# taz.de -- Künstlerin Amelie von Wulffen in Bern: Wider jeglichen Kunstkanon | |
> Die Kunsthalle Bern zeigt eine Schau der großen Malerin Amelie von | |
> Wulffen: „Hast Du schon House of Cards gesehen?“ Was soll das? | |
Bild: Lecker Eis und ein Klavier: Installationsansicht der Ausstellung Amelie v… | |
Das Arsenal an Geschmacks- und Vorurteilen kann man bald getrost in die | |
Ecke schmeißen. Klar: Der heimelig-kitschelnde Bauernschrank, den | |
Blütenranken wie auch Vorschaubalken der Netflix-Serienwelt zieren, das ist | |
ein schon über-treffendes Bild für die dauerhafte Weltflucht und den sich | |
ständig überlagernden Bilderreigen. Aber dann gehen dort sehr liebevoll | |
gearbeitete Kleinstskulpturen aus Muscheln und Steinen auf dem prächtigen | |
Steinsockel in Position, ein resignierter Apfel ist auch dabei. | |
Eine so offenherzige Aneignung der Nippessphäre bekommt man selbst im alles | |
approbierenden Kunstkontext doch eher selten zu sehen. In anderen Räumen | |
findet man ganze Beichtstühle oder das nur zaghaft bemalte Jugendbett der | |
Künstlerin, zwischen John Travolta, küssenden Geschwistern und zur Sünde | |
verführender Langnese-Eis-Werbung. | |
Amelie von Wulffens Schau mit dem Namen „Hast Du Schon House of Cards | |
gesehen?“, den die Kunsthalle Bern einem der präsentierten Gemälde | |
entliehen hat, überwältigt mit einem Bilderreichtum, der keine Angst hat, | |
auch einmal klein, gar niedlich daherzukommen. Es ist die bis dato größte | |
Einzelschau der 1966 geborenen Künstlerin, die sich, wie sie sagt, erst ein | |
bisschen „um die Malerei gedrückt“ hatte, war ihr diese doch in der BRD der | |
80er Jahre als „extrem muffige“ Angelegenheit erschienen, fernab dessen, | |
was sie selbst interessiert hätte. | |
Mit dem Umzug ins Berlin der neunziger und nuller Jahre wurde dann einiges | |
anders, die Zeit gilt als prägend für von Wulffens Kunst und ihre heutige | |
Positionierung in der einstigen Männerdomäne – zum Glück ihres Publikums, | |
sonst gäbe es eine Schau wie diese heute nicht. | |
Eine Retrospektive sollte es aber nicht werden: Das Gros der gezeigten | |
Malerei stammt aus den letzten vier Jahren, dazu gesellen sich Comics, | |
Miniaturen, bemalte Möbel jeglicher Provenienz, eine Engerlingskulptur und | |
einiges mehr, das hier auf rund 900 Quadratmetern aufeinandertrifft. | |
## Kein Unterschied zwischen hoher Malerei und Bad Painting | |
Das eigentlich Bemerkenswerte ist vielleicht, wie Amelie von Wulffens | |
Hierarchielosigkeit in digitalen Zeiten, in denen die Hierarchielosigkeit | |
der Bilder täglich aufs Neue proklamiert wird, überhaupt noch das Zeug zur | |
Verunsicherung in sich trägt. Wie die Malerin sich Stile und Formen | |
aneignet und die Sentiments, die damit verknüpft sind. Wie sie im Gesamten | |
wie auch im einzelnen Gemälde keinen Unterschied macht zwischen hoher | |
Malerei und Bad Painting, Jugendzimmermalerei, Bauernschrankmalerei, | |
Stadtmarketingmalerei, Hobbyausstellungsmalerei, Skizzenmalerei. | |
Es passt alles sehr gut und natürlich auch überhaupt gar nicht zusammen. | |
Immer wieder scheint es, als ob diese Szenerien im selben Moment so dicht | |
aneinanderrücken, wie sie sich zugleich sträuben, Bild zu werden. So zeugen | |
sie auch davon, was selbstverständlich immer gilt, worüber es der Kunst | |
aber oft galant hinwegzutäuschen gelingt: Was ein Kraftakt, ein Bild zu | |
schaffen! | |
Das Vokabular, mit dem von Wulffen ihre Bilder inszeniert, umfasst | |
gigantomanische Insekten, Hunde und Katzen, Zombies und Fratzen, die sich | |
aus dem neuerdings entdeckten Reißlack schälen, gescholtene und ihrerseits | |
gemein agierende Kinder, Eiscreme, lustvolle bis mitunter in Ekel und | |
Verstörung rutschende Gesten, heimliche Behaglichkeit beim Serienschauen am | |
Laptop, dunkel verholzte Bauernstuben, wie man sie im süddeutschen Raum | |
findet, wo von Wulffen geboren und aufgewachsen ist. Dazu arbeitet sie mit | |
Motiven aus dem eigenen Leben – Familienfotos, Kinderfotos, eingespeicherte | |
Erinnerungen. | |
## Science-Fiction-B-Movie-Landschaften | |
Dies alles friert die Malerin kühn zu gern apokalyptischen Ansichten ein, | |
die sich mal vor Science-Fiction-B-Movie-Landschaften, mal am heimischen | |
