| # taz.de -- Französischer Comic „Reisende im Wind“: Selbstbewusste Frauen | |
| > François Bourgeons Serie „Reisende im Wind“ erzählt von schillernden | |
| > Frauen in der französischen Revolution. Nun erscheint der abschließende | |
| > Band. | |
| Bild: Aus: „Reisende im Wind, Band 8. Die Zeit der Blutkirschen“ | |
| Abenteuer auf hoher See, Metzeleien und rohe Seeleute – wer solche Zutaten | |
| mag, sollte François Bourgeons Serie „Reisende im Wind“ lesen. Doch | |
| Vorsicht, mit Romantik haben seine Comics wenig zu tun. Der 1945 geborene | |
| Franzose war gelernter Glasmaler, stieg aber früh auf das Zeichnen von | |
| Comics um, da er in seinem Beruf keine Anstellung fand. Schon Anfang der | |
| 1970er Jahre, bei der Ausgestaltung seiner Mittelalter-Serie „Brunelle et | |
| Collin“ (Szenario: Robert Génin) legte er Wert auf eine sorgfältige | |
| Recherche von Schauplätze und Ausstattung. | |
| 1979 entdeckte er eine weitere Epoche für sich. Damals stieß er auf die | |
| Baupläne einer alten Dreimaster-Fregatte aus dem 18. Jahrhundert. Die | |
| inspirierten ihn dazu, ein solches Schiff aufs Genaueste als Modell zu | |
| rekonstruieren, um es dann zum Schauplatz einer neuen Erzählung zu machen. | |
| Die Handlung verfasste er dieses mal selbst. „Reisende im Wind“ („Les | |
| passagers du vent“) nannte er die neue Serie, die in der Epoche vor der | |
| Französischen Revolution spielt. Er veröffentlichte sie zunächst im | |
| Comicmagazin Circus in Fortsetzungen schließlich in fünf Fortsetzungsalben | |
| bis 1984, ihrem vorläufigen Abschluss. | |
| Band 1 beginnt 1780 mit einer Geschichte auf dem französischen Kriegsschiff | |
| „Marie-Caroline“. Sie handelt von der 17-jährigen Adeligen Isabeau de | |
| Marnaye, genannt Isa, deren Identität im Kindesalter von einer Freundin | |
| niedrigeren Standes gestohlen wurde. Isa wird wider Willen zur Gesetzlosen. | |
| Zusammen mit ihrem Geliebten, dem Seemann Hoël und der schwangeren | |
| Engländerin Mary wird sie zu einer rastlos Reisenden, die es in die | |
| französischen Kolonien ins Königreich Dahomey an der westafrikanischen | |
| Küste oder auf ein Sklavenschiff verschlägt, auf dem eine Meuterei | |
| stattfindet. | |
| ## Der Zeit voraus | |
| „Reisende im Wind“ ist narrativ wie grafisch seiner Zeit weit voraus | |
| gewesen. In stimmungsvollen naturalistischen Zeichnungen entwirft Bourgeon | |
| anhand der Entwicklungsgeschichte Isas ein komplexes und abgründiges Fresko | |
| der Epoche. Etwa, wie die Europäer – genauer eine nie satt werdende Schicht | |
| von Adligen, Militärs, See- und Kaufmannsleuten – auf Kosten der | |
| afrikanischen Sklaven schonungslos und grausam ihre Geschäfte betreiben. | |
| Doch dabei sind die Figuren meist vielschichtig angelegt, sie offenbaren | |
| gute wie böse Seiten – und gerade die einfachen Matrosen oder die | |
| afrikanische Bevölkerung Dahomeys sind nicht idealistisch verklärt oder | |
| überhöht. | |
| Am schillerndsten sind allerdings in diesem Historien-Comic von Anfang an | |
| die Frauenfiguren dargestellt. Im Mittelpunkt die redegewandte und | |
| unangepasste Isa, die anfangs zwar ihrem Vormund und Bruder gehorchen muss, | |
| jedoch selbstbewusst agiert und sich auch in erotischer Hinsicht das nimmt, | |
| was sie begehrt. Bourgeon setzt, wie er in Interviews bekräftigt, bewusst | |
| eine „heutige“ Frau in ein historisches Setting, achtet aber darauf, dass | |
