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# taz.de -- Vorm zweiten Wahlgang in Frankreich: So macht wählen keinen Spaß
> Was ist eine Mehrheit wert, die vor allem gegen Le Pen zustande kommt?
> Frankreichs Wahlrecht bringt Legitimationsprobleme mit sich.
Bild: Taktisches Wählen oder auch vote utile gehört in Frankreich zur politis…
In Frankreich stimmt man traditionell im ersten Wahlgang für und im zweiten
gegen jemanden. Das wird nächste Woche nicht anders sein, wenn Emmanuel
Macron gegen Marine Le Pen antritt und damit der zweite Wahlgang von 2017
wiederholt wird. Der [1][Zeichner, Autor und Regisseur Joann Sfar,] unter
anderem bekannt für die Comicreihe „Le Chat du Rabbin“, brachte seinen
Frust darüber noch am Wahlabend in einem Selbstporträt zum Ausdruck.
„Seit ich wählen kann, soll ich für Ärsche stimmen, um Le Pen zu
verhindern“, legt er sich in einer Sprechblase selbst in den Mund. Damit
beschreibt er den Frust vieler Franzosen und Französinnen, denen die
Konstellation „Le Pen vs. das geringere Übel“ viel zu bekannt vorkommt. Sie
lesen nun schon den dritten Band dieser Comicreihe, in dem statt
Superhelden nur müde Wähler:innen vorkommen.
Wer in Frankreich wählt, sucht sich nicht einfach nach bestem Gewissen eine
Kandidatin oder einen Kandidaten aus. Wählen bedeutet in Frankreich immer
auch rechnen, taktieren und abwägen. Wer schafft es in die nächste Runde?
Wo ist meine Stimme am wirksamsten? Und vor allem: Wie verhindere ich einen
Sieg der Rechten?
Damit fängt man am besten früh an. Zum Initiationsritus von
Erstwähler:innen gehört es, ihnen zu erklären, wen sie zu wählen
hätten, um Schlimmeres zu vermeiden. Taktisches Wählen oder auch [2][vote
utile ] gehört in Frankreich zur politischen Früherziehung. Sich von den
Rechten die Wahlentscheidung diktieren zu lassen auch.
Dafür mitverantwortlich ist das französische Wahlsystem, das eine Stichwahl
vorsieht, falls im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit erreicht wird.
Ein zweiter Wahlgang war bisher bei jeder Wahl nötig. Der oder die
Wahlsieger:in kann sich im Anschluss mit Stimmen brüsten, die nicht für
ihn oder sie, sondern gegen seine:n Kontrahent:in abgegeben wurden.
Macron etwa wird auch in diesem Jahr hoffentlich von vielen seiner
politischen Gegner:innen gewählt werden.
## Die Wahlbeteiligung sinkt weiter
Das ist besonders schwer zu ertragen und schafft außerdem ein
Legitimationsproblem. Denn was ist eine Mehrheit wert, die nur mithilfe der
Angst vor einem Sieg der Rechten zustande kommt? Das Ergebnis ist auf der
Straße zu sehen. In Deutschland wird gerne das Bild vom rebellischen
Frankreich gezeichnet, das von Natur aus auf Krawall gebürstet sei.
Vielleicht würden die Französinnen und Franzosen etwas seltener streiken,
wenn sie besser repräsentiert werden würden? Vielleicht würden dann auch
notwendige Reformen umgesetzt werden?
Ärsche wählen macht keinen Spaß. Und trotzdem werden viele Wähler:innen
auch nächste Woche wieder gegen Le Pen stimmen. Auch Sfar: „Ich werde
damit weitermachen“, heißt es in seiner Sprechblase weiter. Le Pen zu
verhindern ist dabei längst zum Selbstzweck geworden, auf der Strecke
bleibt die Begeisterung für politische Ideen, ebenso die Wahlbeteiligung,
die trotz einer groß angelegten Social-Media-Kampagne der Regierung dieses
Jahr um weitere fünf Prozentpunkte sank.
Was Le Pen bislang von einem Sieg abgehalten hat, ist die große Erzählung
eines barrage, einer gemeinsamen Blockade gegen rechts. Mit jeder Wahl aber
steigt die Gefahr, dass diese Erzählung abstumpft. Nicht mehr darin
einstimmen wollen etwa die Studierenden, die in dieser Woche in Paris und
Nantes Universitäten besetzten.
Aus Protest blockierten sie unter anderem die Sorbonne und Science Po
Paris, die Hochschule, an der auch Macron studierte: aus Protest gegen den
Zwang, sich zwischen Macron und Le Pen entscheiden zu müssen, und gegen
eine Wahl, die ihnen keine Wahl lässt. Sie sind knapp 30 Jahre jünger als
Joann Sfar und wollen mit dem Weitermachen gar nicht erst anfangen.
18 Apr 2022
## LINKS
[1] /Ausstellung-und-neuer-Comic-von-Sfar/!5596700
[2] /Stichwahl-in-Frankreich/!5404443
## AUTOREN
Matthieu Praun
## TAGS
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Joann Sfar
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