Familientisch entfalten. | |
Zur hierarchielosen Präsentation gehört auch, dass von Wulffen das Pathos, | |
die biografische Lesart, die maximale Symbolik nicht scheut. Immer wieder | |
tastet man heimlich nach der hierarchisierenden Ironie und findet sie nicht | |
überall so ohne Weiteres (Humor: durchaus). | |
Es ist eben auch keine Bescheidwisserkunst: Sowenig die Künstlerin ein ganz | |
bestimmter bildungsbürgerlicher Kanon interessiert, so wenig hat sie | |
offenbar Lust, sich an eine zeitgenössische Kunstlesart anzubiedern, die | |
entweder politische Betroffenheit oder umgekehrt einen gewissen lässigen | |
Hedonismus goutiert. Zugleich hat sie genug Repertoire in petto, um einem | |
entsprechend geschulten Publikum erst einmal die Zuckerstücke hinzuwerfen. | |
## Comics und Illustrationen | |
Amüsant geht die Hierarchielosigkeit in der unteren Etage weiter: Vor | |
einigen Jahren hat von Wulffen ihre Arbeit um Comics und Illustrationen | |
ergänzt – hier hängen sie nun als gleichberechtigtes Gegenstück zur | |
schweren Malerei. Es sind mal freche, mal resignierte Früchtchen und | |
Gemüse, die fiese Spielchen miteinander spielen, aber auch einfach | |
hysterisch lustig anzuschauen sind. Nebenan proklamiert ein gelbes | |
Buchcover programmatisch „Gram und Schmerz fürs Kinderherz“. | |
Auch zu dieser Ausstellung erscheint wie schon zu einigen davor ein Comic, | |
in der Vorlage, mit Bleistift gezeichnet, mehrfach herumradiert, in dem | |
eine der Künstlerin verdächtig ähnlich sehende Protagonistin von einer | |
Wachtel namens Hedwig verraten wird oder entsetzt feststellen muss, dass | |
die gesamte Unterhaltungsindustrie in einer Erd-WG zusammenwohnt, während | |
sie selbst all die Jahre vom Vergnügen im engsten Kreise ausgeschlossen | |
war. | |
Sind die Zeichnungen ein Publikumsgewinner, trockener Humor mit | |
Punktlandung (ein Rezensent der New York Times befand einmal, von Wulffens | |
schnell skizzierte Comics seien pointierter und letztlich besser als ihre | |
Malerei), so arbeitet die elegant kuratierte Schau immer wieder heraus, wie | |
ultrakonkret die Künstlerin auch in ihrer Malerei werden kann, wenn sie | |
genau die richtige Form für jene Gleichzeitigkeiten und Überlagerungen | |
findet, die sich da durch die jeweils einzelne (ihre! aber eben nicht nur) | |
bundesdeutsche Familiengeschichte ziehen. | |
## Versöhnung schaffen | |
In einem Raum mit Fischgrätparkett, der Blick gleitet hinaus auf die | |
pittoreske Stadt mit ihrem türkis leuchtenden Fluss, hängen | |
Familienszenarien an der Wand: Hier sitzt der verzagt blickende Großvater | |
mit Heidegger und dem Ehepaar Buber am Tisch, will augenblicklich | |
Versöhnung schaffen in der gerade eben erst gewordenen Nachkriegs-BRD, dort | |
stört der Geist Paul Celans das Trachtenidyll, vorn machen die Kinder | |
Hausmusik. | |
In der Mitte des Raums zwei Daybeds im Batiklook, die ältesten Exponate der | |
Ausstellung, wie Erbstücke, die dem eigenen Jugendzimmergeschmack angepasst | |
wurden. Darunter, auf einer ausziehbaren Platte, zwei Bilder aus dem von | |
Wulffschen Familienfundus: links ein Farbstich vom Einmarsch der Wehrmacht | |
in Paris, rechts eine Dorfansicht mit rot beflaggten Häusern, die | |
Hakenkreuze nachträglich herausradiert. | |
Nicht alles bleibt so entschlüsselungsfreundlich wie diese Szenerie oder | |
wie die Netflix-Bauernschränke. Während man andere längst vergessen hat, | |
hallen Amelie von Wulffens Arbeiten noch eine ganze Weile nach. Knapp 90 | |
Werke sind es hier an der Zahl, und kein Raum könnte einen Hinweis darauf | |
geben, wie der jeweils nächste ausschauen wird, doch ist alles fraglos von | |
Wulffen. „Admit defeat“, gab der Kritiker Bob Nickas einmal als Rat zur | |
Besprechung der Malerin Jutta Koether mit auf den Weg. | |
Im Vergleich zur Arbeit ihrer Kollegin kommen Amelie von Wulffens Bilder | |
nicht so offenkundig angriffslustig daher, aber auch bei ihr werden die | |
Gewissheiten kleiner und die Bilder fremder, je mehr Bezüge gesammelt und | |
decodiert sind. Man tut schließlich, was man kann, und streckt vergnügt die | |
Waffen. | |
22 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
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