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# taz.de -- Drei Comic-Klassiker in Belgien: Reisen in gezeichnete Traumwelten
> Hergé, Hugo Pratt, Didier Comès – drei Ausstellungen in Belgien zeigen
> Klassiker des Comics. Sie alle waren große Erzähler und Zeichner.
Bild: In der Hugo Pratt-Ausstellung ist auch sein Aquarell „Les Celtiques“ …
Der eine reiste um die ganze Welt, der andere blieb zeit seines Lebens
seiner Heimatregion verbunden und porträtierte seine Umgebung auf inneren
Erkundungen. Ein weiterer ließ einen Stellvertreter mit rotblonder
Haartolle für sich unterwegs sein und begann selbst erst im Herbst seines
Lebens die Welt zu bereisen.
Die Rede ist von drei bedeutenden, bereits verstorbenen Comicautoren, die
gerade in Belgien – genauer: in der französischsprachigen Region Wallonie –
mit Ausstellungen geehrt werden. Alle drei waren sowohl große Erzähler als
auch Zeichner, ihr Einfluss setzt sich bis heute fort. Ihre Namen: Hergé,
Hugo Pratt und Didier Comès.
Ohne Hergé – er wurde als Georges Remi 1907 in Brüssel geboren und drehte
für seinen Künstlernamen seine Initialen um in RG, was auf [1][Französisch
„Hergé“ ausgesprochen] wird – sähe die belgische und wohl auch die
europäische Comicgeschichte anders aus. Als er 1929 seinen Reporter
„Tintin“ („Tim“ auf Deutsch) erfand, hatte sich der Comic in Europa im
Gegensatz zu den USA noch kaum durchgesetzt.
In den Abenteuergeschichten um „Tim und Struppi“, die seine Helden und
damit auch die jugendlichen Leser um die ganze Welt führten, entwickelte
der 1983 verstorbene Zeichner mit ungeheurem Innovationswillen seine Kunst
des Erzählens immer weiter, nahm etwa Einflüsse aus dem Film auf und
übertrug sie in den Comic, verband Abenteuer-, Krimi-, komische und
vereinzelt auch fantastische Elemente zu neuartigen epischen
Bildergeschichten.
Im Jubiläumsjahr des vor zehn Jahren erbauten, auch architektonisch
Comicelemente enthaltenden „Musée Hergé“ in Louvain-la-Neuve nahe Brüssel
wird Hergés Kunst anschaulich dokumentiert. Sein Werdegang wie auch der
seiner berühmtesten Figur Tim – der zeitlos jugendliche Held wurde im
Januar 90 Jahre – lassen sich anhand unzähliger Originale, Skizzen und
Dokumente auf mehreren Stockwerken nachvollziehen. 1950, auf dem Zenit
seines Erfolgs, schickte Hergé Tim, Struppi, Kapitän Haddock und Professor
Bienlein bereits auf den Mond – seine akribisch genaue Darstellung dieses
Unternehmens nahm die reale Apollo-Mission von 1969 auf verblüffende Weise
vorweg.
## Weltläufige Comics
Während Hergés Comics im Laufe der Jahrzehnte immer realistischer wurden,
führten die weltläufigen Comics des Italieners Hugo Pratt auch in mythische
und mystische Welten.
Wenige Kilometer vom Hergé-Museum entfernt liegt im ländlichen La Hulpe, im
ehemaligen Bauernhof des Schlosses, die Fondation Folon, ein dem
surrealistischen Multi-Künstler Jean-Michel Folon (1934–2005) gewidmetes
Museum, das von diesem selbst gestaltet wurde. Neben der (sehr
sehenswerten) Dauerausstellung eröffnete vor kurzem eine feine Ausstellung
über Hugo Pratt: „Les chemins du rêve – Die Wege des Traums“.
Der in Rimini geborene Zeichner (1927–1995) arbeitete nach dem Krieg
zunächst für den florierenden argentinischen Comicmarkt, bevor er, zurück
in Europa, 1967 seine berühmteste Figur „Corto Maltese“ schuf, einen
modernen Comichelden, der im Gegensatz zu Tim eher ein Flaneur und
Zuschauer seiner eigenen Abenteuer ist als ein Held im klassischen Sinne.
Seine oft epischen Abenteuer gelten als wesentliche Vorläufer der Graphic
Novel.
## Vorliebe für Mythen und Legenden der Weltvölker
Zur Eröffnung der Ausstellung war Pratts frühere Assistentin und Koloristin
Patrizia Zanotti anwesend, die sein Erbe verwaltet und anhand der
Bildbeispiele Pratts Philosophie erläuterte. So verweist die Schau auf
vielfältige Facetten von Pratts Erzählungen, seine Verwurzelung in der
angelsächsisch-amerikanischen Literatur – etwa James Fenimore Coopers Werke
und Robert Louis Stevensons „Schatzinsel“– wie auch auf seine Vorliebe f�…
Mythen und Legenden der Weltvölker, die Corto etwa zu den Kelten führt oder
ins Innere Afrikas.
