# taz.de -- Modebuch über Marc Jacobs: Den eigenen Instinkten gefolgt | |
> „Marc Jacobs Illustrated“ macht mit Anekdoten, Kollektionen und | |
> Zeichnungen eine modische Zeitreise. Wie der grungy Look salonfähig | |
> wurde. | |
Bild: Nachdem er gefeuert wurde, ging Marc Jacobs' Karriere erst richtig los | |
Der Weg von der Straße auf den Laufsteg verlief nicht immer so | |
schnurstracks, wie es Sneaker und Kaschmir-Kapuzenpullis der Luxuslabels | |
oder die Hässlichkeit-/Normcore-Apologeten des Modekollektivs Vetements | |
heute nahelegen. Der New Yorker Designer Marc Jacobs zum Beispiel | |
scheiterte 1992 daran, den Grunge-Look, der ihm und seinem Freundeskreis so | |
gut gefiel, High Fashion werden zu lassen: Ein kariertes Flanellhemd für | |
zwei Dollar vom Flohmarkt war die Initialzündung der neuen Kreationen, | |
damals noch für Perry Ellis. | |
„Sie bleibt bis heute eine meiner Lieblingskollektionen, weil ich einfach | |
meinen Instinkten gefolgt bin – Musik von Sonic Youth und Nirvana hörend. | |
Fotografien von Corinne Day, Juergen Teller und David Sims anschauend“, | |
erinnert sich Jacobs an die Zeit, in der Lebens- und Modegefühl | |
ineinanderflossen. Neben Karoflanell besorgten Schnürstiefel, Ringelshirts | |
und Blütenkleider den Look, der so auch gut in einem Videoclip seiner | |
Lieblingsbands hätte vorkommen können. Es sollte dann schnell die letzte | |
Kollektion für seinen Arbeitgeber werden: Kurz nach dem Verriss durch die | |
New York Times wurde der Designer gefeuert. Und damit begann seine | |
eigentliche Karriere (in der dann der grungy Look doch noch salonfähig | |
werden sollte). | |
Nachzulesen ist diese Anekdote in „Marc Jacobs Illustrated“, einem | |
Modebuch, das so leichtherzig und zugänglich daherkommt, wie der Designer | |
selbst gern über seine Arbeit und sich spricht. Zu Kollektionen von 1992 | |
bis heute steuerte Grace Coddington, Creative Director der amerikanischen | |
Vogue, Zeichnungen ihrer liebsten Entwürfe bei. So ergibt sich eine | |
modische Zeitreise, in der sich Jacobs’ Erinnerungen mal in zarten Kurven, | |
mal im Zickzack um Coddingtons heitere Buntstiftzeichnungen schlängeln. | |
Darunter verläuft eine Zeitskala, auf der die Ereignisse der Weltgeschichte | |
in abwägungsfreier Manier eines Newstickers notiert stehen: 1993 trugen die | |
ersten US-Senatorinnen Hose statt Rock, 2001 erschüttert 9/11 die Welt, | |
2008 die Pleite der Lehman Brothers, und auch das später einflussreiche | |
Modeblog der gerade elfjährigen Tavi Gevinson aus Chicago startet in diesem | |
Jahr. | |
## Wie ein zauberhaftes Kinderbuch | |
Vor diesem Hintergrund, schwankend zwischen Beiläufigkeit und der Anmaßung, | |
mit der sich jeder selbst immerzu in die Zeitgeschichte setzt, wird | |
nebenbei ein Freundschaftsbuch über Mode geschrieben: Die gemeinsame | |
Begeisterung für Stoffe, Farben, Muster, ganze Looks und winzige Details | |
spinnt zarte Bande, wie es sonst vielleicht ein gemeinsamer Musikgeschmack | |
bewirken kann. Dritte im Bunde neben Coddington und Jacobs ist die | |
Regisseurin Sophia Coppola, die im Vorwort von ihrer Bewunderung für den | |
Designer, dem ersten Treffen und der andauernden Freundschaft erzählt. Was | |
dann auch wieder ganz gut in diese Zeit passt, wo die Legende der | |
überzynischen Modebranche à la „Prêt-à-Porter“, wie beinahe überall, a… | |
dank allgemeiner Herzchen-Kommunikation in eine Geschichte von Liebe und | |
Freundlichkeit transformiert wird. | |
„Marc Jacobs Illustrated“ ist ein Buch, das eigentlich gar nicht vornehm | |
präsentiert auf den heimischen Coffeetable gehört, sondern mitgenommen ins | |
Café oder in den Park – wenn es nicht so stattliche Ausmaße hätte. | |
Vielleicht klemmt man es sich unter den Arm, wie eine Zeichenmappe, oder | |
trägt es stolz wie eine überdimensionierte Clutch in der Hand. | |
Zusammen mit dem feinen Leineneinband, der ausgesprochen pink geraten ist, | |
den dicken Seiten und der groß gesetzten Schrift wirkt dieses Exemplar eher | |
wie ein zauberhaftes Kinderbilderbuch denn ein ernsthafter Titel über Mode. | |
Und ernsthaft sind sie in der Regel ja schon, die dicken Bildbände, mit | |
denen Modemacher_innen sonst gewürdigt werden, denn die Oberflächlichkeit | |
will gerechtfertigt sein. Muss sie gar nicht, wie dieses Exemplar, eine | |
herrliche Modemonografie ohne eine einzige Fotografie, beweist. | |
12 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
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