# taz.de -- Graphic Novel von Jacques Tardi: Kriegsgefangenschaft als Comic | |
> Comiczeichner Jacques Tardi hat die Geschichte seines Vaters als Graphic | |
> Novel verarbeitet. Dieser war französischer Soldat im Zweiten Weltkrieg. | |
Bild: Gleichförmige Brutalität: Graphic Novel von Jacques Tardi | |
Das Schicksal von Kriegsgefangenen in deutschen Lagern des Zweiten | |
Weltkriegs wurde in US-Spielfilmen wie „Gesprengte Ketten“ (1963, Regie | |
John Sturges) mitunter romantisiert. Gefangene erwiesen sich als gewiefte | |
Ausbrecherkönige, stibitzten wie Steve McQueen deutsche Motorräder und | |
düsten damit durchs Reich. Die Wirklichkeit sah anders aus, grauer, und | |
verlangte den Betroffenen vor allem eins ab: endlose Zähigkeit im Aushalten | |
von Schikanen und Demütigungen. Einzig die Hoffnung, dass der Krieg | |
irgendwann zu Ende sein würde und sie nach Hause zurückkehren durften, | |
hielt sie am Leben. | |
René Tardi (1915–86) war einer von zwei Millionen französischen „KGs“. … | |
Vater des berühmten Comiczeichners Jacques Tardi geriet als Berufssoldat im | |
Mai 1940 in deutsche Gefangenschaft. Er wurde mit Tausenden Leidensgenossen | |
von Frankreich nach Pommern deportiert. Dort verbrachte er viereinhalb | |
Jahre im Stammlager (Stalag) II B in Hammerstein (dem heutigen Czarne). | |
Sein Sohn Jacques Tardi, [1][bereits bekannt als Chronist der Grauen des | |
Ersten Weltkriegs], begann vor knapp zehn Jahren mit der Arbeit an einer | |
Comicfassung der Stalag-Erlebnisse seines Vaters. Grundlage dafür sind drei | |
Notizbücher, die Vater René auf Wunsch des Sohnes in den achtziger Jahren | |
mit Erinnerungen an die Gefangenschaft füllte, ergänzt durch | |
Zeichnungsnotizen. Sein Sohn bereiste dann zur Recherche nahezu sämtliche | |
Orte, an denen sich René Tardi in dieser Zeit aufhielt. | |
Mit dem Band „Nach dem Krieg“ findet Jacques Tardis „Stalag II B“-Trilo… | |
nun ihren Abschluss. Band 1 erzählte, wie sein Vater 1935 Berufssoldat | |
wurde und Henriette („Zette“), Jacques’ Mutter, heiratete. Der nur zwölf | |
Tage dauernde Fronteinsatz des 25-Jährigen an Bord eines Panzers 1940 | |
gegen die Deutschen wird dabei als absurde, hilflose Aktion inszeniert. | |
## Kunstgriff | |
Jacques Tardi bedient sich hier eines Kunstgriffs, der alle drei Bände | |
durchzieht: Er selbst, der erst nach dem Krieg geborene Sohn, begleitet als | |
halbwüchsiger Bengel in kurzen Hosen seinen stets mürrischen Vater an die | |
Front und in die Gefangenschaft und löchert ihn mit Fragen. | |
Nicht immer antwortet der Vater. Sehr ausführlich wird der rüde Alltag im | |
riesigen Stalag mit seinen katastrophalen hygienischen Verhältnissen | |
beschrieben. Zwar wurden die „KGs“ im Vergleich zu Insassen von | |
Konzentrationslagern etwas besser behandelt, wenn auch Polen und Russen | |
sehr schlecht. Hungern und Zwangsarbeit verrichten mussten sie alle. | |
Der zweite Band beschreibt „den langen Marsch durch Deutschland“, als die | |
Gefangenen ab dem 29. Januar 1945 von den Deutschen auf der Flucht vor der | |
Roten Armee in einen viermonatigen Fußmarsch Richtung Westen getrieben | |
wurden. Die in differenzierten Grautönen gehaltenen Bildsequenzen | |
unterstreichen in ihrem Erzählrhythmus Monotonie und gleichförmige | |
Brutalität. | |
Der Marsch endet am 5. Mai 1945 damit, dass die Gefangenen die Wächter | |
überwältigen und die brutalsten von ihnen lynchen. Die rächende Gewalt | |
dieser sich vor rotem monochromem Hintergrund abspielenden Taten lässt den | |
jungen Jacques aufschreien und seinem Vater zurufen: „Ihr habt euch | |
aufgeführt wie sie!“ | |
## Beschwerliche Rückkehr | |
Der nun erschienene dritte Band heißt „Nach dem Krieg“. Für René Tardi | |
schien es eine beschwerliche Rückkehr ins Leben zu sein. In Frankreich | |
wurden die Heimkehrer als Verlierer betrachtet – im Gegensatz zu den | |
„Helden“ des Ersten Weltkriegs. René Tardi sollte auch schon bald als | |
Besatzungssoldat in die „Westzone“ Deutschlands zurückkehren. | |
Die Erzählerrolle wird allmählich vom Sohn Jacques übernommen, der nun | |
selbst als Erwachsener auf den Zweiten Weltkrieg zurückblickt. Er schildert | |
ausschnittsweise, wie Konzentrationslager befreit wurden und an Orten | |
wieder Frieden einkehrte, wo kurz zuvor noch Massenerschießungen und | |
Bombardierungen stattfanden. Tardi zeichnet Porträts von Massenmördern wie | |
Heinrich Himmler, Stalin, aber auch von Napoleon, vor den jeweils gleichen | |
Hintergründen aus Schädel- und Knochenbergen. Der Comicautor benennt die | |
Gräueltaten der von Vater René Tardi als „Fritzen“ oder „Boches“ | |
titulierten Deutschen, erwähnt aber auch die Verstrickungen von General | |
Pétain und einer Vielzahl faschistisch-französischer Überläufer, ebenso das | |
gezielte Verschweigen der stalinistischen Gräuel durch Roosevelt und | |
Churchill, die die Sowjets als Verbündete brauchten. | |
René Tardi ist erst im Kurort Bad Ems stationiert, ab 1951, im hessischen | |
Fritzlar, einem beschaulichen Städtchen voller Fachwerkhäuser, von dessen | |
Flugplatz 1939 Bomber gen Polen starteten. Jacques Tardi zeichnet aus | |
Kinderperspektive französische Soldatenfamilien, die unter sich bleiben. | |
Und hat häufig nur Spott übrig für die „Sprösslinge der glorreichen | |
Soldaten einer Operettenarmee“. Auch die nachlässigen | |
Entnazifizierungs-Methoden der Alliierten karikiert er. Hitler persönlich | |
erteilt Ratschläge ohne als Nazi enttarnt zu werden. Zurück in Frankreich | |
erzählt der Comicautor erhellende Geschichten aus seiner Familienbiografie | |
und wie er als Junge fasziniert von „Tarzan“-Filmen, Western und | |
Trivialcomics anfing zu zeichnen. | |
Sein Vater René Tardi quittierte 1953 den Dienst bei der Armee. Er wollte | |
nicht im Indochinakrieg für Frankreich sterben. | |
21 May 2019 | |
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[1] /Comiczeichner-Jacques-Tardi-in-Basel/!5565975 | |
## AUTOREN | |
Ralph Trommer | |
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