| die Glaubwürdigkeit gewahrt bleibt. | |
| „Reisende im Wind“ wurde in Frankreich in den 1980ern zum Bestseller, | |
| obwohl die erotischen Passagen zunächst sogar Parlamentarier nach der | |
| Zensur riefen ließen. Die bald auch in der Bundesrepublik erscheinende | |
| Serie hatte großen Anteil daran, dass Comics als „erwachsene“ Erzählform | |
| anerkannt wurde – in den USA wurde sie wegen ihrer freizügigen Sequenzen | |
| bis heute nicht veröffentlicht. | |
| ## Fortsetzung in den USA zu Zeiten des Sezessionskrieges | |
| Erst 2009 entschloss sich Bourgeon zu einer Fortsetzung. Die Bände 6 und 7 | |
| erschienen, „Das Mädchen von Bois-Caiman“ führt die Figur der Isabeau | |
| Murrait alias „Zabo“, einer Urenkelin Isas, ins New Orleans zur Zeit des | |
| Sezessionskrieges. Dort trifft sie auf die inzwischen greise Isa. In | |
| Rückblenden wird der Verlauf ihres Schicksals erzählt. | |
| Mit Band 8 erzählt Bourgeon nun den abschließenden, auf weitere 2 Bände | |
| begrenzten Zyklus. Zabo ist nun eine reife Frau und nennt sich Clara. | |
| Einige Geheimnisse umranken sie, die erst später aufgelöst werden. Sie hat | |
| es gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach Paris verschlagen, auf den | |
| Montmartre. | |
| In den wirren Zeiten der Dritten Französischen Republik kümmert sie sich um | |
| die junge Bretonin Klervi, die wegen ihrer „fremden“ Herkunft und | |
| schlechter Französischkenntnisse diskriminiert wird. Erneut wendet Bourgeon | |
| sein Prinzip an, zwei selbstbewusste, selbstständige Frauen in historisch | |
| spannende Kontexte zu versetzen. | |
| In ein Paris, das von Korruption und dem Umbruch zehn Jahre nach der | |
| Pariser Kommune geprägt ist. Zabo/Clara hat sich eine bescheidene Existenz | |
| aufgebaut hat. Die 20 Jahre jüngere Klervi muss sich zunächst als | |
| Hausmädchen und Hure durchschlagen, bis sie in Montmartre Künstlermodell | |
| wird und schließlich als Sängerin in Cabarets reüssiert. | |
| ## Starke Frauenporträts | |
| Neben starken Frauenporträts gelingen dem Zeichner erneut großartige | |
| grafische Rekonstruktionen. Er lässt das Montmartre-Viertel, als | |
| Sacré-Coeur noch in Planung war (und den Kommunarden als Stein des Anstoßes | |
| galt), die legendären Hallen sowie die Weltausstellung von 1889 | |
| auferstehen. | |
| Manches wirkt dabei vielleicht etwas pedantisch – etwas zu akribisch und | |
| pingelig gezeichnet wie das Dekors oder die Gesichtszüge der | |
| Protagonist*innen. Insgesamt fehlt es im Vergleich zu den Vorgängern etwas | |
| an Lebendigkeit, sensibleren Momenten, die die Gewalttätigkeit der Handlung | |
| in früheren Bänden unterbrachen und erweiterten. | |
| Der neuen Geschichte mangelt es nicht an Spannungselementen, doch mitunter | |
| fehlen ihr die Bewegung des Schiffes, die geografischen Wechsel der Orte, | |
| die das Abenteuer der früheren Bände ausgemacht haben. Der Komplexität der | |
| französischen Geschichte werden dann allerdings auch wieder die | |
| zusätzlichen, in Schwarz-Weiß-Formaten herausgegebenen Comic-Journale | |
| gerecht. Mit Bonusmaterial sind sie eine unerlässliche Bereicherung zur | |
| vierfarbigen Ausgabe. | |
| 18 Aug 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralph Trommer | |
| ## TAGS | |
| Französischer Comic | |
| François Bourgeon | |
| Pariser Kommune | |
| Dritte Französische Republik | |
| Comic | |
| Kriegsgefangene | |
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