie es zu den Übergriffen der Silvesternacht kam, weiß auch | |
Stephan Milich nicht, das BKA hat ihm dazu eine lange, nichtssagende E-Mail | |
geschickt. Aber eins erscheint nach dem Besuch des Moschee-Innenraums sehr | |
viel klarer: im Islam selbst liegt die Erklärung nicht. | |
21 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Marcus | |
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