| # taz.de -- Wiederentdeckung einer Fotografin: Giftgrüne Chartreuse | |
| > Das Musée l’Élysée in Lausanne widmet der großen amerikanischen | |
| > Fotografin Jan Groover ihre erste europäische Retrospektive. | |
| Bild: Jan Groover, Untitled, ca. 1977 | |
| Bevor die Dinge ihren Namen bekamen, war alles Eindruck. Manchmal scheint | |
| es, als könne man sich schwach erinnern, die Zeit der magischen Gegenstände | |
| und undurchdringbaren Einrichtungen der vorsprachlichen Welt in die | |
| Jetztzeit zurückholen. Hin und wieder hilft ein gut erinnerter Traum, ein | |
| anderes Mal ist es die Kunst: Zum Beispiel in Form der amerikanischen | |
| Fotografin Jan Groover, die es jetzt in einer Ausstellung und in Buchform | |
| wiederzuentdecken gilt. Und „entdecken“ ist hier wörtlich gemeint. | |
| Zwischen rötlichem Blätterfleisch blitzen da beispielsweise Spaghettizange | |
| und Tortenring wie kostbare Preziosen auf. In Groovers exotisierter schönen | |
| Warenwelt wird Küchenbesteck zum Schatz, den man ins Dschungeldickicht | |
| marmorierter Pflanzenblätter gehoben hat. Auf anderen Bildern schimmern | |
| Gabel und Co. zwischen prallem Rot, das vermutlich einer Tomate entliehen | |
| wurde, oder vor dottergelbem Hintergrund als artifiziell hochgeschraubte | |
| Environments. | |
| Die „Kitchen Still Lifes“, aus denen die beschriebenen Szenerien stammen, | |
| haben Jan Groover um 1978 herum zu einem wichtigen Namen des New Yorker | |
| Kunstbetriebs gemacht. Und sie passten natürlich hervorragend in den | |
| Zeitgeist der auslaufenden 1970er Jahre und der berüchtigt kühlen 1980er | |
| Jahre, die sich bald schon ankündigen sollten; das vielleicht vorerst | |
| letzte Jahrzehnt, in dem das Kaufen noch geholfen hat. Und ein Bild wie | |
| jenes, das 1978 den Titel von Artforum zierte, hätte sich in seinem | |
| entwaffnenden Witz auch gut auf dem Plattencover einer New-Wave- oder | |
| Art-Punk-Band gemacht. | |
| Etwa zehn Jahre zuvor hatte die 1943 geborene Künstlerin, eine ausgebildete | |
| Malerin, mit dem Fotografieren begonnen. Zunächst eher beiläufig, skeptisch | |
| über die Absolutheit der Dinge, mit denen sich jene vor der Kamera und | |
| schließlich auf dem Fotopapier behaupteten. Groovers Werk, das | |
| ausschließlich aus unbetitelten Arbeiten besteht, wie um auch hier das | |
| Prinzip des Nichtbenennbaren fortzusetzen, taucht seit einigen Jahren | |
| vereinzelt auf Kunstmessen wieder auf. | |
| ## Das Formenlaboratorium der Jan Groover | |
| Jetzt widmet das Musée de l’Élysée in Lausanne der Künstlerin eine große | |
| Retrospektive: „Laboratoire des formes“ zeigt erstmalig einen umfassenden | |
| Überblick über ihr Lebenswerk, mit zahlreichen Arbeiten aus dem Archiv der | |
| Künstlerin. | |
| Der zur Ausstellung erscheinende Katalog ist zugleich die erste Monografie | |
| über die 2012 verstorbene Künstlerin und eine lohnende Alternative, sollte | |
| man es nicht zur Ausstellung schaffen. Zumindest qua Format muss man hier | |
| kaum Abstriche machen: Selten pumpte Groover ihre Motive auf XXL auf, viele | |
| Bilder sind allein als Polaroid vorhanden. Und selbst ihre kleinen | |
| Fotopapiere packt sie gern mit mehreren Ansichten nebeneinander voll. | |
| Mit diesen Dip- und Polyptychen beginnt die Ausstellung: Bereits in | |
| ihren ersten Jahren manifestiert sich das später formulierte Credo der | |
| Künstlerin, man dürfe sich von einer Landschaft, einem Baum allein nicht | |
| die Kontrolle über sein Bild nehmen lassen. Ansichten US-amerikanischen | |