Und wie schon der Titel der Ausstellung nahelegt, wird das wiederkehrende
Motiv des Traums in „Corto Maltese“ herausgestellt: oft schläft Corto ein
und fällt in einen Traum, gleitet oder stürzt in ein schwarzes Nichts. So
öffnen sich Räume für surreale Dialoge, etwa mit einem Leopardenmenschen
oder einem Raben, und man erfährt so hintergründiges „Insiderwissen“ der
Naturwesen, die realistische Ebene der Erzählung wird unterbrochen für
philosophische Betrachtungen. Auf ästhetischer Ebene war Pratts eleganter
Umgang mit dem Tuschepinsel ähnlich legendär und wegweisend für andere
Künstler wie Hergés „klare Linie“.
Neben schwarz-weißen Originalblättern aus allen Schaffensperioden (unter
anderem Seiten aus „Die Südseeballade“) bilden farbige Aquarelle Pratts den
Schwerpunkt. In ihnen wird deutlich, wie frei und mit welcher Leichtigkeit
Pratt mit der Farbe umging, Umrisslinien wegließ und sich der Abstraktion
annäherte.
## Hierzulande fast vergessen
Der unscharfe Übergang zwischen Realität und Traum interessierte auch einen
weiteren Zeichner, wiederum ein Belgier, der von Pratts Bildsprache
beeinflusst war. In der Abtei von Stavelot – nahe der sumpfigen Landschaft
des Hohen Venn und der Ardennenwälder gelegen – wird der 2013 gestorbene
Didier Comès mit der Ausstellung „L’encrage ardennais“ („Ardenner Fär…
gewürdigt. Obwohl drei seiner besten Werke in den 80er/90er Jahren auch auf
Deutsch veröffentlicht wurden, ist er ein hierzulande fast vergessener
Künstler.
Sein Durchbruch gelang ihm 1980 mit dem 130-Seiten-Werk „Silence – Der
Stumme“ (1982 bei Carlsen erschienen), das zunächst in Fortsetzungen im
literarisch ambitionierten französischen Comicmagazin „(À Suivre)“
(„Fortsetzung folgt“) veröffentlicht wurde, bevor es als Album herauskam.
Mit ihm schuf Comès, lange bevor sich Graphic Novels durchsetzten, einen
Meilenstein des anspruchsvollen Comics, eine durchkomponierte Erzählung um
einen Außenseiter, den „Dorftrottel“ Silence, dessen mysteriöse Herkunft
nach und nach aufgedeckt wird. Seine Verbündete gegen die engstirnigen
Dorfbewohner ist „die Hexe“, eine blinde Frau mit magischen Fähigkeiten.
Wie die Besucher der Ausstellung sehen können, nimmt Comès in fast all
seinen Werken Bezug auf seine Heimatregion – das Hohe Venn, die Wälder und
urigen Dörfer – wie er auch die jüngere Geschichte darin reflektiert,
insbesondere die Wunden des Krieges, die immer wieder aufbrechen.
## Nach dem Krieg verhasst
Als Dieter Hermann Comes wurde er 1942 als Kind deutschsprachiger Belgier
im Grenzgebiet geboren. Unter der überwiegend französischsprachigen
Bevölkerung waren die Deutschen nach dem Krieg verhasst, weswegen er bei
der Einschulung in Didier Comès umbenannt wurde. Zeit seines Lebens empfand
er sich selbst als Außenseiter.
Das sensibilisierte ihn zu tiefgründigen, poetischen wie düsteren
Erzählungen in meisterhaften Schwarz-Weiß-Bildern, in denen oft uralte
magische Rituale – keine „Fantasy“, sondern fußend auf der regionalen
Vorgeschichte – und sprechende Tiere (ähnlich wie bei Pratt tauchen etwa
Raben auf, die Auskunft über den vergangenen Krieg und die Toten geben)
eine Rolle spielen. Pratt und Comès lernten sich 1980 bei „(À Suivre)“
kennen, sie verband eine intensive Freundschaft.
Im Gegensatz zum Globetrotter und darin Corto Maltese nicht unähnlichen
[2][Hugo Pratt] reiste Comès kaum, lebte zurückgezogen in seinem Geburtsort
Sourbrodt und konzentrierte sich auf seine an den Expressionismus
erinnernde Kunst, für die er die Tusche wie alten Wein reifen ließ. Nur
rund elf Bücher umfasst sein ausdrucksstarkes Werk, das in Deutschland auf
seine Wiederentdeckung wartet. Eine Reise nach Stavelot ist es allemal
wert.
Die beeindruckenden Ausstellungen dreier sehr unterschiedlicher und doch
verwandter Künstler heben die vielfältigen erzählerischen wie ästhetischen
Möglichkeiten der Kunstform Comic hervor. Anhand zahlreicher Originale kann
man den Schaffensprozess und die individuelle Philosophie dieser großen
Künstler auf anregende Weise kennenlernen.
2 Jul 2019
## LINKS
[1] /Herge-und-Magritte-in-Paris/!5358815
[2] /Hugo-Pratts-Comic-Held-Corto-Maltese/!5243602
## AUTOREN
Ralph Trommer
## TAGS
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