| # taz.de -- Ausstellung und neuer Comic von Sfar: Philosophische Katzen und Vam… | |
| > Das Cartoonmuseum Basel zeigt Ausschnitte aus dem Werk des Comicautors | |
| > Joann Sfar. Avant veröffentlicht den 3. Band „Die Katze des Rabbiners“. | |
| Bild: Ausschnitt aus dem Band „Die Katze des Rabbiners“ von Sfar | |
| Dieser Kater kann seine menschlichen Begleiter schon mal nerven: Unablässig | |
| quasselnd, kommentiert der haarlose, knochige Geselle das zänkische Gehabe | |
| der Menschen und ihre irdischen Probleme und Konflikte, seit er einen | |
| Papagei verschluckt hat. Er erweist sich aber auch als unentbehrlicher | |
| Gesprächspartner seiner Herrin, der schönen Zlabya, und ihres Vaters, einem | |
| Rabbi. Er kann auch in theologischen Streitgesprächen mithalten. | |
| „Die Katze des Rabbiners“ ist die berühmteste Reihe, die der 1971 in Nizza | |
| geborene Comicautor Joann Sfar gezeichnet hat. Wie in vielen seiner | |
| Arbeiten spielt seine jüdische Herkunft – der Vater hat sefardische, seine | |
| Mutter aschkenasische Wurzeln – eine wichtige Rolle. Das Haus, in dem die | |
| Katze wohnt, gehört Rabbi Sfar (!) und seiner Tochter. Dort will das | |
| sprechende Haustier nun auch den Talmud und die Kabbala lernen. Die | |
| philosophierende Katze ist ein Alter Ego des Zeichners, der selbst | |
| Hebräisch und die Thora studierte, und in seinen Geschichten alles zu | |
| hinterfragen pflegt, auch die religiösen Gewissheiten. | |
| Doch zuallererst entführt der Zeichner den Leser auf Katzenpfoten in eine | |
| exotische, leicht idealisierte maghrebinische Welt, ins Algier der 1920er | |
| Jahre, wo sich islamische, jüdische und christliche Weltanschauungen | |
| treffen, meist friedlich koexistieren oder sogar in Austausch miteinander | |
| treten. | |
| Trotz des sanften, verklärten Blickes auf diese versunkene Welt und der | |
| Verwendung geradezu biblisch-archaischer Figuren nutzt Sfar diesen Kosmos, | |
| um auf verspielte Weise zeitlose Geschichten zu erzählen, die heutige | |
| Probleme aufgreifen und gesellschaftliche Fragen behandeln. | |
| ## Die Katze des Rabbiners | |
| Die Katze – eine typische Sfar’sche Außenseiterfigur – wird durch ihre | |
| Gabe, wie ein wortgewandter Mensch sprechen zu können, oft misstrauisch | |
| beäugt und muss des öfteren bangen, vom Mob der Straße gemeuchelt zu | |
| werden. Doch die bislang insgesamt acht Erzählungen der „Katze des | |
| Rabbiners“ (gerade ist im Avant Verlag der 3. Sammelband erschienen) | |
| verlieren nie ihre Leichtigkeit, ein manchmal an Woody Allen erinnernder | |
| Sprachwitz prägt den Erzählton. | |
| Diese unverkrampfte, mit barocker Bildsprache einhergehende Art des | |
| Erzählens ist typisch für den in Frankreich seit den 1990er Jahren | |
| populären Künstler, der im Basler Cartoonmuseum derzeit mit einer | |
| Ausstellung geehrt wird, die erstmals versucht, sein Gesamtwerk zu | |
| erfassen, wesentliche Merkmale zu benennen und in mehr als 200 Exponaten | |
| sinnlich erfahrbar zu machen. Eine Herausforderung für ein kleines Museum, | |
| denn Sfars Werk ist wohl so umfangreich wie kein anderes seiner Generation | |
| (sieht man vom Werk seines Kollegen Lewis Trondheim ab). | |
| In der Ausstellung „Sans début, ni fin“ (etwa: „Kein Anfang und kein End… | |
| werden die vielen Facetten Sfars deutlich. Neben zahlreichen Graphic | |
| Novels, Comicalben und -serien (darunter „Klezmer“, „Vampir“, „Profes… | |
| Bell“, „Donjon“) hat Sfar mehrere Romane verfasst (etwa „Der Ewige“, … | |
| sowie umfangreiche „Carnets“ veröffentlicht, Skizzenbücher, die auch | |
| autobiografische Comics enthalten (die bisher nicht ins Deutsche übersetzt | |
| wurden). | |
| Er hat mehrere Filme inszeniert. In Ausschnitten präsentiert werden unter | |
| anderem die abendfüllende animierte Adaption der „Katze des Rabbiners“, die | |
| Zeichentrickserie „Der kleine Vampir“, wie auch sein preisgekrönter | |
| Spielfilm „Gainsbourg“ von 2010, eine Hommage an den Sänger und Dichter. | |
| ## Fantastische und groteske Bilder | |
| Im Zentrum der Ausstellung stehen aber die Comics, vor allem neuere | |
| Arbeiten, die in vorwiegend mit schwarzer Tusche gezeichneten Originalen zu | |
| bewundern sind. Darunter „L’ancien Temps“, eine fantastische, mehrbändige | |
| Fabel, die Figuren der klassischen französischen Literatur aufgreift (etwa | |
| „Gargantua und Pantagruel“ von François Rabelais) und fantastische, vor | |