| Alltags werden auf einem einzelnen Papier zusammengefügt, erst in | |
| Schwarz-Weiß, bald in Farbe. Skizzen belegen, wie genau die Künstlerin | |
| Winkel und Perspektiven plant. Von hier aus rückt der fotografische | |
| Schnappschuss in immer weitere Ferne. | |
| Es folgten die berühmten, bereits erwähnten Stillleben aus dem | |
| Künstlerhaushalt. In den 90er Jahren wurde es dann noch formaler, aber | |
| schreiend bunt: Giftgrüne Chartreuse, Crème de Violette, alles fließt in | |
| Likörfarben übers hochglänzende Fotopapier. Die überbordenden Arrangements | |
| erinnern nicht zufällig an die Stillleben der Renaissancemalerei; Groover | |
| nennt sie immer wieder als Vorbild. | |
| ## Arrangements von der Qualität eines surrealen Stummfilmsets | |
| Zwischendurch entdeckt die Künstlerin die traditionsreiche | |
| Platin-Palladium-Technik. In diesem satten Schwarz mit warmem Gelbweiß | |
| geraten ihre Arrangements plötzlich zu dramatischen Ansichten, die einem | |
| surrealen Stummfilmset zu Ehren gereichen würden. Später löst sie sich | |
| wieder von den streng komponierten Arbeiten, ohne deshalb ihren Sinn fürs | |
| Formale abzugeben: Arme und Beine ihrer Modelle arrangiert die | |
| Fotokünstlerin im Bildausschnitt „wie Paprikaschoten“, denn an jenes | |
| Fleisch fühlte sie sich beim Anblick der menschlichen Körper erinnert. | |
| Schade nur, dass ausgerechnet ein Dokumentarfilm über Groover so leise | |
| gedreht ist, dass man die Künstlerin selbst kaum versteht. Aber du musst | |
| doch auch über Linien und Licht nachdenken, meint der Fragesteller zu ihr | |
| dort beispielsweise. Nee, muss ich gar nicht, antwortet eine entschiedene | |
| Groover, während sie Schirme aufstellt, die Objekte für ihre Stillleben | |
| arrangiert und Fotopapiere entwickelt. | |
| Das einziges Ziel seiner Frau, erinnert sich ihr Witwer, der Zeichner und | |
| Maler Bruce Boice, in einem für die Ausstellung angefertigten Video: | |
| „Visuelle Aufregung!“ Und aufregend sind Groovers Fotografien: Es kann | |
| einen wie der Blitzschlag treffen, wenn man plötzlich die | |
| Ausstellungsplakate entdeckt, die ins grüne Dickicht rund ums Museum | |
| grätschen. | |
| So sonderbar vertraut wie entrückt scheint das hierfür ausgewählte Motiv, | |
| dass man es am ehesten mit einem kennerhaft inszenierten Wachtraum zu tun | |
| haben könnte. Ophthalmologische Orientierungslosigkeit: Das Auge, erklärt | |
| Boice, sollte gar nicht wissen, wo es zuerst hinblicken muss, sich nicht am | |
| einzelnen Objekt anheften. | |
| ## Das Wunder der Wahrnehmung | |
| Man kann bestimmte Motive leicht als ironischen Kommentar zur | |
| Hausfrauenrolle lesen oder als Karikatur auf die Begehrlichkeiten weckende | |
| Werbefotografie. All dies ist in Jan Groovers Werk vorhanden, und trotzdem | |
| greift das in noch viel grundlegendere Tiefen vor: Dorthin, wo Materie | |
| Eindruck wird. | |
| Ihre Bilder zeugen vom Wunder der Wahrnehmung, die ihr Geheimnis, obwohl | |
| die neurophysiologischen Grundlagen sich nachvollziehen lassen, letztlich | |
| nicht preisgibt. Vom Verhältnis des Menschen zu den Dingen. Ganz nebenbei | |
| sind sie ein regelrechtes Plädoyer für die Möglichkeiten der Kunst: Das | |
| sogenannte Natürliche fand Jan Groover aus künstlerischer Perspektive | |
| offenbar entsetzlich langweilig. | |
| 13 Oct 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina J. Cichosch | |
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