| grotesken Details pralle Bilder dazu findet. | |
| Wiederholt hat sich Joann Sfar auch sehr frei Künstler-Biografien | |
| angenähert, um auf das Wesen ihrer Kunst einzugehen und seine eigenen | |
| Schlüsse zu ziehen: (Jules) „Pasquin“ war ein frühes Werk, in der er sein… | |
| lebendigen, zittrigen Strich entwickeln konnte, „Chagall in Russland“ ein | |
| weiteres, bis hin zum neuen, großformatigen Buch „Fin de la parenthèse“ | |
| (übersetzt etwa: „Ende des Zwischenspiels“), in dem er erotischen Motiven | |
| in Salvador Dalis Werk nachspürt und mit (pseudo-)autobiografischen Szenen | |
| verknüpft. | |
| Ein Kabinett-Raum ist einer Bilderserie gewidmet, die am meisten | |
| überrascht: in „Je m’appelle Bonnard“ schlüpft Sfar in die Rolle des | |
| postimpressionistischen Malers Pierre Bonnard, indem er dessen | |
| Badezimmer-Szenen nachmalt und die darin enthaltene Maler-Modell-Motivik in | |
| unterschiedlichen Techniken neu interpretiert, in Öl wie in zart | |
| ausgeführten Aquarellen. | |
| ## Leichtigkeit in der Pinselführung | |
| Überhaupt ist das Aquarell eine der bevorzugten Techniken Sfars, der seine | |
| Comics meist auf klassische Weise auf Papier tuscht und danach von Brigitte | |
| Findakly einfühlsam kolorieren lässt. Sfars Aquarelle – oft | |
| Einzelillustrationen für Bücher wie die „Fables“ von La Fontaine – | |
| erreichen durch ihre tupfende Pinselführung eine Leichtigkeit, die dem | |
| zittrigen, oft nur angedeuteten Strich der Zeichnung angemessen sind. | |
| In der für „Paris Match“ entstandenen Cartoonserie „Paris sous les eaux�… | |
| (Paris unter Wasser) gelingt es Sfar, in zarten Großstadtimpressionen und | |
| mit sanftem Humor an die Leichtigkeit Jean-Jacques Sempés (dem Schöpfer von | |
| „Der kleine Nick“) anzuknüpfen, von dem er die Serie übernommen hat. | |
| In den letzten Jahren entwickelte sich Sfar zu einem politisch engagierten | |
| Künstler, der die französische Politik von François Hollande oder Emmanuel | |
| Macron kommentierte oder die Attentate auf die Satirezeitschrift Charlie | |
| Hebdo – für die Sfar selbst eine Weile arbeitete – in einzelnen Cartoons | |
| und in seinen Carnets verurteilte. | |
| ## „Noch lauter schreien!“ | |
| „Zum Teufel mit dem Tod. Wir schwanken – aber wir gehen nicht unter“, sag… | |
| er wenige Stunden nach dem Attentat auf seinem Blog. Und beteuerte, sich | |
| als Künstler nicht in seiner Freiheit beschränken zu lassen. Auf den | |
| Rechtsruck in Europa reagierte Sfar wiederum mit dem Aufruf an andere | |
| Künstler: „Noch lauter schreien!“ | |
| Nicht zuletzt wird in der Ausstellung deutlich, welch großer Fabulierer | |
| Joann Sfar ist. In seinen offen angelegten Erzählungen (auf die der Titel | |
| der Ausstellung anspielt) treffen Elemente der klassischen Literatur auf | |
| eine Riege fantastischer Figuren, die abendländischen, orientalischen wie | |
| auch jüdischen Legenden entsprungen zu sein scheinen. | |
| Vampire (und Vampirinnen wie „Aspirine“) werden von Selbstzweifeln geplagt, | |
| wie sie heutige Teenager haben, und sehen den Menschen ratlos bei | |
| antisemitischen Übergriffen zu. Joann Sfar ruft den reichen Schatz der | |
| jüdischen Kultur in Erinnerung, indem er Golems oder Dibbuks in seinen | |
| Werken wiederbelebt und lange vergessene Pogrome im zaristischen Russland | |
| thematisiert. | |
| ## Friedliches Miteinander der Kulturen | |
| Trotz seines jüdischen Hintergrunds bezeichnet sich Sfar selbst als nicht | |
| religiös, verwirklicht in ganz unterschiedlichen Büchern seinen utopischen | |
| Traum eines friedlichen Miteinanders der Kulturen und Religionen: „Ich | |
| hätte es gern, wenn meine Bücher einen gewissen Humanismus verteidigten. In | |
| mir gibt es einen Wunsch, die Liebe zu feiern zwischen den Lebewesen und | |
| die Lebensfreude.“ | |
| Erneut ist es dem Basler Cartoonmuseum unter der kompetenten wie | |
| engagierten Leitung von Anette Gehrig gelungen, einen wichtigen | |
| zeitgenössischen Comicautoren zu ehren und dessen Bedeutung zu | |
| veranschaulichen. In diesem Jahr wird das Museum 40 Jahre alt, das sich wie | |
| kein anderes im deutschsprachigen Raum darum bemüht, der „narrativen | |
| Zeichnung“ (Gehrig) als Kunstform die Anerkennung zu verschaffen, die sie | |
| verdient. | |
| 9 Jun 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralph Trommer | |
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